Der jüngste Gesetzesvorschlag des Bundesarbeitsministers zur Einführung von 100%-Sanktionen beim Bürgergeld stößt beim Erwerbslosenverein Tacheles e.V. auf deutliche Kritik. Die geplanten verschärften Sanktionen, die eine vollständige Streichung der Regelleistung bei Arbeitsverweigerung vorsehen, werden aus verschiedenen Gründen als unangemessen und verfassungswidrig abgelehnt.
Unseriöse Berechnungen und mangelnde Vermittlungsangebote
Tacheles weist darauf hin, dass die angenommenen Haushaltseinsparungen durch diese Maßnahme äußerst fragwürdig sind. Die notwendigen Sanktionen, um das angestrebte Einsparvolumen von 170 Mio. EUR zu erreichen, wären nach Berechnungen des Vereins in der Praxis nicht erreichbar.
“210.000 mal müssten Leistungen in Höhe des Regelsatzes vollständig für zwei Monate entzogen werden, um ein Sanktionsvolumen von 170 Mio. Euro zu realisieren”, so Tacheles.
Die bestehenden Vermittlungskapazitäten der Jobcenter sind bereits jetzt durch Haushaltskürzungen unterfinanziert, und es fehlen geeignete Arbeitsstellen, um tatsächliche “beharrliche Arbeitsverweigerung” rechtssicher feststellen zu können. Das bedeutet, das angestrebte Ziel, Einsparungen in Höhe von 170 Millionen Euro umzusetzen, wäre faktisch nicht erreichbar.
Fehlende Evidenz: Mangelnde Studien zu den Auswirkungen von Sanktionen
Die Kritik von Tacheles bezieht sich auch auf das Fehlen belastbarer empirischer Studien zu den Auswirkungen von Sanktionen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2019 Höchstgrenzen für Sanktionen festgelegt, um den grundrechtlichen Schutz des Existenzminimums zu gewährleisten.
Die im Gesetzentwurf verwendete Definition der Pflichtverletzung wird seitens Tacheles als “unbestimmt” kritisiert, was Raum für Interpretationen und mögliche Behördenwillkür schafft. Die geforderten strengen Auflagen des Gerichts werden nicht erfüllt, und die Gesetzesänderung birgt das Risiko von Rechtsunsicherheit und Behördenwillkür.
Verfassungsrechtliche Bedenken: Existenzminimum und gesellschaftliche Polarisierung
Der Verein Tacheles hebt hervor, dass die vorgeschlagene Gesetzesänderung verfassungsrechtliche Normen im Existenzsicherungsrecht umgeht und einen Mangel an Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums der Bedarfsgemeinschaft aufzeigt.
Eine sachliche sozialpolitische Debatte auf Basis von Expertenwissen und wissenschaftlichen Erkenntnissen wird gefordert, um grundlegende verfassungsrechtliche Normen nicht leichtfertig zur Disposition zu stellen.
Die Verschärfung des Sanktionsrechts wird zudem als kontraproduktiv für die Integration von Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt betrachtet und trägt zur gesellschaftlichen Polarisierung bei.
Streichung der Sanktionen gefordert
In Anbetracht dieser Bedenken fordert der Verein Tacheles die ersatzlose Streichung der geplanten Sanktionen als Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Die Verschärfung des Sanktionsrechts wird als ungeeigneter Weg betrachtet, um die gesellschaftlichen Herausforderungen im Bereich der Arbeitslosigkeit und Armutsbekämpfung zu bewältigen.
Kritik auch von den Jobcentern
Unmut regt sich auch in den Jobcentern. So kritisierte der Jobcenter-Leiter von Brandenburg die anhaltende Sanktions-Diskussion als “politisch motiviert” und fernab von Realitäten. Auch die Jobcenter Leiterin von Hannover sieht in den Vollsanktionen kein geeignetes Mittel, um Leistungsbeziehende in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Die vollständige Pressemitteilung ist hier zu lesen.
Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht, Gesundheitsprävention sowie bei gesellschaftspolitischen Themen. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und engagiert sich politisch für Armutsbetroffene.