Verfassungswidrige Vorlage "lückenloser" Kontoauszüge
21.03.2014
Immer mehr Jobcenter verlangen bei jedem Verlängerungsantrag auf Leistungen nach dem SGB II die Vorlage der “lückenlosen Kontoauszüge“ der letzten drei Monate. Gefragt wofür diese Informationen benötigt werden, erhält man, wenn man denn überhaupt eine Antwort erhält, lediglich den Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2008 wonach dies im Rahmen der Mitwirkungspflicht zulässig sei.
Zwar legte der Kläger gegen dieses Urteil Beschwerde ein, diese wurde jedoch vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Die Jobcenter ziehen daraus den Schluss, damit sei die Aufforderung die Vorlage der lückenlosen Kontoauszüge der letzten drei Monate zu fordern, verfassungskonform. Da das Verfassungsgericht in dieser Sache nicht entschieden hat, glauben nun viele Jobcenter, sie könnten hier alleine mit dem Urteil des Bundessozialgerichtes, sowie der Abweisung einer Entscheidung über die Beschwerde, ohne jede Begründung die Vorlage dieser Dokumente fordern. Dies ist aber ein Trugschluss.
Das Bundesverfassungsgericht sah die Notwendigkeit einer Entscheidung nicht gegeben, da es aus damaliger Sicht keine Vermutung einer grundrechtswidrigen allgemeinen Praxis von Behörden und Gerichten in diesem Zusammenhang gab. Zu diesem Zeitpunkt gab es nämlich eine Reihe von Sozialgerichten welche die Forderung nach der Vorlage aller Kontoauszügen der letzten drei Monaten als rechtswidrig ansah, ebenso waren es nur einzelne Jobcenter, die diese Forderung an die Betroffenen stellte. Durch das Urteil des Bundessozialgerichtes hat sich diese Situation aber grundlegend verändert, da sich nun sowohl immer mehr Jobcenter wie auch Sozialgerichte auf die Entscheidung des Bundessozialgerichtes berufen. Da dies zu einer allgemeinen grundrechtswidrigen Praxis der Jobcenter und Behörden geführt hat, ist nun eine Überprüfung der Zulässigkeit der grundlosen Einsichtnahme in alle Kontobewegungen Betroffener im Hinblick auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dringend notwendig, da der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot der Normenklarheit entsprechen muss (BVerfGE 65,1,43 f.).
Die Verpflichtung zur Vorlage von Kontoauszügen ohne jeden Verdacht auf Leistungsmissbrauch erfolgt jedoch ohne gesetzliche Grundlage. Sie ignoriert sowohl die Unschuldsvermutung, wie auch die Tatsache, dass niemand sich gegenüber der Behörde selbst belasten muss. Sie wird lediglich durch rechtliche Auslegung aus den allgemeinen Mitwirkungspflichten des SGB I konstruiert. Diese können jedoch nicht den Sozialdatenschutz der §§ 35 SGB I, 67 ff. SGB X oder den besonderen Datenschutz des SGB II aushebeln, der zum Zwecke der Verhinderung von Leistungsmissbrauch lediglich den automatisierten Datenabgleich des § 52 und die Überprüfung von Daten nach § 52 vorsieht. Immer mehr Kommentare zu den Sozialgesetzbüchern weisen auf diese Diskrepanz hin. Die Arbeitslosenhilfe Rheinland Pfalz wird diese Thematik in den nächsten Wochen massiv in die Öffentlichkeit tragen. Wir bedanken uns bereits heute bei allen die uns dabei unterstützen werden. (Dietmar Brach, Arbeitslosenhilfe Rheinland-Pfalz)
Bild: Rainer Sturm / pixelio.de
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