Bürgergeld-Bezieher musste wegen Mutmaßungen des Jobcenters im Wald leben

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Durch bloße Annahmen des Jobcenters wurden einem Leistungsberechtigten alle Bürgergeld-Leistungen gestrichen. In Folge musste der Betroffene im Wald in einer Hütte leben.

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) hat in einem aktuellen Beschluss (Aktenzeichen: L 7 AS 532/22 B) eine rechtswidrige Aufhebung von Arbeitslosengeld II (ALG II) kritisiert.

Jobcenter stoppte Hilfeleistungen

Im verhandelten Fall bezog der Antragsteller zunächst Sozialleistungen, doch aufgrund von verpassten Terminen und mangelnder Erreichbarkeit stoppte die zuständige Behörde die Zahlungen.

Der Antragsteller argumentierte, dass gesundheitliche Gründe und seine Betreuungssituation dazu führten, dass er nicht in der Lage war, diese Termine wahrzunehmen. Daraufhin stoppte das Jobcenter die Leistungen.

Der Betroffene musste aufgrund von Mutmaßungen des Jobcenters in einer Hütte im Wald leben, nachdem seine Leistungen per Bescheid gänzlich aufgehoben wurde. Er habe keinerlei Geld mehr, bettele und fahre mit öffentlichen Verkehrsmitteln „schwarz“.

Hilfeleistungen erst nach eidesstattlicher Versicherung

Der Kläger hat dann in Folge eidesstattlich versichert, in einer Hütte im Wald zu übernachten. Er zahle dafür weder Miete noch Heizung und Strom. Er suche regelmäßig bei Freunden Unterschlupf, die ihn mit Essen versorgten oder es ihm ermöglichten, zu duschen. Er fahre zudem ohne Fahrschein. Erst danach hat das Jobcenter die Leistungsgewährung wieder aufgenommen.

In diesem Verfahren vor dem Landessozialgericht NRW ging es um die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aus dem Vorverfahren vor dem Sozialgericht Dortmund (Az: S 32 AS 4134/21 ER).

Und so urteilte das Landessozialgericht NRW:

Aufhebung wegen bloßer Spekulation des Jobcenters

1. Aufhebungsbescheid ohne ausreichenden Beweis

Das Gericht stellte fest, dass der Aufhebungsbescheid rechtswidrig war, da er lediglich auf bloßen Spekulationen der Leistungsbehörde beruhte und die Behörde nicht nachweisen konnte, dass der Hilfesuchende über ausreichendes Einkommen verfügte.

2. Zweifelhafte Begründung und mangelnde Kooperation

Die Begründung des Aufhebungsbescheids, in der die Behörde davon ausging, dass der Antragsteller nicht mehr hilfebedürftig sei, weil er nicht persönlich vorgesprochen habe, ließ Zweifel an der tatsächlichen Einschätzung der Behörde aufkommen. Die mangelnde Kooperation des Antragstellers rechtfertigte nicht die Annahme seiner Nicht-Hilfebedürftigkeit.

3. Entziehungsbescheid statt Aufhebung

Selbst wenn ein Leistungsträger aufgrund mangelnder Mitwirkung des Leistungsempfängers leistungserhebliche Fragen klären müsse, sei im Fall fehlender Kooperation höchstens ein Entziehungsbescheid in Betracht zu ziehen.

Entscheidungsgründe des Gerichts

Der Antragsteller hatte gegen die Aufhebung seiner Bürgergeld-Leistungen Widerspruch eingelegt und um Prozesskostenhilfe für das einstweilige Rechtsschutzverfahren gebeten. Das Sozialgericht Dortmund hatte den Antrag abgelehnt, da es den Bescheid für rechtmäßig hielt. Das LSG NRW hob diese Entscheidung auf und bewilligte Prozesskostenhilfe.

1. Rechtmäßigkeitszweifel und objektive Beweislast

Das Gericht betonte, dass Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestanden. Nach § 39 Nr. 1 SGB II trägt die Behörde die objektive Beweislast für die Änderung der Verhältnisse, die eine Aufhebung rechtfertigen.

2. Mangelnde Beweisführung des Leistungsträgers

Der Antragsgegner konnte keinen einzigen Anhaltspunkt dafür liefern, dass der Antragsteller nicht mehr hilfebedürftig war. Die Beweislast wurde nicht erfüllt, und die Entscheidung basierte auf bloßen Mutmaßungen.

3. Aussicht auf Erfolg des Rechtsbehelfs

Das Gericht sah hinreichende Aussicht auf Erfolg im Hauptsacheverfahren und bewilligte daher die Prozesskostenhilfe für den Antragsteller.

Bloße Mutmaßungen dürfen nicht zur Leistungseinstellung führen

Die Beratungsstelle Tacheles e.V. wies in ihrem Urteilsticker in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Leistungsträger existenzsichernde Leistungen nicht aufgrund von bloßen Mutmaßungen verweigern dürfen. Ein Aufhebungsbescheid ist rechtswidrig, wenn dieser nur bloße Spekulationen enthält und die Behörde nicht beweist, dass der Hilfesuchende über Einkommen verfügt, so Tacheles.

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