Kündigung nach Online-Krankschreibung – keine Abfindung

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Wenn Beschäftigte schnell eine Krankschreibung benötigen, wirkt das Internet wie eine bequeme Abkürzung. Unzählige Anbieter versprechen eine sofortige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, oft ohne echten Arztkontakt.

Doch wegen einer solchen Online-Krankschreibung kündigte ein Arbeitgeber dem Betroffenen außerordentlich. Der Fall ging vor Gericht, und die juristische Entscheidung ist aufschlussreich.

Dieses aktuelle Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm (Az.: 14 SLa 145/25) zeigt nämlich, wie riskant diese Angebote sind. Das Gericht erklärte die Kündigung für rechtmäßig, stärkt so die Position der Arbeitgeber deutlich – und sendet ein Warnsignal an alle, die sich ihre AU online „besorgen“, ohne tatsächlich eine medizinische Untersuchung durchlaufen zu haben.

Verhaltenbedingte Kündiging wegen Erschleichens einer Krankschreibung

In diesem Fall ging es darum, dass der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer eine verhaltensbedingte und außerordentliche Kündigung ausgesprochen hatte, nachdem dieser sich krankgemeldet hatte – auf Grundlage einer Online erstellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Der Arbeitgeber sah darin ein Erschleichen einer Krankmeldung, ohne wirklich krank zu sein.

Erwerb einer Online-AU ohne ärztlichen Kontakt

Der Arbeitnehmer meldete sich bei dem Arbeitnehmer für den Zeitraum vom 19. bis 23. August 2024 krank. Über eine Website erwarb er hierfür kostenpflichtig eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ohne direkten Kontakt zu einem Arzt.

Stattdessen füllte er online einen Fragebogen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten aus. Abgefragt wurden unter anderem Symptome, Fieber, die ausgeübte Tätigkeit, die körperliche Belastung der Arbeit sowie Faktoren, die eine Genesung verzögern könnten.

Arbeitnehmer füllt lediglich Online-Fragebogen aus

Der Kläger gab an, als Informatiker tätig zu sein und unter Unwohlsein, trockenem Husten, Glieder- sowie Rückenschmerzen zu leiden. Die berufliche Anstrengung bewertete er als „mittel“. Zudem gab er an, verschiedene Medikamente einzunehmen, darunter Keltican, Ibuflam 800 mg, Lumbagil, Prospan und Aspirin Complex. Ein persönlicher, telefonischer oder digitaler Kontakt zu einem Arzt fand im Rahmen der Ausstellung der Bescheinigung nicht statt.

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von „Privatarzt“

Einige Stunden nach dem Ausfüllen des Fragebogens erhielt der Kläger die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Diese ähnelte optisch einem früher verwendeten Papiermuster der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (Muster 1b, 1.2018). Die Bescheinigung vom 21. August 2024, ausgestellt auf den Namen des Klägers mit persönlichen Daten und Angabe der Krankenkasse, wies ihn ab dem 19. August 2024 als arbeitsunfähig aus. Im Feld „Arzt-Nr.“ war lediglich „Privatarzt“ eingetragen.

“Fernuntersuchung“ ohne Arztstempel

Unter „voraussichtlich arbeitsunfähig“ wurde vermerkt, dass die Feststellung ausschließlich per Fragebogen und somit „aufgrund Fernuntersuchung“ erfolgt sei, gültig bis zum 23. August 2024. Anstelle eines Arztstempels fanden sich die Angaben:„Privatarzt per Telemedizin
WhatsApp: +49 (…) E-Mail: (…)“

Unten rechts trug das Dokument die Bezeichnung „Muster 1b (1.2018)“. Das vollständige Erscheinungsbild ergibt sich aus Blatt 47 der arbeitsgerichtlichen Akte.

Ohne Gespräch ist der AU-Schein günstiger

Auf der Website wurde sowohl ein „AU-Schein ohne Gespräch“ als auch ein „AU-Schein mit Gespräch“ angeboten, wobei Letzterer teurer war. Beim Angebot ohne ärztliches Gespräch wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Form der Krankschreibung einen geringeren Beweiswert habe.

Arbeitgeber könnten bei Zweifeln die Anerkennung verweigern. Zudem wurde erklärt, dass die Ärzte, die die AU ohne Gespräch ausstellen, international tätig seien und keine Zulassung in Deutschland benötigten. Auf der AU erscheine deshalb lediglich die Bezeichnung „Privatarzt per Telemedizin“.

Arbeitnehmer reicht umstrittene Bescheinigung ein

Der Kläger reichte die Bescheinigung vom 21. August 2024 über das interne System seines Arbeitgebers ein und erhielt die automatisierte Meldung „approved“ als Eingangsbestätigung. Am 26. August 2024 nahm er seine Arbeit wieder auf. Die Beklagte zahlte ihm für den angegebenen Zeitraum Entgeltfortzahlung.

Die Hürden für den Arbeitgeber sind hoch

Das Gericht stellte klar, dass der Arbeitgeber im Falle einer fristlosen Kündigung wegen unentschuldigten Fehlens beweisen muss, dass der Arbeitnehmer nicht nur gefehlt, sondern auch tatsächlich nicht krank gewesen ist. Normalerweise hat der Arbeitnehmer hier einen starken Vorteil: Legt er eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, besitzt diese einen hohen Beweiswert und gilt als wichtigstes gesetzliches Mittel zum Nachweis der Erkrankung.

Arbeitnehmer muss seine Krankheit genau darlegen

Zweifelt der Arbeitgeber jedoch die Arbeitsunfähigkeit an – etwa weil er eine Täuschung des Arztes oder eine fehlerhafte Beurteilung vermutet –, muss er konkrete Umstände vortragen und gegebenenfalls beweisen, die gegen die Krankheit sprechen. Gelingt es ihm, den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern, kehrt die Beweislast in den Zustand vor Vorlage des Attests zurück:

Der Arbeitnehmer muss dann genauer darlegen, welche Krankheit tatsächlich vorlag, wie sich seine Beschwerden äußerten und welche ärztlichen Anweisungen er erhalten hat. Dazu gehört auch, behandelnde Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden.

Patientenakte und ärztliche Aussage

Erst wenn der Arbeitnehmer diese Angaben gemacht hat, muss der Arbeitgeber versuchen, den Vortrag zu widerlegen. In solchen Fällen kommen regelmäßig die Patientenakte oder die Aussage des Arztes als Beweismittel in Betracht.

Das Gericht betonte zudem, dass besonders schwerwiegende Umstände, die den Beweiswert des Attests erschüttern, sogar als starkes Indiz für eine vorgetäuschte Krankheit gewertet werden können – ein Indiz, das der Arbeitnehmer aktiv entkräften muss.

Beweiswert der Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bricht wegen fehlender Standards ein

Der Beweiswert der AU-Bescheinigung vom 21. August 2024 ist erheblich geschwächt. Grund ist die Missachtung der verbindlichen medizinischen Standards gemäß § 4 Abs. 5 AU-Richtlinie.

Verstöße gegen § 4 und § 5 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie können nach Rechtsprechung und Erfahrung des Normgebers den Beweiswert einer Krankschreibung massiv erschüttern. Das Bundesarbeitsgericht bestätigt diese Einschätzung ausdrücklich.

Online-Krankschreibung ohne ärztliche Untersuchung verliert Glaubwürdigkeit

Im konkreten Fall fand keine ärztliche Untersuchung statt – weder persönlich noch im Rahmen eines mittelbaren Kontakts. Die Bescheinigung wurde ausschließlich durch Ausfüllen eines Online-Fragebogens und gegen Gebühr erstellt.

Der Anbieter selbst weist darauf hin, dass seine Bescheinigungen lediglich einen eingeschränkten Beweiswert besitzen. Dies reduziert die Glaubwürdigkeit der attestierten Arbeitsunfähigkeit erheblich.

Kläger liefert unzureichende Nachweise zu seinen gesundheitlichen Einschränkungen

Trotz des geschwächten Beweiswerts erfüllte der Kläger seine Substantiierungspflicht nicht.

Er schilderte nur oberflächlich Symptome und Medikamente aus dem Online-Fragebogen. Konkrete Angaben zu tatsächlichen gesundheitlichen Einschränkungen und deren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit an den einzelnen Tagen fehlten vollständig – ein entscheidender Mangel im arbeitsgerichtlichen Verfahren.

Warum die außerordentliche Kündigung rechtmäßig und verhältnismäßig ist

Die außerordentliche Kündigung erweist sich als rechtlich zulässig und verhältnismäßig.
Angesichts der Gesamtumstände war es dem Arbeitgeber nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis – selbst nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – fortzusetzen.

Eine Abmahnung musste der Arbeitgeber nicht aussprechen, so sagten Richter. Sie wäre ungeeignet, das entstandene Vertrauen wiederherzustellen oder das Fehlverhalten künftig zu verhindern.

Arbeitnehmer greifen aus Zeitdruck zu Online-AUs – und riskieren viel

Das Urteil zeigt eine klare Richtlinie, bei einem Problem, das immer häufiger entsteht: Mehr und mehr Beschäftigte klicken sich innerhalb weniger Minuten zu einer Krankschreibung. Die Plattformen versprechen Komfort, Schnelligkeit und Diskretion.

Viele Nutzer verlassen sich darauf, dass die digitale AU denselben Wert besitzt wie ein klassisches Attest aus der Arztpraxis. Genau auf diesem Vertrauen baut die Branche auf – doch das Urteil aus Hamm entlarvt diese Sicherheit als trügerisch.

Schwerwiegender Vertrauensbruch

Das Gericht bewertet eine online ausgestellte AU ohne vorherigen Arztkontakt als schwerwiegenden Vertrauensbruch. Wer seinem Arbeitgeber wissentlich eine solche Bescheinigung vorlegt, riskiert die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Die Richter begründen das mit der einfachen Tatsache, dass eine medizinische Diagnose ohne persönliche oder telemedizinische Untersuchung nicht entstehen kann. Damit stellt das Gericht klar: Eine Krankschreibung ist kein digitales Produkt, sondern das Ergebnis ärztlicher Expertise.

Gerichte billigen Arbeitgebern Zweifel an Online-AUs zu

Das Landesarbeitsgericht betont, dass Arbeitgeber nicht blind jedem digitalen Attest vertrauen müssen. Wenn Anhaltspunkte nahelegen, dass kein echter Arztkontakt stattgefunden hat, darf der Arbeitgeber die AU anzweifeln und Konsequenzen ziehen.

Arbeitnehmer gefährden ihre Glaubwürdigkeit

Für Arbeitnehmer bedeutet das, dass sie ihre Glaubwürdigkeit gefährden, wenn sie auf zweifelhafte Online-Dienste zurückgreifen. Wer eine AU einreicht, die lediglich auf einem kurzen Fragebogen basiert oder nach wenigen Klicks erstellt wurde, handelt nach Ansicht des Gerichts unter Umständen arglistig. Das Urteil unterstreicht damit die Bedeutung eines intakten Vertrauensverhältnisses im Arbeitsleben.

Telemedizin bleibt zwar erlaubt – aber nur mit echtem Arztkontakt

Digitale Krankschreibungen bleiben weiterhin legal, sofern sie auf einer echten ärztlichen Einschätzung beruhen. Telemedizin nutzt Video-Sprechstunden, telefonische Anamnesen oder strukturierte digitale Prozesse, die eine fundierte Diagnose ermöglichen. Das Urteil richtet sich ausschließlich gegen Anbieter, die Krankschreibungen ohne jegliche Form der Untersuchung ausstellen.

Indem das Gericht zwischen seriöser Telemedizin und sogenannten „Gefälligkeitsbescheinigungen“ unterscheidet, schützt es die Integrität medizinischer Diagnosen und stärkt zugleich das Vertrauen in echte digitale Gesundheitsangebote.

FAQ: Was bedeutet das Urteil für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?

Sind Online-Krankschreibungen grundsätzlich verboten?
Nein. Telemedizinische AUs bleiben zulässig, wenn tatsächlich ein ärztlicher Kontakt stattfindet.

Wann droht eine Kündigung?
Eine Kündigung wird möglich, wenn Beschäftigte eine AU verwenden, die ohne Untersuchung erstellt wurde und den Arbeitgeber täuschen soll.

Darf mein Arbeitgeber die digitale AU anzweifeln?
Ja. Wenn Hinweise bestehen, dass kein echter Arztkontakt vorlag, darf der Arbeitgeber die AU hinterfragen.

Was gilt für Anbieter, die AUs ohne Untersuchung ausstellen?
Sie bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone. Das Urteil setzt sie unter erheblichen Druck.

Wie erhalte ich eine legale digitale AU?
Über seriöse telemedizinische Anbieter, die Diagnosen per Video oder Telefon stellen.

Fazit: Was sind die Lehren aus diesem Urteil?

Das Urteil des LAG Hamm zeigt klar: Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangt medizinische Fachkenntnis und echte Diagnostik. Beschäftigte sollten Angebote meiden, die schnelle AUs ohne Untersuchung versprechen, denn sie riskieren nicht nur arbeitsrechtliche Konsequenzen, sondern auch ihr berufliches Vertrauen.

Arbeitgeber erhalten mehr Sicherheit, zweifelhafte Atteste zu hinterfragen. Telemedizin bleibt ein legitimer Weg – aber nur dann, wenn sie verantwortungsvoll und ärztlich fundiert eingesetzt wird.