Hartz IV: Jobcenter bestrafte Vater wegen Geburt eines Kindes mit Kürzung

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Weil der Vater eines Kindes aufgrund der Geburt seines Kindes “außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches” sich aufgehalten hat, kürzte ein Jobcenter die Hartz IV Leistungen. Das Landessozialgericht Baden-Würtemberg urteilte nun jedoch, dass der Aufenthalt des Vaters außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches wegen Geburt des Kindes Hartz IV-Bezug bis max. 3 Wochen nichts entgegen steht (Az: Az.: L 12 AS 1677/19).

Zum Fall: Der 1981 geborene Kläger K bezog seit März 2017 Arbeitslosengeld II (Hartz IV). Am 18.Mai 2018 sprach K beim Jobcenter vor und teilte mit, am 26.05.2018 zu seiner hochschwangeren Freundin nach Schleswig-Holstein fahren zu wollen. Er wurde darauf hingewiesen, dass er dem Jobcenter eine Ortsabwesenheit melden müsse, nur 21 Tage „bezahlten Urlaub“ habe und, bevor er am 26. Mai 2018 in die Ortsabwesenheit gehe, beim Jobcenter noch einmal vorsprechen müsse. Eine Genehmigung sei noch nicht möglich, „da über eine Woche davor“.

K hielt sich sodann vom 26.Mai bis 15.Juli 2018 bei der Kindsmutter in Schleswig-Holstein auf. Das gemeinsame Kind wurde am 28.Mai 2018 geplant per Kaiserschnitt entbunden. K erlebte die Geburt des Kindes mit und unterstützte die Kindsmutter in der Folgezeit u.a. beim Führen des Haushalts und bei der Betreuung des Neugeborenen. Die Kindsmutter wurde 10 Tage nach der Geburt aus dem Krankenhaus entlassen. K erkannte die Vaterschaft an.

Jobcenter forderte Hartz IV Leistungen zurück

Das Jobcenter hob die Bewilligung von Alg II für den Zeitraum der Ortsabwesenheit des K auf und forderte rund 958 € zurück. Denn K habe sich die Ortsabwesenheit nicht im Voraus genehmigen lassen. Eine nachträgliche Genehmigung komme nicht in Betracht, weil die Kindsmutter nicht der Betreuung durch K bedurft hätte.

Auf die hiergegen gerichtete Klage des K hob das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid auf: Denn der Eingliederung in den Arbeitsmarkt habe im streitigen Zeitraum ein wichtiger Grund (Wahrnehmung des verfassungsrechtlich garantierten Elternrechts) entgegen gestanden.

Auf die deswegen vom Jobcenter (nach eigenen Angaben aufgrund der Vielzahl gleichgelagerter Fälle) eingelegte Berufung hat der 12. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg das Urteil des SG überwiegend bestätigt: Zwar habe sich K außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufgehalten und sei deshalb nicht mehr für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung gestanden. Der Aufenthalt in Schleswig-Holstein sei indes für die rechtlich maximal zulässige Abwesenheit von 3 Wochen, d.h. leistungsunschädlich gewesen.

Jobcenter war verpflichtet Ortsabwesenheit zu genehmigen

Denn insoweit wäre das Jobcenter verpflichtet gewesen, den Antrag auf Ortsabwesenheit zu genehmigen. Der in Art. 6 Abs. 1 GG zuerkannte besondere Schutz der Familie umfasse auch das Recht des Kindsvaters, die unmittelbare Zeit der Geburt des Kindes zu begleiten sowie im weiteren Verlauf die Kindsmutter zu unterstützen und das Neugeborene zu betreuen. K habe auch mit Antragstellung am 18.Mai 2018 alles seinerseits Erforderliche getan, um die rechtlich vorgesehene Zustimmung des Jobcenters zu erlangen.

Jobcenter beharrte auf erneute Hartz IV Antragstellung

Im Hinblick auf die zeitlich feststehende Entbindung sei das Beharren des Jobcenters auf eine weitere Antragstellung unmittelbar vor der geplanten Abreise nicht gerechtfertigt gewesen. Zudem hätte das Jobcenter Eingliederungsmaßnahmen im betreffenden Dreiwochenzeitraum gar nicht beabsichtigt. Eine außergewöhnliche Härte als Voraussetzung für eine Verlängerung des rechtlich maximal zulässigen Zeitraums der Ortsabwesenheit von 3 Wochen liege hingegen nicht vor.

Diese Möglichkeit sei auf besondere, die Rückreise überraschend verzögernde Ereignisse, wie beispielsweise eine plötzliche Erkrankung, ein Verkehrsunfall oder ein Streik bei der Bahn beschränkt. Schließlich gebe es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kindsmutter knapp 3 Wochen nach der Geburt und 10 Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nicht im Stande gewesen sein sollte, unterstützt durch Freunde und eine Familienhelferin den Haushalt zu führen und das Neugeborene zu betreuen. Dem K hätte es darüber hinaus frei gestanden, zur Überwindung der räumlichen Distanz zur Kindsmutter oder zumindest in deren Nähe zu ziehen.