Bürgergeld-Bezieher: Faul, eingewandert und selbst schuld?

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Bürgergeld-Bezieher sind oft mit Vorurteilen konfrontiert. Nicht zuletzt die Diskussion um die Höhe der Bürgergeld-Regelsätze sowie Sanktionen bei abgelehnten Jobangeboten hat dazu geführt, dass von Leistungsbeziehenden in der Öffentlichkeit ein negatives Bild gezeichnet wird.

Kanzlei sammelte Daten

Die Kanzlei “Rightmart” aus Bremen prüft seit 2015 Hartz IV- und heute aktuelle Bürgergeldbescheide. Dabei legen sie bei Bedarf Widerspruch beim zuständigen Jobcenter ein, um beispielsweise Rückzahlungen zu erwirken oder laufende Zahlungen an die Lebenssituation der Leistungsberechtigten anzupassen.

Insgesamt sind im Laufe der Zeit mehr als 300.000 Bescheide bei der Kanzlei eingegangen. Jetzt gewähren die Juristinnen und Juristen der Kanzlei erstmals Einblick in die gesammelten Daten und gingen dabei auch den hartnäckigen Vorurteilen gegenüber Bürgergeldbeziehern auf den Grund.

Viele Vorurteile im Netz

Vor allem in sozialen Medien wie Facebook und Twitter sehen sich Leistungsbeziehende immer wieder regelrechten Hasstiraden ausgesetzt. Diese richten sich gegen Flüchtlinge, Arbeitslose und Kriegsflüchtlinge, also gegen Menschen, die staatliche Sozialleistungen beziehen.

Die Kommentatoren behaupten, diese Gruppen würden “auf Kosten der Steuerzahler leben” und sich “alles in den Hintern schieben lassen”.

Ironischerweise teilen einige der Kommentatoren dieselben Vorurteile wie diejenigen, die keine Sozialleistungen erhalten. In einer Zeit, in der verschiedene Krisen wie Gesundheit, Klima, Wirtschaft und Weltfrieden die Diskussionen dominieren, wird der Ton vor allem in den sozialen Medien immer rauer. Doch was steckt wirklich hinter dem Klischee des angeblich “faulen, arbeitsunwilligen Schmarotzers”? Wer sind die Bürgergeld-Betroffenen?

Die Mehrheit der Empfänger ist weiblich und häufig alleinerziehend

Der durchschnittliche Bürgergeldbezieher oder die durchschnittliche Bürgergeldbezieherin heißt weder Ahmed noch Ayse, sondern eher Nicole, Jennifer oder Andreas. Typisch deutsch sind auch die Familiennamen Müller, Schmidt und Schneider. Diese Namen gehören zu den häufigsten Familiennamen in Deutschland. Namen, die auf einen Migrationshintergrund hinweisen, sind in der Statistik eher selten vertreten.

Mit 62 Prozent ist die Mehrheit der Personen, die ihre Bescheide überprüfen lassen, weiblich. Rechtsanwalt Mohamed El-Zaatari erklärt den hohen Frauenanteil damit, dass Frauen, insbesondere Mütter, häufig alleinerziehend sind, wegen der Kinderbetreuung häufiger in Teilzeit arbeiten und immer noch weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen in vergleichbaren Positionen. Daher müssen sie ihr Einkommen teilweise mit Sozialleistungen aufstocken.

Im Durchschnitt alleinerziehend und zwei Kinder

Hinsichtlich der Haushaltszusammensetzung haben 77 Prozent derjenigen, die ihre Bescheide überprüfen ließen, durchschnittlich zwei Kinder und leben mit 2,43 Personen in einer Bedarfsgemeinschaft.

Dabei geben 40 Prozent an, alleinerziehend zu sein. Das durch Fernsehsendungen wie “Hartz und herzlich” vermittelte Bild der kinderreichen Familie scheint also nicht der Realität zu entsprechen.

Und wie wird gewohnt? In 97 Prozent der Fälle zur Miete, die sich inklusive Nebenkosten auf 748,03 Euro im Monat beläuft. Mehr als die Hälfte lebt ohne Partner in einem Haushalt, ist also alleinstehend.

Jeder fünfte Bürgergeld-Bezieher ist erwerbstätig

Ein weit verbreitetes Vorurteil über Bürgergeldbezieher ist, dass sie bei der Arbeitssuche zu wählerisch seien und jede Arbeit ablehnten. Dabei ist mehr als jeder Fünfte erwerbstätig, arbeitet im Durchschnitt fünf Tage die Woche und verdient rund 851 Euro brutto im Monat.

Diese Zahlen decken sich auch mit der offiziellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit, wonach von den derzeit 3,9 Millionen Bürgergeldbeziehern gut 21 Prozent ihr Einkommen aus Erwerbstätigkeit aufstocken müssen.

Die durchschnittliche Entfernung zum Arbeitsplatz beträgt 12 Kilometer, die 90 Prozent der Betroffenen ohne eigenes Auto zurücklegen müssen.

Leben am Existenzminimum

Rechtsanwalt El-Zaatari betont, dass der Bezug von Bürgergeld ein Leben am Existenzminimum bedeute, oft sogar trotz Arbeit. Dies sei weder theoretisch noch praktisch wünschenswert.

Der Anwalt verweist auf zahlreiche Studien und Statistiken, die immer wieder belegten, dass das negative Bild vom “arbeitsunwilligen Sozialschmarotzer” schlicht nicht der Realität entspreche. Leider hält sich dieses Vorurteil auch bei Arbeitgebern hartnäckig. Dies erschwert es den Leistungsempfängern, der Abwärtsspirale zu entkommen und im Arbeitsleben wieder Fuß zu fassen.

Für die Studie wurden über 9.000 interne Datensätze aus den Jahren 2022 und 2023 ausgewertet. Die Daten sind zuverlässig, erheben aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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