Eine schwerbehinderte Mieterin muss nicht aus der Wohnung ausziehen, trotz berechtigten Eigenbedarfs der Vermieterin. Obwohl die Vermieterin ihre pflegebedรผrftige Mutter in der Wohnung unterbringen wollte, entschied das Landgericht Heidelberg, dass ein Hรคrtefall vorliegt. (Az. 5 S 46/23)
Kรผndigung nach Wechsel des Vermieters
Die Betroffene lebt seit 2004 in einer Wohnung im Erdgeschoss. Diese ist barrierefrei und so gestaltet, dass die Frau sie mit ihrer Einschrรคnkung und Pflegebedรผrftigkeit nutzen kann.
2015 รผbernahmen die jetzigen Vermieter die Wohnung, und 2023 kรผndigten sie der Mieterin wegen Eigenbedarfs laut Paragraf 573 Absatz 2 Nummer 2 BGB.
90-jรคhrige Mutter der Vermieterin soll รผbernehmen
Die 90-jรคhrige Mutter der Vermieterin sollte in die Wohnung einziehen. Sie nutzt einen Rollator und konnte selbst ihre bisherige Wohnung im dritten Stock ohne Aufzug kaum mehr verlassen. Auch einer der Enkel sollte mit seiner Familie einziehen, um die alte Frau zu unterstรผtzen.
Die schwerbehinderte Mieterin widersprach, denn sie hatte bereits vor der der Kรผndigung seit 2019 intensiv nach einer alternativen Wohnung in Heidelberg gesucht und keine gefunden.
Wie ist die Rechtslage?
Der Paragraf 574 Absatz 1 BGB setzt fest, dass ein Mieter der Kรผndigung des Vermieters widersprechen kann und die Fortsetzung des Mietverhรคltnisses fordern, wenn dessen Ende fรผr den Mieter, Angehรถrige des Haushalts oder seine Familie eine Hรคrte bedeutet, die nicht zu rechtfertigen ist, selbst wenn der Vermieter ein berechtigtes Interesse hat.
Lesen Sie auch:
–ย Hรถhere Erwerbsminderungsrente bei Schwerbehinderung? Rentenexperte klรคrt auf
Amtsgericht entscheidet gegen die Mieterin
In der ersten Instanz bekam die Vermieterin vor dem Amtsgericht Recht. Ein Hรคrtefall liege nicht vor, und das Gericht gab der Rรคumungsklage der Vermieterin statt, da die Mieterin trotz wirksamer Kรผndigung nicht ausgezogen sei.
Das Landgericht sieht nicht zu rechtfertigende Hรคrte
Das Landgericht hob dieses Urteil jedoch auf und entschied zugunsten der Mieterin. Das Mietverhรคltnis bleibt bestehen. Die Kรผndigung wegen Eigenbedarfs sei zwar berechtigt, doch in diesem speziellen Fall รผberwรถgen die Interessen der Mieterin.
Das Mietverhรคltnis sei nรคmlich ausnahmsweise fortzusetzen, wenn die Rรคumung fรผr den Mieter eine besondere Hรคrte darstelle. Auch unter Abwรคgung mit den Interessen der Vermieterin sei ein Auszug fรผr die Betroffene unzumutbar.
Beide Parteien haben ein wichtiges Interesse
Dabei fรผhrte das Gericht ausdrรผcklich aus, dass beide Parteien ein gewichtiges Interesse am Bezug der Wohnung hรคtten. Die Mutter der Vermieterin hรคtte aufgrund ihrer kognitiven und kรถrperlichen Verfassung einen erheblichen Bedarf an der Wohnung.
Die derzeitige Mieterin sei jedoch aufgrund ihres Gesundheitszustands und Pflegebedarfs auf eine barrierefreie Wohnung im Erdgeschoss angewiesen.
Ein Umzug ist nicht in Aussicht
Zudem sei ein Umzug nicht in Aussicht. Die soziale und therapeutische Versorgung der derzeitigen Mieterin sei erstens eng mit ihrer jetzigen Wohnung verbunden, die sie schon seit 20 Jahren bewohne, so das Gericht.
Die Mieterin hรคtte vier Jahre erfolglos eine andere Wohnung gesucht, und selbst die Vermieter hรคtten keine gefunden, obwohl sie einen Makler beauftragt hรคtten. Insgesamt รผberwiege daher das Interesse der Mieterin.
Das Mietverhรคltnis muss auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden, da unklar sei, ob und wenn, dann wann die Mieterin eine zumutbare alternative Unterkunft finde.
Was bedeutet dieses Urteil
Das Urteil ist glasklar eine Entscheidung รผber einen Einzelfall, die sich nicht automatisch auf andere Fรคlle รผbertragen lรคsst.
Zuerst einmal gibt es fรผr Mieter grundsรคtzlich das Recht, wegen einer ungerechtfertigten Hรคrte ein Mietverhรคltnis fortzusetzen, selbst wenn der Vermieter ein berechtigtes Interesse hat, die Wohnung anderweitig zu nutzen.
Zweitens hat das Gericht diesen speziellen Fall aber sehr genau abgewogen, denn beide Seiten hatten hier ein wichtiges Interesse. Letztlich wog hier das existentielle Interesse der Mieterin schwerer, die รผberhaupt keine Alternative zu genau dieser Wohnung hatte, als das Interesse der ebenfalls pflegebedรผrftigen Mutter der Vermieterin.
Dieses war zwar erheblich, aber nicht existentiell.