Die gesetzliche Krankenkasse muss versicherten Rollstuhlfahrern an ihrem Wohnort mehr Mobilität bei der Erledigung ihrer Alltagsgeschäfte ermöglichen. Danach darf die Krankenkasse die für die Mobilität erforderliche Versorgung nicht allein auf Hilfsmittel beschränken, mit denen der behinderte Mensch nur „fußläufige“ Entfernungen überwinden kann, urteilte am 18. April 2024 das Bundessozialgericht (BSG) (Az.: B 3 KR 13/22 R und weitere).
Motorunterstützten Handkurbelrollstuhlzuggerät bei der Kasse beantragt
Auch Hilfsmittel, die zur Überwindung größerer Entfernungen geeignet sind, müsse die Krankenversicherung – je nach den örtlichen Gegebenheiten – zum mittelbaren Behinderungsausgleich zur Verfügung stellen, so die Kasseler Richter.
Im Leitfall hatte ein nach einem Verkehrsunfall querschnittsgelähmter Rollstuhlfahrer aus dem Weserbergland geklagt. Bei ihm besteht wegen des ständigen Zugreifens auf den Greifreifen seines Rollstuhls eine schmerzhafte Arthrose am Daumensattelgelenk.
Um dennoch an seinem Wohnort selbstständig kleinere Einkäufe oder auch mal Fahrradtouren mit Freunden durchführen zu können, beantragte er bei seiner Krankenkasse die Versorgung mit einem motorunterstützten Handkurbelrollstuhlzuggerät zum Preis von rund 6.500 Euro.
Krankenkasse lehnt ab
Die Krankenkasse lehnte ab. Sie sei zwar zum mittelbaren Behinderungsausgleich verpflichtet. Dazu gehöre, dass der Rollstuhlfahrer in die Lage versetzt werde, im Nahbereich seiner Wohnung seine Alltagsverrichtungen selbst zu erledigen. Nach der Rechtsprechung des BSG seien aber nur solche Hilfsmittel zu gewähren, mit denen gehbehinderte Menschen fußläufige Entfernungen bewältigen können.
Hier führe das Zuggerät dazu, dass sich der Rollstuhlfahrer über den Nahbereich seiner Wohnung hinaus fortbewegen könne – und dann auch noch mit einer Geschwindigkeit von bis zu 25 Stundenkilometern.
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Dies überschreite „das Maß des Notwendigen“. Es bestehe kein Grundbedürfnis, sich den Nahbereich um die Wohnung schneller als mit durchschnittlicher Schrittgeschwindigkeit zu erschließen. Er könne aber einen „restkraftunterstützenden Aktivrollstuhl“ erhalten. Dieser stelle eine wirtschaftlichere Versorgung dar, so die Krankenkasse.
Bundessozialgericht erleichtert Rollifahrern Alltagsbesorgungen
Die obersten Sozialrichter sprachen dem Kläger das Rollstuhlzuggerät zu und änderten damit teilweise ihre bisherige Rechtsprechung. Allerdings könne er das Hilfsmittel nicht verlangen, um den Erfolg seiner Krankenbehandlung zu sichern oder einer drohenden Behinderung vorzubeugen.
Hierfür fehle es bereits an einer entsprechenden Behandlungsempfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), der Richtlinien zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erlässt.
Mobilität auf Kassenkosten nicht nur im fußläufigen Nahbereich
Der Kläger habe jedoch mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention Anspruch auf einen mittelbaren Behinderungsausgleich und das Recht auf „persönliche Mobilität“. Um ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben führen zu können, müsse er trotz seiner Mobilitätseinschränkungen „die für die üblichen Alltagsgeschäfte maßgeblichen Orte“ erreichen können.
Dazu gehörten etwa der Einkauf oder der Apothekenbesuch im Nahbereich der Wohnung. Ob auch der Arztbesuch dazu zählt, ließ das BSG offen.
Das Mobilitätsverhalten habe sich aber so verändert, dass nicht mehr alle wesentlichen Orte zur Erledigung der Alltagsgeschäfte „fußläufig“ zu erreichen sind. Gestalteten sich die örtlichen Gegebenheiten so, dass auch größere Entfernungen zurückzulegen sind, könne der Versicherte hierfür ein geeignetes Hilfsmittel beanspruchen.
Dem Anspruch auf das Hilfsmittel stehe daher nicht entgegen, dass der Kläger mit dem Rollstuhlzuggerät 25 Stundenkilometer und auch weitere Strecken fahren könne. fle
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