Urteil: Keine große Sparsamkeit vor dem Hartz IV/Grundsicherung Antrag

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Kündigt sich ein Leistungsbezug an zwingt dies nicht zur Sparsamkeit

Antragsteller von Hartz IV oder Grundsicherung müssen ihr Gespartes aufbrauchen, ehe ein Anspruch auf Sozialleistungen entsteht. Alles, bis auf einen Freibetrag bzw. Schonvermögen, muss zuvor aufgebraucht sein. Oft unterstellen allerdings Jobcenter, dass eine Hilfebedürftigkeit “mutwillig” hergestellt wurde, indem zuvor alles in einem höheren Ausgabenmodus verbraucht wurde.

Darf also das Jobcenter vorschreiben, wie Ersparnisse verbraucht wurden? Darüber verhandelte das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (AZ: L 10 AS 632/16).

Sanktionen

Die Richter entschieden, dass Behörden keinen Eingriff in die „freie Lebensführung“ eines Einzelnen haben dürfen. Dies dürfte ein richtungsweisendes Urteil sein.

Sozialamt schrieb vor, wie die Antragstellerin ihre Ersparnisse aufbraucht

In dem verhandelten Fall beantragte die ehemals selbstständige Klägerin Grundsicherung nach dem SGB II. Bei Antrag stellte sich heraus, dass die Antragstellerin über eine Lebensversicherung in Höhe von rund 25.000 Euro verfügt. Das Sozialamt errechnete daraufhin, dass nach einem Abzug des Freibetrages von 9450 Euro die Antragstellerin noch 17 Monate von dem Geld der Lebensversicherung auf dem Niveau der Grundsicherung leben könne. Erst danach solle sie einen Antrag auf Grundsicherung stellen.

Klägerin kaufte sich Möbel

Doch nicht nach 17 sondern bereits nach sieben Monaten stellte die Frau erneut einen Antrag auf Grundsicherung. Also 10 Monate früher, als von dem Sozialamt veranschlagt. In der Zwischenzeit hatte die Frau sich Möbel von dem verbliebenen Geld gekauft.

Zunächst bewilligte das Amt den Antrag. Später fordete die Behörde die bereits gezahlten Leistungen für zehn Monate zurück. Als Grund gab das Sozialamt an, die Frau hätte angeblich “sozialwidrig” gehandelt und somit eine Hilfebedürftigkeit hergestellt. Die Behörde argumentierte, die Frau habe mit den Ersparnissen besser wirtschaften müssen. Dann hätte sie auch 10 Monate länger von dem verbliebenen Geld ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

Die Betroffene legte einen Widerspruch ein, der abgelehnt wurde. Die Behörde forderte weiterhin die Rückzahlung (Ersatzpflicht). Daraufhin kam es zum Verfahren.

Vor dem Gericht argumentierte der Leistungsträger, die Antragstellerin hätte aus dem Freibetrag (Schonvermögen) die Möbel finanzieren müssen und nicht von dem Geld, dass oberhalb des Schonvermögens lag. Somit habe die Klägerin ihre Hilfebedürftigkeit in der Tendenz selbst hergestellt. Die Antragstellerin habe „übermäßiges Verbraucherverhalten“ gezeigt.

Vor Gericht bestritt die Frau die Vorwürfe. Die Anschaffung der Möbel sei längst überfällig gewesen. Sie habe kein Auto und sei nicht in den Urlaub gefahren. Überdies könne sie selbst entscheiden, was sie von ihrem Geld kauft.

Sozialamt habe die rechtlichen Grenzen überschritten

Das Sozialgericht gab der Frau Recht und urteilte, dass keine Rückzahlungspflicht besteht. Das Landessozialgericht bestätigte das Urteil, nachdem der Leistungsträger in Revision ging. Das Landessozialgericht kritisierte die Behörde scharf. Das Sozialamt habe die rechtlichen Grenzen überschritten, da es von der Leistungsbezieherin forderte, 17 Monate am Rende des Existenzminimums vom Ersparten zu leben.

Das Gericht urteilte weiter, dass die Gründe für eine Hilfebedürftigkeit keine Rolle spielen dürfen. Der Staat habe die Pflicht, für das Existenzminimum zu sorgen. „Zu prüfen, ob die Hilfebedürftigkeit nachvollziehbar entstanden ist, sei nicht Aufgabe der staatlichen Stellen“, so die Richter. Es verbiete sich zudem, dass der staatliche Behörden bewerten, welche Ausgaben eines Individums zu billigen seien. Auch nicht, welche Ausgaben “achtenswert oder sozialadäquat” wären. Jeder Mensch habe eine „freien Lebensführung“.

Enge Definition von sozialwidrigem Verhalten

Dennoch können Behörden einem Antragsteller sozialwidriges Verhalten vorwerfen. Das Bundessozialgericht hatte im Jahre 2012 jeodch genau definiert, wann „sozialwidriges Verhalten” vorzuwerfen sei. Erst wenn es einen inneren Zusammenhang ihrer Handlungen gibt, die auf den Leistungsbezug abzielen, handele sie sozialwidrig („deliktähnlicher Ausnahmetatbestand”).

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