Wer dauerhaft mit einem Partner zusammenlebt, ohne verheiratet zu sein, muss unter bestimmten Voraussetzungen finanziell fรผr diesen einstehen โ auch dann, wenn eine frรผhere Ehe nie geschieden wurde. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in einem Urteil entschieden:
Eine formell weiterbestehende Ehe schรผtzt eine neue Lebenspartnerin nicht vor mรถglichen Forderungen des Sozialamts. Das Urteil betrifft insbesondere รคltere Menschen mit geringem Einkommen, die mit einem neuen Partner zusammenleben. (B 8 SO 14/18 R)
Inhaltsverzeichnis
Rentner lebt seit Jahrzehnten mit neuer Partnerin โ Sozialamt lehnt Hilfe ab
Ein Rentner aus Berlin, geboren 1936, lebte seit 1982 mit einer neuen Partnerin in einer Mietwohnung zusammen โ rechtlich jedoch weiter mit seiner Ehefrau verheiratet. Die Wohnsituation war formal durch einen Untermietvertrag geregelt.
Laut diesem zahlte der Mann die Hรคlfte der Miete sowie der Lebenshaltungskosten. Seine geringe Rente โ im Jahr 2007 rund 535 Euro monatlich โ reichte nicht zum Leben. Die Rentenzahlung ging direkt auf das Konto der Partnerin, ein eigenes Bankkonto hatte der Rentner nicht.
Nachdem frรผhere Antrรคge auf Grundsicherung abgelehnt worden waren, stellte der Mann 2007 erneut einen Antrag. Das zustรคndige Amt verweigerte die Leistungen mit dem Verweis auf eine eheรคhnliche Lebensgemeinschaft mit der Mitbewohnerin. Diese habe ausreichendes Einkommen, um den Lebensunterhalt beider zu decken.
Gericht bestรคtigt: Bestehende Ehe schlieรt neue Verantwortung nicht aus
Das Bundessozialgericht stellte klar: Die Tatsache, dass der Klรคger formal verheiratet war, hindert nicht die Annahme einer neuen Bedarfsgemeinschaft. Entscheidend sei nicht der Familienstand, sondern das tatsรคchliche gemeinsame Leben mit einem anderen Partner. Eine dauerhafte Trennung von der Ehefrau liege vor โ dies entfalte sozialrechtliche Wirkung. Damit kรถnne die neue Partnerin auch als wirtschaftlich verantwortliche Bezugsperson gelten.
Das BSG betonte, dass das Bestehen einer Ehe nicht automatisch eine andere, gleichartige Partnerschaft ausschlieรe. Wichtig sei lediglich, dass keine weitere vergleichbare Lebensgemeinschaft gleichzeitig gefรผhrt werde. Der Schutz der Ehe nach Artikel 6 Grundgesetz werde dadurch nicht verletzt, solange keine rechtliche oder wirtschaftliche Verbindung mehr zum Ehepartner besteht.
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Kriterien: Wann liegt eine eheรคhnliche Gemeinschaft vor?
In Fรคllen wie diesem prรผfen Gerichte sorgfรคltig, ob bestimmte Merkmale erfรผllt sind, die auf eine eheรคhnliche Gemeinschaft hinweisen. Dazu zรคhlen eine gemeinsame Haushaltsfรผhrung, eine wirtschaftliche Verflechtung โ etwa durch ein gemeinsames Konto oder einen gemeinsamen Mietvertrag โ sowie das Bestehen einer dauerhaften Lebensgemeinschaft, in der die Partner Verantwortung fรผreinander รผbernehmen. Ebenso relevant ist, dass keine weiteren intimen Beziehungen zu Dritten bestehen.
Besonders wichtig ist dabei der gegenseitige Wille der Partner, sich dauerhaft zu unterstรผtzen โ sowohl emotional als auch finanziell. Genau an diesem Punkt trat im Berliner Fall ein entscheidendes Problem auf: Das Landessozialgericht hatte es unterlassen, die Lebenspartnerin des Klรคgers zu befragen.
Dabei wรคre ihre Aussage wesentlich gewesen, um den Charakter der Beziehung korrekt einschรคtzen zu kรถnnen. Das Bundessozialgericht kritisierte diesen Verfahrensfehler ausdrรผcklich.
Verfahrensfehler: Wichtige Beweisaufnahme unterblieb
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hatte die Klage zunรคchst abgewiesen, ohne eine zentrale Zeugin โ die Lebensgefรคhrtin โ zu befragen. Der Rentner hatte ihre Vernehmung im Verfahren ausdrรผcklich beantragt. Das Gericht lehnte dies mit der Begrรผndung ab, dass subjektive Aussagen der Beteiligten unerheblich seien, wenn objektive Indizien fรผr eine Gemeinschaft vorliegen.
Das BSG rรผgte diese Vorgehensweise scharf. Es sah im unterlassenen Beweisverfahren einen klaren Verstoร gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (ยง 103 SGG). Die Aussagen der Partnerin seien โ entgegen der Auffassung des LSG โ sehr wohl relevant, um den tatsรคchlichen Charakter der Beziehung zu beurteilen. Das Verfahren wurde deshalb an die Vorinstanz zurรผckverwiesen.
20 Jahre zusammen โ ein Indiz fรผr enge Bindung, aber kein Beweis
Das Zusammenleben der beiden รผber einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten stellt zweifellos ein starkes Indiz fรผr eine gefestigte Beziehung dar. Laut Rechtsprechung ist eine solche Dauer geeignet, den Eindruck einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft zu bestรคtigen.
Doch allein die Zeit reicht nicht aus. Entscheidend ist das Gesamtbild โ insbesondere ob eine gemeinsame wirtschaftliche Planung vorliegt und die Partner ihr Einkommen wie in einer Ehe einsetzen. Im konkreten Fall war unter anderem unklar, warum die Rente des Klรคgers auf das Konto der Lebensgefรคhrtin ging und welche Vereinbarungen fรผr Haushalts- und Lebenshaltungskosten galten.
Konsequenzen fรผr Betroffene: Eigenverantwortung statt staatlicher Hilfe
Das Urteil verdeutlicht, wie eng private Lebensverhรคltnisse und sozialrechtliche Leistungsansprรผche miteinander verknรผpft sind. Wer mit einem neuen Partner zusammenlebt, obwohl eine frรผhere Ehe formal noch besteht, kann nicht automatisch auf staatliche Hilfe bauen.
Besonders kritisch wird es, wenn die Partnerin oder der Partner wirtschaftlich besser gestellt ist. In solchen Fรคllen prรผft das Sozialamt, ob eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft vorliegt. Wird dies bejaht, kann die Grundsicherung verweigert werden โ auch wenn sich beide Partner als wirtschaftlich unabhรคngig verstehen.
Was kรถnnen Betroffene tun?
Um finanzielle Nachteile zu vermeiden, ist eine vorausschauende und strukturierte Organisation der eigenen Lebensverhรคltnisse unerlรคsslich. Dazu gehรถrt vor allem, die finanzielle Trennung vom Partner klar zu dokumentieren โ beispielsweise durch getrennte Konten oder individuelle Mietzahlungen.
Auch schriftlich festgehaltene Vereinbarungen zur Mietbeteiligung und zur Aufteilung der Haushaltskosten schaffen Transparenz und kรถnnen im Streitfall entlastend wirken. Wer Grundsicherungsleistungen beantragen mรถchte, sollte zudem frรผhzeitig fachliche Beratung in Anspruch nehmen, um rechtliche Fallstricke zu vermeiden.
Wichtig ist auรerdem, auf eine stimmige Gestaltung der tatsรคchlichen Lebensverhรคltnisse zu achten: Scheinregelungen, die offiziell eine Unabhรคngigkeit suggerieren, im Alltag aber nicht gelebt werden, kรถnnen schnell zum Problem werden.
Sozialgericht betont: Eheรคhnliche Gemeinschaft auch bei bestehender Ehe mรถglich
Das Urteil fรผgt sich in eine lange Linie von Entscheidungen, die die Gleichbehandlung unterschiedlicher Lebensformen im Sozialrecht stรคrken. Wรคhrend der Gesetzgeber die Ehe weiterhin privilegiert, darf dies nicht dazu fรผhren, dass neue, faktische Partnerschaften unberรผcksichtigt bleiben.
Die Botschaft des BSG ist klar: Wer dauerhaft mit einem Partner zusammenlebt, wirtschaftet und gemeinsame Verantwortung รผbernimmt, lebt unter Umstรคnden in einer eheรคhnlichen Gemeinschaft โ unabhรคngig von der juristischen Beziehung zu frรผheren Partnern.