Bürgergeld: Rückforderungen und Aufrechnungen des Jobcenters

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Bereits erhaltene Bürgergeld-Leistungen dürfen nur in bestimmten Fällen vom laufenden Leistungsanspruch durch das Jobcenter einbehalten werden. Beim Bürgergeld (ehemals Hartz-IV oder Arbeitslosengeld II) gibt es einige Anlässe, bei denen das Jobcenter “Geld zurückfordern” kann: Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn:

  • Darlehen zurückgezahlt werden müssen,
  • eine Bildungsmaßnahme schuldhaft abgebrochen wird,
  • die Hilfebedürftigkeit mutwillig herbeigeführt wurde,
  • die Leistungsempfangenden unangemeldet in den Urlaub gefahren sind,
  • die Angaben nicht der Wahrheit entsprechen,
  • eine sonstige Pflichtverletzung vorliegt.

Aufrechnungen sind nur in Ausnahmefällen zulässig

Die zentrale Frage ist dabei aber, wann die Jobcenter Ansprüche eintreiben dürfen. Mit dem laufenden Bürgergeld-Bezug dürfen Ansprüche nämlich nur in klar definierten Ausnahmefällen verrechnet werden – das heißt, nur in diesen seltenen Ausnahmefällen darf das Bürgergeld um berechtigte Rückforderungen des Amtes gekürzt werden.

Solche Aufrechnungen sind laut SGB II nur in zwei Fällen zulässig:

  1. Für einen unabweisbaren Bedarf, der von der Regelleistung nach § 20 SGB II umfasst wird, wurde ein Darlehen gewährt, das nun zurückgezahlt werden muss (§ 23 Abs. 1 SGB II).
  2. Die Rückforderung des Amtes beruht darauf, dass der/die Leistungsbezieher/in vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat (§ 43 SGB II).

In allen anderen Fällen sollten Sie überprüfen lassen, ob eine Aufrechnung rechtswidrig ist.

Bagatellgrenze: Verzicht auf Rückforderungen unter 50 Euro

Zusammen mit dem Bürgergeld wurde auch eine Bagatellgrenze von 50 Euro für die gesamte Bedarfsgemeinschaft eingerichtet. Auf Rückforderung von unter 50 Euro kann das Jobcenter verzichten.

Aufrechnung, um ein Darlehen vom Jobcenter zu tilgen – ist das erlaubt?

Ja, zumindest in den meisten Fällen. Das Jobcenter darf die Leistungen aufrechnen, wenn Sie ein Darlehen für etwas beantragt haben, dass Sie eigentlich aus Ihrer Regelleistung zahlen sollen – beispielsweise für eine Stromnachzahlung oder eine Mietkaution oder für eine wichtige Anschaffung wie beispielsweise ein neuer Kühlschrank oder eine neue Waschmaschine.

Vor dem 01.07.2023 wurde vom Jobcenter ein Anteil von maximal 10 % des jeweiligen Regelsatzes zur Rückzahlung des Darlehens einbehalten. Ab dem 01. Juli 2023 wird dieser Anteil auf maximal 5 % gesenkt.

Es liegt im Ermessen des Amtes, den Prozentsatz festzulegen. So sind auch Aufrechnungssätze nahe Null möglich und – in Verbindung mit § 44 SGB II – kann das Amt die Darlehensschuld auch erlassen.

Rückforderungen wegen Pflichtverletzungen – Was darf das Jobcenter?

Leistungsbeziehende haben gegenüber dem Jobcenter eine Mitwirkungspflicht, zu der unter anderem eine Teilnahme an Maßnahmen, die Wahrnehmung von Terminen, das Schreiben von Bewerbungen oder die Eigeninitiative bei der Jobsuche zählen.

Ebenso müssen die Angaben zur finanziellen Situation und zu den monatlichen Kosten der Wahrheit entsprechen. Kommt es zu einer Pflichtverletzung werden die Leistungen gestaffelt nach folgendem Prinzip gekürzt:

  • Nach der ersten Pflichtverletzung wird das Bürgergeld einen Monat lang um 10 % des jeweiligen Regelsatzes verringert.
  • Nach der zweiten Pflichtverletzung wird das Bürgergeld zwei Monate lang um 20 % des jeweiligen Regelsatzes gekürzt.
  • Nach der dritten und bei jeder weiteren Pflichtverletzung wird das Bürgergeld drei Monate lang um 30 % des jeweiligen Regelsatzes reduziert.
  • Nach einem Jahr ohne weitere Pflichtverletzung wird die nächste Pflichtverletzung so behandelt, als sei es die erste, also mit einer Leistungsminderung um 10 %.

Wichtig: Eine Aufrechnung ist dann – und nur dann! – zulässig, wenn Leistungen zu unrecht gezahlt wurden (“Überzahlung”), weil der/die Leistungsbezieher/in “vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben” (§ 43 SGB II) gemacht hat.

Es muss also ein aktives Fehlverhalten vorliegen. Wenn es der/die Leistungsbezieher/in hingegen “bloß” versäumt, eine Änderung (z.B. Einkommenszufluss) mitzuteilen, dann rechtfertigt dies keine Aufrechnung! Wohl aber die Rückforderung, die dann “stehen bleibt”.

Vorsätzlich handelt in diesem Sinne, wer wissentlich und willentlich, also zielgerichtet, falsche Angaben macht. Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und selbst Dinge nicht beachtet oder bedenkt.

Liegt ein solches Fehlverhalten bei Ihnen nicht vor, dann ist eine Aufrechnung nicht zulässig und rechtswidrig. Erst recht ist eine Aufrechnung natürlich rechtswidrig, wenn die Überzahlung auf einem Fehler des Amtes beruht.

Veränderungen innerhalb einer Woche mitteilen

Als Faustregel gilt, dass Sie dem Jobcenter Veränderungen, beispielsweise beim Einkommen, innerhalb einer Woche mitteilen. Wer länger wartet, riskiert, dass die Verzögerung als vorsätzliches Verschweigen und somit als Pflichtverletzung gewertet wird.

Bürgergeld-Leistungskürzung wegen unangemeldetem Urlaub

Wer Bürgergeld-Leistungen in Anspruch nimmt, darf sich nicht über längere Zeit außerhalb des näheren Bereichs des zuständigen Jobcenters aufhalten. Leistungsbeziehende, die in den Urlaub fahren wollen, müssen dafür eine Zustimmung des Amtes einholen. In der Regel werden drei Wochen pro Jahr bewilligt.

Leistungsbeziehende, die unangemeldet in den Urlaub fahren oder sich lange Zeit außerhalb des Einzugsgebiets des zuständigen Jobcenters aufhalten, müssen im schlimmsten Fall mit einem Entfall der Leistungen in dem jeweiligen Zeitraum rechnen. Das kann nicht nur die Regelleistung betreffen, sondern auch die Kosten für die Unterkunft und im Extremfall auch die Kosten der Krankenversicherung.

Bei einem angemeldeten Urlaub werden die Leistungen über bis zu drei Wochen weitergezahlt (Quelle: § 7 Absatz 4a SGB II).

Wann darf das Jobcenter nicht aufrechnen?

Eine Aufrechnung ist ausschließlich dann erlaubt, wenn Sie absichtlich falsche Angaben gemacht haben oder ein Darlehen beantragt haben, um etwas zu bezahlen, das im Regelsatz enthalten sein sollte. Das bedeutet im Umkehrschluss, in allen anderen Fällen darf nicht aufgerechnet werden. Das gilt auch in folgenden Fällen:

  • Das Amt hat sich verrechnet und zu viel bzw. zu Unrecht Leistungen ausgezahlt. Hier darf eventuell nicht aufgerechnet werden, selbst bei einer offensichtlichen Überzahlung, die der/die Leistungsberechtigte leicht erkennen kann. Im Zweifelsfall muss ein Gericht entscheiden, ob eine Rückforderung gerechtfertigt ist.
  • Sie haben sich „sozialwidrig” verhalten und das Amt hat nun Ersatzansprüche nach § 34 SGB II. Das heißt, Sie haben Ihre Hilfebedürftigkeit “mutwillig” selbst herbeigeführt. Trotzdem darf das Amt seine Ersatzansprüche nicht durch Einbehaltungen von laufenden Bürgergeld-Leistungen eintreiben. Unter Umständen greifen jedoch Sanktionen nach § 31 Abs. 4 SGB II.

Haben widerrechtliche Aufrechnungen System?

Nach unseren Erfahrungen mit dem ehemaligen Hartz-IV-System praktizieren die Ämter vielfach unzulässige Aufrechnungen und behalten Geld ein, das Betroffene dringend zum Leben brauchen.

Nicht selten bearbeiten die Ämter auch rechtzeitig gemeldete Änderungen (zum Beispiel über einen Nebenverdienst) viel zu spät, so dass es monatelang zu Überzahlungen kommt. Diese Überzahlungen werden dann rechtswidrig wieder vom aktuellen Leistungsanspruch abgezogen.

Wie kann ich mich gegen unzulässige Aufrechnungen wehren?

Wir empfehlen, auch wenn es bekanntlich Mühe macht und Nerven kostet, sich rechtlich gegen unzulässige Aufrechnungen zu wehren. Denn da die Rechtslage eindeutig und die Praxis der Ämter vielfach offenkundig rechtswidrig ist, sind die Erfolgsaussichten mehr als gut!

Legen Sie als erstes Widerspruch ein. Widersprüche gegen noch nicht bestandskräftige Aufrechnungsbescheide haben hier (!) aufschiebende Wirkung. Rückforderungen des Amtes und daraus resultierende Aufrechnungen unterliegen nicht dem § 39 SGB II (= sofortige Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten über Leistungen der Grundsicherung).

Das Jobcenter will Geld von mir zurück. Was passiert als Nächstes?

Im Regelfall besteht der Vorgang der Aufrechnung aus drei Teilentscheidungen des Amtes:

  1. Aufhebungsbescheid (Überzahlungen werden korrigiert)
  2. einem Rückforderungsbescheid (bestimmt die Geldsumme, die erstattet werden soll) und einem
  3. Aufrechnungsbescheid (laufende Geldleistung wird um eine monatliche Rückforderung gekürzt).

Die Teilentscheidungen können auch in einem Bescheid zusammengefasst sein.

Widerspruch gegen die Aufrechnung einlegen – Was muss ich machen?

Wir empfehlen sicherheitshalber, in Ihrem Widerspruch immer auch ausdrücklich der Aufrechnung zu widersprechen.

Wenn Sie beispielsweise eigentlich Widerspruch gegen die Rückforderung selbst einlegen wollen (Sie glauben beispielsweise, dass Sie gar kein Geld zurückzahlen müssen) sollten Sie immer auch schreiben, dass Sie der Aufrechnung widersprechen. Also auch wenn die Rückforderung selbst strittig ist und sich Ihr Widerspruch im Kern dagegen richtet, sollten Sie ausdrücklich der Aufrechnung widersprechen.

Besonders lohnend ist es auch, alte rechtswidrige Aufrechnungsbescheide im Nachhinein über einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X (“Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts”) anzufechten. Denn wenn das Amt monatelang unzulässig aufgerechnet hat, können Sie beachtliche Geldbeträge zurückfordern.

Bis über Ihren Widerspruch entschieden ist, darf das Jobcenter Ihre Leistungen nicht kürzen. Wenn Sie einen Bescheid zu Ihrem Widerspruch bekommen, können Sie gegen die Entscheidung mit einer Anfechtungsklage vorgehen.

Quellen:

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II):

Sozialgesetzbuch (SGB) Zehntes Buch (X):