Bürgergeld: Jobcenter fordern Rücknahme von Widersprüchen

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Gegen Bescheide der Jobcenter oder Sozialämter können Leistungsberechtigte Widerspruch einlegen. Auswertungen der Bremer Rechtsanwaltskanzlei “rightmart” ergaben, dass rund ein Drittel der überprüften Bürgergeldbescheide fehlerhaft waren. Rund 50 Prozent der daraufhin eingelegten Widersprüche waren erfolgreich. Kein Wunder also, dass die Jobcenter versuchen, die Leistungsberechtigten zur Rücknahme der Widersprüche zu bewegen.

Jobcenter laden Widerspruchsführer in die Behörde ein

Dass viele Widersprüche erfolgreich sind, hat sich auch bei der Bundesagentur für Arbeit längst herumgesprochen. Für die Jobcenter bedeutet die Bearbeitung der Widersprüche einen zusätzlichen zeitlichen und personellen Aufwand. Daran hat auch die so genannte Bürgergeldreform bisher nichts geändert.

In internen Rundschreiben werden daher die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter aufgefordert, die Widerspruchsführer in die Behörde einzuladen, um “die Sach- und Rechtslage zu erläutern” – mit dem Ziel, dass der Widerspruch dann zurückgenommen wird.

“Wir sollen die Kunden dazu bewegen, den Widerspruch zurückzunehmen und versuchen, die Sachlage zu besprechen”, berichtet Jonas P., Mitarbeiter eines Jobcenters in Hannover, der seinen richtigen Namen nicht im Internet lesen möchte. “Wir haben ohnehin viel zu tun, weil hier viele krank sind und Stellen nicht besetzt werden können. Die Teamleitung hat uns in einer Rundmail dazu aufgefordert.”

Von Überreden steht nichts im Gesetz

Dabei regelt das Sozialgerichtsgesetz (SGG) in § 84 Abs. 1 Satz 1, wie das Widerspruchsverfahren auszusehen hat. Gegen Verwaltungsakte der Sozialleistungsträger können Leistungsberechtigte innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides oder des Verwaltungsaktes schriftlich Widerspruch einlegen.

Hält das Jobcenter den Widerspruch für begründet, muss es ihm “abhelfen” und den Fehler im Bescheid korrigieren. Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, muss das Jobcenter einen Widerspruchsbescheid erlassen (§ 85 Abs. 2 Satz 2 SGG). “Der Widerspruchsbescheid ist schriftlich zu erlassen, zu begründen und den Beteiligten zuzustellen” (§ 85 Abs. 4 SGG). Die Behörde hat über den Widerspruch des Leistungsberechtigten innerhalb von drei Monaten zu entscheiden.

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Erlässt das Jobcenter innerhalb dieser Frist keinen Widerspruchsbescheid, kann der Widerspruchsführer nach § 88 Abs. 2 SGG Untätigkeitsklage beim Sozialgericht erheben.

Von einer Einladung in die Behörde, um dem Widerspruchsführer “den Sachverhalt zu erläutern” und ihn zur Rücknahme des Widerspruchs zu bewegen, steht nichts im Gesetz, betont auch Rechtsanwalt Tobias Lehmberg. Zwar kann der Widerspruchsführer den Widerspruch auch schriftlich zurücknehmen, um ihn dazu zu bewegen, davon steht nichts im Gesetz.

Widerspruch hat weitreichende Wirkung

Dabei hat der Widerspruch eine weitreichende Wirkung zur Sicherung von Bürgergeldansprüchen. Zum einen hat der Widerspruch grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§ 86a SGG).

Das bedeutet, dass ein Verwaltungsakt nicht vollzogen werden darf, solange das Widerspruchsverfahren läuft. Zum anderen ist das Widerspruchsverfahren eine Klagevoraussetzung. Das heißt, bevor man eine Anfechtungsklage erhebt, muss man das Widerspruchsverfahren bei der Agentur für Arbeit oder einem anderen Leistungsträger durchlaufen haben. Ohne Widerspruchsverfahren ist eine Anfechtungsklage nicht möglich, sagt Lehmberg.

Rücknahme des Widerspruchs hat nur Nachteile

Lässt sich jemand dazu überreden, seinen Widerspruch zurückzunehmen, ermöglicht er der Behörde, den Verwaltungsakt, gegen den er sich wehren wollte, sofort zu vollziehen. Außerdem verliert der Betroffene die Möglichkeit, die Entscheidung des Jobcenters später gerichtlich überprüfen zu lassen. Er erhält keinen schriftlichen Widerspruchsbescheid und hat keine Beweise in der Hand. Niemand kann mehr überprüfen, ob das, was der Jobcenter-Mitarbeiter im Gespräch gesagt hat, den gesetzlichen Vorgaben entspricht.

Für den Leistungsberechtigten bringt die Rücknahme des Widerspruchs also keinen Vorteil. Für das Jobcenter hingegen hat sie Vorteile: Es muss keinen schriftlichen Widerspruchsbescheid erstellen und kann seine Statistik verbessern, da zurückgenommene Widersprüche in der Statistik entweder als nicht eingelegt oder als zurückgewiesen ausgewiesen werden können.

Da das Widerspruchsverfahren kostenfrei ist, entstehen den Leistungsberechtigten ohnehin keine Nachteile, wenn sie einen Widerspruch gegen einen Bescheid einlegen. Im besten Falle muss der Bescheid zugunsten des Leistungsbeziehenden beschieden werden. Daher sollte eigentlich jeder Bescheid auf seine Richtigkeit überprüft werden. Mehr dazu auch in diesem Artikel: 5 Gründe, warum der Bürgergeld-Bescheid überprüft werden muss

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