Anonyme Anzeigen beim Jobcenter können zu schweren Konsequenzen bei den Leistungsbeziehenden führen, da die Jobcenter diese verwenden, um zustehenden Leistungen zu kürzen oder sogar einzustellen, wie dieser Fall zeigte, der vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen verhandelt wurde.
Jobcenter entzog Leistungen wegen bloßer Unterstellung
Ein Betroffener bezog als Alleinstehender Leistungen nach dem SGB II. Das zuständige Jobcenter bewilligte nach dem SGB II Regelbedarf sowie Aufwendungen für Unterkunft und Heizung vom 1.3.2022 bis zum 28.2.2023: 1.113,09 Euro für März 2022 sowie jeweils 924,34 Euro pro Monat von April 2022 bis Februar 2023.
Die tatsächlichen Aufwendungen für Grundmiete und Nebenkosten von 661,24 Euro wurden mit 601,25 von der Behörde unterstützt. Der Antragsteller wurde informiert, dass er Änderungen in persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die für die Leistung erheblich seien, unverzüglich und unaufgefordert mitzuteilen habe. Verletze er diese Pflicht, müsse er mit einer Rückforderung rechnen.
Am 12.10.2022 forderte das Jobcenter die Unterlagen für Heizkosten 2021 und Betriebsabrechnungskosten 2021 als Kopie sowie eine Stellungnahme, wer sich aktuell in der Wohnung aufhalte – denn 2020 waren noch der Antragsteller und eine Frau genannt.
Der Antragsteller sollte außerdem erklären, wie er die Differenz zwischen der tatsächlichen und vom Jobcenter anerkannten Miete aufbringe. Falls er die genannten Unterlagen nicht vollständig zum genannten Termin einreiche, könnten ihm Geldleistungen entzogen werden.
Anonymer Hinweis und Adresse der Ex-Frau
Das Jobcenter erhielt einen anonymen Hinweis, dass sich der Antragsteller zum besagten Zeitraum nicht in der Wohnung aufhalte, laut Jobcenter hätte er nicht mitgewirkt.
Es sei auch aufgefallen, dass die Heiz- und Betriebskostenabrechnung an besagte Frau D.M. adressiert worden seien, obwohl diese dort seit 2014 laut ihren Unterlagen nicht mehr gemeldet war. Das Jobcenter hätte vergeblich versucht, den Antragsteller zu Hause anzutreffen.
Am 18.10.2022 reichte der Antragsteller die geforderten Unterlagen für 2021 ein, auf denen mit ihm Frau D.M aufgeführt war. Am 27.10.2022 erinnerte das Jobcenter ihn an seine Mitwirkungspflicht und stellte eine letzte Frist bis zum 10.11.2022.
Noch einmal wurde eine Stellungnahme gefordert, wer sich aktuell in der Wohnung aufhalte, da in den Abrechnungen für 2020 außer ihm Frau D.M genannt sei. Auch das Erbringen der Mietkosten müsse er erklären. Ansonsten könnten die Geldleistungen ganz oder teilweise entzogen werden.
Am 11.2022 teilte das Jobcenter dem Betroffenen mit, dass der Hartz IV-Bescheid vom 2.3.2022 mit Wirkung vom 1.10.2022 aufgehoben sei, da er die angeforderten Unterlagen nicht vorgelegt habe. Es könne derzeit nicht nachvollzogen werden, ob und wer sich in der Wohnung aufhalte und relevante aufklärende Unterlagen seien nicht eingereicht worden.
Ex-Frau ist unter neuer Adresse bekannt
Am 24.11.2022 legte der Antragsteller Widerspruch ein, denn er habe mitgewirkt. Er wohne seit 2016 allein in der Wohnung. Auf den Abrechnungen würde schon immer der Name seiner Ex-Frau stehen.
Diese wäre beim selben Leistungsträger wie er seit zehn Jahren gemeldet. Es habe sich nichts geändert und es sei unklar, warum die Sachbearbeitung Probleme mache. Auch der zuständige Amtsleiter könne als sein Nachbar bestätigen, dass der Kläger unverändert allein in der Wohnung lebe.
Dies sei auch aus den Kontoabzügen, den Betriebs- und Heizkostenabrechnungen ersichtlich, ebenso aus der Quadratmeterzahl und der genannten Zahl der Bewohner (nämlich Eins). Nachdem das zuvor zuständige Sozialgericht gegen den Antragsteller entschied, gab ihm letztlich das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Recht.
Unterstellung statt Tatsachenbeleg
Laut dem Landessozialgericht entfalle der Anspruch auf die Leistung nach dem SGB II ganz oder teilweise bei einer rechtserheblichen Ändeurng.
Dies könne im vorliegenden Fall dann möglich sein, wenn Ex-Frau und Kinder mit in der Wohnung lebten und Einkommen erzielten, das auf den Bedarf des Antragstellers angerechnet werden könnte. Besonders würde dies auf Unterkunft und Heizung zutreffen, die dann kopflastig aufzuteilen seien.
Diese rechtserhebliche Änderung hätte das Jobcenter aber nicht nachgewiesen und die aktuellen Wohnverhältnisse des Antragstellers nicht festgestellt. Dass der Antragsteller sich weigerte, ergänzende Angaben zu machen, sei bestenfalls ein Aufklärungshindernis, aber keine Änderung der Verhältnisse.
Um die Bürgergeld-Leistung aufzuheben, hätte das Jobcenter selbst klären müssen, ob sich die Verhältnisse änderten, zum Beispiel durch Befragen der Ex-Ehefrau.
Das Vorliegen oder Fehlen fraglicher Tatbestandsmale könne nicht quasi unterstellt werden. Deshalb müsse das Jobcenter dem Antragsteller die vorenthaltenen Leistungen auszahlen.
Falls die Behörde in Zukunft die Verhältnisse aufkläre und den Beleg erbringe, dass diese sich derart verändert hätten, dass die Leistungen unberechtigt gewesen sei, stünde es ihm frei, diese zurückzufordern.
Urteil
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entschied zugunsten eines Bürgergeld-Leistungsbeziehers (L12 AS 1820/22 B ER, L 12 AS 1825/22 B) Diesem entzog das zuständige Jobcenters Leistungen in Höhe von 3.701,36 Euro und muss diese jetzt auszahlen. Das Landessozialgericht hob damit vorherige Gerichtsbeschlüsse auf.
Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht, Sozialpolitik und Naturwissenschaften. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.