Angeschlagene Gesundheit kann Eigenbedarfskündigung des Vermieters aushebeln

Gesundheitsgefahr Eigenbedarfskündigung: BGH verlangt von Mietern regelmäßig Sachverständigengutachten

Eine Eigenbedarfskündigung können Mieter nicht mit einem pauschalen Verweis auf ihr Alter, ihre Gesundheit oder ihre lange Mietdauer aushebeln. Aber: Führen sie wegen des vom Vermieter geforderten Umzugs konkrete Hinweise auf eine drohende erhebliche Gesundheitsverschlechterung an, müssen Gerichte künftig von Amts wegen regelmäßig ein Sachverständigengutachten dazu einholen, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) am Mittwoch, 22. Mai 2019 (Az.: VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/18). Nur so könnten das Interesse des Vermieters an seinem Eigentum und das Interesse des Mieters an seiner Gesundheit sorgfältig miteinander abgewogen werden.

Im ersten Verfahren ging es um eine über 80-jährige demenzkranke Frau aus Berlin. Sie lebt mit ihren zwei erwachsenen Söhnen seit über 45 Jahren in einer 73 Quadratmeter großen Mietwohnung.

Als 2015 die Wohnung verkauft wurde, wollte der neue Eigentümer dort einziehen. Er machte Eigenbedarf geltend und wies darauf hin, dass er derzeit mit seiner Ehefrau und seinen zwei Kleinkindern in einer nur 57 Quadratmeter großen Wohnung lebe.

Das Landgericht Berlin hielt zwar die Eigenbedarfskündigung für wirksam, wies die Klage auf Räumung der Wohnung jedoch ab. Das Gericht verwies auf das hohe Alter der Mieterin, ihre mit einem ärztlichen Attest belegte Demenzerkrankung und ihre mit der langen Mietdauer einhergehende Verwurzelung in der Wohnung. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass sie Schwierigkeiten haben werde, bezahlbaren Wohnraum zu finden.

Im zweiten Fall wollte die Eigentümerin einer vermieteten Doppelhaushälfte in Kabelsketal bei Halle mit ihrem Partner dort einziehen, um ihrer pflegebedürftigen Großmutter näher sein zu können. Sie kündigte dem Mieter wegen Eigenbedarfs.

Dieser machte geltend, dass ihm im Fall eines Umzugs erhebliche gesundheitliche Risiken drohten. Der unter Betreuung stehende Mann litt laut Attest an verschiedenen Erkrankungen wie eine Alkoholsucht, Demenz und einer Schizophrenie. Bei ihm sei zudem Pflegestufe II festgestellt worden. Ein Umzug sei daher für ihn unzumutbar.

Die Vorinstanzen hielten die Eigenbedarfskündigung für rechtmäßig. Schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr im Fall eines Umzuges würden sich aus dem ärztlichen Attest nicht ergeben.

Der BGH verwies beide Fälle zur erneuten Prüfung zurück. Gebe es bei einer Eigenbedarfskündigung konkrete Hinweise auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Mieters, etwa mit einem ärztlichen Attest, müsse ein Gericht dies von Amts wegen regelmäßig mit einem Sachverständigengutachten prüfen.

Nicht zulässig sei eine Tendenz der Instanzgerichte, Härtefälle nach allgemeinen Fallgruppen wie ein bestimmtes Alter oder eine bestimmte Mietdauer zu beurteilen. Erforderlich sei vielmehr eine Prüfung des Einzelfalls. Denn je nach Persönlichkeit des Mieters könne sich ein Umzug unterschiedlich auf die jeweilige körperliche und psychische Verfassung auswirken.

In dem einzuholenden Gutachten müsse daher festgestellt werden, welche konkreten Gesundheitsgefahren bei einem Umzug drohen und welche therapeutischen Maßnahmen diese mindern könnten. Im Fall um die demenzkranke Berlinerin habe das Landgericht zu schematisch entschieden und dabei auch auf das Alter abgestellt. Erforderlich sei hier ein Sachverständigengutachten, welches die Gesundheitsgefahren der Frau im Fall eines Umzugs konkret untersucht.

Im zweiten Verfahren urteilte der BGH, dass das Landgericht Halle das von dem Mieter vorgelegte ärztliche Attest „bagatellisiert” habe. Auch hier sei ein Sachverständigengutachten zu den Auswirkungen eines erzwungenen Umzugs auf den Gesundheitszustand des Mieters einzuholen.

Der Deutsche Mieterbund (DMB) zeigte sich mit den Urteilen unzufrieden. Die Anforderungen an die Geltendmachung von Härtegründen seien mit der Einholung von Sachverständigengutachten erhöht worden. „Bisher galt der Grundsatz, dass bei der Abwägung zwischen den grundgesetzlich geschützten Gütern auf Vermieterseite – Eigentum und freie Lebensgestaltung – und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Mieters den Mieterinteressen Vorrang einzuräumen ist”, erklärte DMB-Bundesdirektor Lukas Siebenkotten. Dieser Grundsatz sei nun vom BGH relativiert worden. fle/mwo

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