Bürgergeld und defekte Haushaltsgeräte: Jobcenter muss nach Urteil zahlen

Lesedauer 3 Minuten

Der Fall eines Kielers, dessen Waschmaschine irreparabel den Dienst quittierte, zeigt exemplarisch, wie man Ansprüche beim Jobcenter gerichtlich durchsetzen kann.

Obwohl der Regelbedarf in Bürgergeld theoretisch auch Rücklagen für Ersatzbeschaffungen vorsieht, sind die dafür kalkulierten Beträge so gering, dass eine zeitnahe Anschaffung in der Praxis scheitert.

Das Sozialgericht Kiel hat in dem konkreten Fall entschieden, dass die Anschaffungskosten für eine neue Waschmaschine als Mehrbedarf anzuerkennen sind – und das Jobcenter zur Zahlung verpflichtet.

Ein Einzelfall, der Grundsatzfragen berührt

Der Betroffene lebte vom Bürgergeld und konnte die Anschaffung einer neuen Waschmaschine aus eigener Kraft nicht stemmen. Der Preis für ein günstiges Gerät lag bei 389 Euro, hinzu kamen knapp 30 Euro Versandkosten.

Gerade bei notwendigen Haushaltsgeräten verweisen Jobcenter häufig auf den Regelbedarf, in dem ein Betrag für Ersatzbeschaffungen enthalten ist. Doch der hierfür angesetzte Anteil – im vorliegenden Fall 1,60 Euro – liegt so niedrig, dass daraus faktisch kein zeitnaher Ersatz finanziert werden kann.

Rechengröße ohne Praxisnähe

Die Diskrepanz zwischen normativer Pauschale und realer Lebenswirklichkeit wird deutlich, wenn man die Zahlen nebeneinanderlegt.

Für die Beschaffungskosten von rund 419 Euro müsste eine leistungsberechtigte Person den im Regelbedarf vorgesehenen Anteil über mehr als 21 Jahre ansparen.

In dieser Zeit ist nicht nur davon auszugehen, dass das defekte Gerät längst unersetzbar geworden ist, auch die damit verbundenen Folgekosten und Belastungen wachsen weiter an. Die rechnerische Vorsorgegröße verfehlt damit die Anforderungen an eine menschenwürdige, an der Realität orientierte Existenzsicherung.

Der Mehrbedarf als Möglichkeit

Im Sozialrecht existiert mit dem Mehrbedarf eine Antragsmöglichkeit, um atypische oder besondere Bedarfslagen abzufedern, die im pauschalen Regelbedarf nicht ausreichend berücksichtigt sind. Dazu zählen auch unabweisbare Bedarfe, die sich nicht aufschieben lassen, weil andernfalls unzumutbare Nachteile drohen.

Eine funktionierende Waschmaschine ist gerade für Haushalte mit geringem Einkommen kein „Komfortgegenstand“, sondern Bestandteil der grundlegenden Haushalts- und Lebensführung. Fällt sie aus, entsteht rasch ein akutes Versorgungsdefizit.

Die Entscheidung des Sozialgerichts

Das Sozialgericht Kiel (Az: S 35 AS 35/22) folgte dieser Argumentation und erkannte die Anschaffungskosten als angemessen an. Die Richterinnen und Richter teilten die Sicht des Jobcenters nicht, wonach es zumutbar sei, über viele Jahre Rücklagen aus dem Regelbedarf zu bilden.

Angesichts der geringen Pauschale im Verhältnis zu den tatsächlichen Marktpreisen sei ein solcher Verweis lebensfremd. Das Gericht gestand dem Mann daher einen Mehrbedarf zu und verpflichtete das Jobcenter, die Kosten für die Ersatzbeschaffung zu übernehmen.

Ist Ihr Bürgergeld-Bescheid korrekt?

Lassen Sie Ihren Bescheid kostenlos von Experten prüfen.

Bescheid prüfen

Waschsalon als vermeintliche Alternative: teuer und unpraktikabel

Häufig wird bei defekten Waschmaschinen auf Selbstbedienungs-Waschsalons verwiesen. Doch auch dieser Ausweg erweist sich für Beziehende von Bürgergeld als Sackgasse. Je nach Standort und Angebot liegen die Kosten pro Waschgang im Schnitt zwischen 4 und 9 Euro.

Bereits bei wenigen Waschgängen pro Monat übersteigen die Ausgaben den im Regelbedarf vorgesehenen Betrag um ein Vielfaches. Hinzu kommen weitere Hürden wie Wegezeiten, Transport, Öffnungszeiten und eingeschränkte Nutzungsmöglichkeiten, die insbesondere für Familien, Alleinerziehende oder gesundheitlich eingeschränkte Menschen kaum zu bewältigen sind.

Bedeutung über den Einzelfall hinaus

Die Entscheidung hat Signalwirkung, auch wenn sie stets an den konkreten Umständen des Einzelfalls zu messen ist. Sie zeigt, dass die pauschalierte Logik des Regelbedarfs dort an Grenzen stößt, wo existenzsichernde Minimalstandards ohne funktionsfähige Haushaltsgeräte faktisch nicht erreicht werden.

Der Mehrbedarf dient als Korrektiv, um Härten abzufedern und das verfassungsrechtliche Gebot zu wahren, ein menschenwürdiges Existenzminimum tatsächlich zu gewährleisten. Für die Verwaltungspraxis bedeutet das: Eine schematische Ablehnung besonderer Bedarfe verkennt den Zweck der Leistung und riskiert rechtswidrige Entscheidungen.

Was Betroffene jetzt wissen sollten

Wer vom Bürgergeld lebt und unverschuldet mit einer defekten, aber notwendigen Haushaltsgrundausstattung konfrontiert ist, sollte den Anspruch auf Übernahme der Kosten als Mehrbedarf prüfen lassen. Entscheidend ist, dass der Bedarf unabweisbar ist und sich nicht aufschieben lässt, etwa weil keine realistische und zumutbare Alternativversorgung besteht.

Ablehnende Bescheide sollten nicht vorschnell hingenommen werden. In der Regel besteht die Möglichkeit, innerhalb eines Monats Widerspruch einzulegen und die Entscheidung überprüfen zu lassen.

Eine gute Begründung mit Verweis auf die tatsächlichen Marktpreise, die fehlende Leistungsfähigkeit des Regelbedarfs und die konkreten Belastungen im Alltag erhöht die Erfolgsaussichten.

Urteil ist ein Plädoyer für realitätsgerechte Regeln

Der Fall aus Kiel führt vor Augen, dass es im Sozialrecht nicht um abstrakte Zahlenwerke gehen darf, sondern um Lösungen, die in den Küchen, Waschkellern und Wohnzimmern der Menschen funktionieren.

Wenn Pauschalen die Lebenswirklichkeit verfehlen, braucht es rechtliche Korrekturen – im Einzelfall durch Gerichte, perspektivisch aber auch durch eine an den tatsächlichen Bedarfen orientierte Fortschreibung der Regelbedarfe.

Eine Waschmaschine mag unscheinbar wirken. Für Menschen mit wenig Geld ist sie jedoch wichtig zu Teilhabe, Hygiene und Würde. Genau dafür ist das soziale Sicherungssystem wie das Bürgergeld da.

Hinweis: Gegen dieses Urteil wurde Berufung eingelegt beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG Schleswig-Holstein), und zwar unter dem Aktenzeichen L 6 AS 41/23.