Hartz IV und der Zwang prekär zu arbeiten

Lesedauer 5 Minuten

Gute Löhne, gute Arbeit – Prekäre Beschäftigung ist die Realität – Der Zwang prekär zu arbeiten

08.04.2012

Immer mehr Menschen arbeiten immer mehr für real immer weniger Lohn und Gehalt. Das ist der Tenor verschiedener Studien welche die Gewerkschaften von Zeit zu Zeit veröffentlichen. Insbesondere jüngere Menschen, bzw. Menschen die gerade ins Arbeitsleben einsteigen sind davon, wie eine Studie der DGB-Jugend belegt, betroffen.

Prekäre Beschäftigung wird in viele Branchen immer mehr zur Normalität und von unbefristeten Arbeitsverträgen mit guten Löhnen und Gehältern können die meisten Menschen nur noch träumen. Die Realität sieht anders aus. Zeit- und Leiharbeit, Werks- statt Arbeitsverträge sind das Ergebnis schröderscher Agendapolitik. Bei Eintritt in die Arbeitslosigkeit fallen viele Menschen sofort in Hartz IV.

Begriffe wie Equal Pay, also gleicher Lohn für gleiche Arbeit, machen die Runde doch die Hartz-IV-Parteien machen eben nur auf "Betroffenheits-Politik". Waren vor allem Grüne und SPD daran Schuld, dass bundesweit die Armut massiv zugenommen hat, lassen sie heute den "Anwalt der Armen" heraushängen. Noch am 29. März 2012 zeigte sich Frank Walter Steinmeier, SPD, im Bundestag besonders stolz zur Agenda-Politik.

NRW ist eines der Bundesländer, in der prekäre Beschäftigung gar nicht vorkommen dürfte. Hier hat die Landesverfassung im Artikel 24 der prekären Beschäftigung einen Riegel vorgeschoben. So heißt es nämlich dort:

"Artikel 24

(1) Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes Jedermann hat ein Recht auf Arbeit.

(2) Der Lohn muß der Leistung entsprechen und den angemessenen Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner Familie decken. Für gleiche Tätigkeit und gleiche Leistung besteht Anspruch auf gleichen Lohn. Das gilt auch für Frauen und Jugendliche.

(3) Das Recht auf einen ausreichenden, bezahlten Urlaub ist gesetzlich festzulegen."

Dieser Artikel wird durch das Grundgesetz, also dem höheren Recht, nicht derogiert und entfaltet dadurch seine Rechtskraft. So sagt auch das Grundgesetz im Artikel 142:

"Ungeachtet der Vorschrift des Artikels 31 bleiben Bestimmungen der Landesverfassungen auch insoweit in Kraft, als sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18 dieses Grundgesetzes Grundrechte gewährleisten."

Im Art. 24, Abs. 2, Landesverfassung NRW ist festgelegt, dass für gleiche Tätigkeit der Anspruch auf den gleichen Lohn besteht und dieser den Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner Familie decken muss. Bekommt z.B. also ein festangestellter Arbeiter in einem Unternehmen einen Stundenlohn von 17,50€ weil er irgendwo den ganzen Tag Schrauben eindreht, so hat der Zeitarbeiter, den sich dieses Unternehmen ausgeliehen hat, den Anspruch auf den gleichen Lohn, wenn er die gleiche Tätigkeit ausübt.

Nun meinen ja einige Unternehmen pfiffig zu sein und haben nur noch Zeitarbeiter in ihren Abteilungen. Diese bekommen dann den Tariflohn, den das Zeitarbeitsunternehmen mit den Gewerkschaften ausgehandelt hat. Bleibt die Frage, wie ein Leiharbeiter mit seinem Lohn auch den Lebensbedarf seiner Familie decken soll …

Verfassungswidrige Tarifverträge?
Ein Gegenargument, dass ich häufig in dieser Diskussion höre, ist der Hinweis auf das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, kurz AÜG. Dieses Gesetz ist natürlich ein Bundesgesetz und steht höher als die Landesverfassung. In dieser Debatte spielt es aber keine Rolle, weil ja nicht das AÜG die Ursache der prekären Beschäftigung ist, sondern die Tarifverträge, die in der Leih- und Zeitarbeitsbranche ausgehandelt wurden. Hier wurden die Billiglöhne gemacht und zumindest in NRW kollidieren sie mit der Landesverfassung.

Auch die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie, Art. 9, Abs. 3,GG, (Koalitionsfreiheit), kann insofern nicht als Argument herangezogen werden, da hier zunächst einmal "nur" geregelt wird, dass die Tarifpartner frei von staatlicher Einflussnahme Tarifverträge aushandeln können. Die Höhe der Löhne und Gehälter müssen dann aber, sicherlich eine spannende und endlich einmal zu klärende Rechtsfrage, der Landesverfassung, sofern dort Regelungen enthalten sind, der jeweiligen Bundesländer entsprechen. Ich glaube kaum, dass ein Tarifvertrag ein Grundrecht unverfügbar machen kann. So schreibt z.B. die Gewerkschaft IG-Metall, dass ein Tarifvertrag nur zum Schutz eines anderen Verfassungsgutes eingeschrängt werden kann.

"Der Vorrang des Tarifvertrages kann nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes nur zum Schutz eines anderen Verfassungsgutes eingeschränkt werden. Natürlich unterliegen die Regelungen des Tarifvertrages der Verfassung und dürfen nicht gegen diese oder Gesetze aus anderen Sachgebieten verstoßen."

Trifft es also zu, dass die o.g. Tarifverträge verfassungswidrig sind, wären die Konsequenzen gerechte Löhne und Gehälter und ein massiver Rückgang der Leih- und Zeitarbeitsfirmen. Diese müssten erhebliche Nachzahlungen an ihre Beschäftigten leisten. In der jüngeren Vergangenheit ist dies ja auch schon vorgekommen.

Das Recht auf Arbeit in der Landesverfassung NRW
Jedermann hat ein Recht auf Arbeit. So heißt es im o.g. Artikel in der Landesverfassung NRW. Das heißt natürlich nicht, dass man als Arbeitsuchender ein Unternehmen auf Einstellung verklagen kann. Vielmehr ist dieses Recht als Auftrag an die Landesregierung zu verstehen, dafür zu sorgen, dass man dieses Recht auch in Anspruch nehmen kann. Will heißen, die Landesregierung hat die Pflicht für ausreichende Arbeitsplätze zu sorgen, von deren Löhne und Gehälter man nicht nur seinen, sondern auch den Lebensbedarf für seiner Familie decken kann. Sowohl die letzte, als auch die Vorgängerregierungen waren von der Ausübung dieser Pflicht Lichtjahre entfernt. Im Gegenteil. Entgegen ihrem Verfassungsauftrag sorgten sie für einen regen Stellenabbau und eine massive Zunahme prekärer Beschäftigung.

Auch in Zukunft wird sich das nicht ändern, denn die Hartz-IV-Parteien sind ihren Geldgebern, eben jene Unternehmen und Konzerne, die ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung stellen könnten, verpflichtet. Würden sie ihren Verfassungsauftrag wahrnehmen und endlich einmal Politik für die Menschen machen, würden die Spenden versiegen.

Eingangs schrieb ich, dass immer mehr Menschen immer mehr Arbeit machen müssen. Dies ist eine Folge steigender Erwerbslosigkeit, denn die Statistiken zur Arbeitslosigkeit entsprechen nicht der Wahrheit. Menschen die in sinnlosen Maßnahmen oder 1€-Jobs stecken werden ebenso wenig in der Statistik aufgeführt, wie Menschen, die älter als 58 Jahre sind. Dagegen stellte sich sogar der CDU-Sozialpolitiker Karl-Josef Laumann. Das ist der Herr Laumann, der in der Landesverwaltung bis 2015 12.000 Stellen streichen und die Studiengebühren wieder einführen möchte. Im Grunde ist es also nur heuchlerisch, was Herr Laumann sagt. Auf der einen Seite für Rente mit 67 sein und auf der anderen Seite massiven Stellenabbau betreiben geht irgendwie nicht zusammen. Zudem kollidiert es, wie ich oben dargelegt habe, mit dem Verfassungsauftrag für Vollzeitarbeit zu sorgen.

Es gibt ein Urteil des OVG NRW, 13 C 406/09, aus dem Jahr 2009. Hier klagte zwar ein Nicht-EU-Ausländer mit deutscher Hochschulzugangsberechtigung vergeblich auf Zulassung zumStudium außerhalb der festgesetzten Kapazität, aber in der Urteilsbegründung findet sich ein interessanter Satz:

"Art. 24 Abs. 1 Satz 3 LV NRW wird zudem allgemein als die staatlichen Stellenverpflichtender Programmsatz und objektiv-rechtliche sozialeStaatszielbestimmung ohne anspruchsbegründende Wirkung verstanden."

Dies deckt sich also mit meiner Einschätzung des Verfassungsauftrages an die Landesregierung.

Wenn immer mehr Menschen immer mehr Arbeit übernehmen müssen, weil auf der anderen Seite die Erwerbslosigkeit ebenso ansteigt, zeigt dies, dass Arbeit ein messbarer Faktor ist. Es ist genügend Arbeit da, nur will sie keiner mehr bezahlen. Das zeigt auch die massive Zunahme prekärer Beschäftigung, die derzeit in NRW bei über 20% mit steigender Tendenz liegt. Wir haben also ein Verteilungsproblem der Arbeit. Waren früher Überstunden eher die Ausnahme, sind sie heute die Normalität im Arbeitsalltag. Hunderte von Überstunden werden pro Arbeitnehmer vor sich hergeschoben ohne dass sie jemals abgebaut werden können. Würde man z.B. diese ständig anfallenden Überstunden auf die Erwerbslosen verteilen, hätte man alleine dadurch schon einen signifikanten Rückgang der Arbeitslosenzahlen.

Der Zwang, prekär Arbeiten zu müssen
Vorweg. Ich persönlich glaube, dass Sanktionen im SGBII aufgrund des Urteils aus Februar 2010 nicht mehr möglich sein sollten. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass das Existenzminimum ein Grundrecht ist, dass allerdings dem Grunde nach, z.Zt. der Urteilsverkündung, unverfügbar ist. Wenn also das Existenzminimum ein Grundrecht ist, wie kann es dann sanktioniert werden?

Millionen Menschen, die unter Hartz IV leben und leiden, werden von den Jobcentern unter Androhung von Sanktionen gezwungen, jedwede prekäre Beschäftigung anzunehmen. Sanktionen bedeutet nicht selten die Bestrafung mit Hunger, da die Regelsätze gekürzt werden und der Rest aber für die Miete, Strom etc. aufgewendet werden muss. Eine fortschrittliche Errungenschaft, die von SPD und Grüne eingeführt und unter dem Namen "Hartz IV" bekannt geworden ist. Nicht vergessen. Die SPD stellt sich heute als Anwalt der Armen dar.

Wenn in NRW der Verfassungsauftrag, für Vollzeitbeschäftigung zu sorgen, willent- und wissentlich nicht ausgeführt wird, können dann Menschen, die dass in NRW verbriefte Recht auf Arbeit mit menschenwürdiger Entlohnung, wegen schuldhaftem verhalten der jeweiligen Landesregierungen nicht in Anspruch nehmen können, sanktioniert und in prekäre Beschäftigung gezwungen werden? (Berthold Bronisz)

Bild: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de