Langfristig erkrankte Bürgergeld-Bezieher müssen zur Prüfung ihrer Erwerbsfähigkeit Arzttermine wahrnehmen. Kommen sie dieser Mitwirkungspflicht wiederholt nicht nach, muss das Jobcenter aber konkret und verständlich auf die Folgen hinweisen und darf nicht einfach die Leistung ohne besondere Begründung ganz streichen, stellte das Bayerische Landessozialgericht (LSG) in München in einem veröffentlichten Urteil klar (Az.: L 16 AS 652/20).
Klägerin sechs Monate krank
Im Streitfall ging es um eine heute 59-jährige Frau, die zusammen mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern im damaligen Hartz-IV-Bezug stand.
Im Oktober 2011 wurde ihr amtsärztlich bescheinigt, dass sie krankheitsbedingt voraussichtlich bis zu sechs Monate weniger als drei Stunden täglich nicht dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen könne.
Das Jobcenter wollte nach Ablauf der Frist wissen, ob die Frau dauerhaft als erwerbsunfähig einzustufen und nun der Sozialhilfeträger für die Sicherung des Existenzminimums zuständig ist.
Doch die Betroffene wollte sich nicht weiter begutachten lassen. Ihre Schwester, ihre Mutter und ihr Vater seien infolge von ärztlichen Behandlungen ums Leben gekommen.
Erst 2015 kam sie einer Begutachtung nach. Danach wurde sie erneut, aber nicht auf Dauer als leistungsunfähig eingestuft.
2018 und 2019 forderte das Jobcenter die Frau wieder zur medizinischen Untersuchung auf und schrieb zuletzt:
„Wenn sie ohne wichtigen Grund dieser Einladung zur ärztlichen Untersuchung nicht Folge leisten, können die Leistungen ganz entzogen oder versagt werden, da ihre Erwerbsfähigkeit und damit die Anspruchsvoraussetzungen nicht geklärt werden können.”
Als sie erneut Arzt-Termine ohne Begründung nicht wahrnahm, entzog das Jobcenter ihr die Leistungen in Höhe des ganzen Regelbedarfs, monatlich 382 Euro. Sie habe ihre Mitwirkungspflicht verletzt.
Jobcenter muss konkret und verständlich zur Mitwirkung auffordern
Die Klage der Leistungsbezieherin hatte beim LSG Erfolg. Zwar sei die Frau ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, indem sie grundlos zur erforderlichen medizinischen Untersuchung nicht erschien. Damit habe sie die notwendige Sachverhaltsaufklärung über ihre Erwerbsfähigkeit „erheblich erschwert”.
Das Jobcenter habe aber nicht konkret, richtig und vollständig darüber informiert, welche Folgen die fehlende Mitwirkung habe. Weder sei darauf hingewiesen worden, dass die Leistungen tatsächlich bei der Klägerin entzogen werden, noch habe die Behörde den Umfang der Leistungsentziehung genannt. Dass bei einer nachgekommenen Mitwirkung die Zahlung wieder fortgesetzt werde, sei ebenfalls nicht erläutert worden.
Bürgergeld- Entzug nicht gerechtfertigt
Schließlich hätte das Jobcenter besonders begründen müssen, warum der Klägerin die gesamte Regelleistung entzogen werden muss. Denn auch bei einer Erwerbsunfähigkeit wäre sie weiter hilfebedürftig geblieben. Dann wäre lediglich der Sozialhilfeträger für sie zuständig gewesen. Das Jobcenter habe hier eine fehlerhafte Ermessensentscheidung getroffen. fle
Anmerkung Detlef Brock – Redakteur
1. Gegen einen Versagungsbescheid ist die reine Anfechtungsklage zulässig.
2. Die Rechtmäßigkeit eines auf § 66 SGB I gestützten Versagungsbescheides ist allein danach zu beurteilen, ob die in dieser Vorschrift geregelten Voraussetzungen bei seinem Erlass erfüllt waren.
3. Unerheblich für die Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen einen Versagungsbescheid ist ein erst durch eine während des Rechtsmittelverfahrens nachgeholte Mitwirkung erbrachter Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen des geltend gemachten Sozialleistungsanspruchs.
4. Wendet sich der Leistungsempfänger gegen die Versagung einer Sozialleistung mangels Mitwirkung, so hat er über die Aufhebung des Versagungsbescheides hinaus regelmäßig kein schützenswertes Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung. Eine Leistungsklage ist dann unzulässig.
5. Die Entscheidung über eine Versagung nach § 66 Abs 1 SGB I steht im Ermessen des Jobcenters.
6. Ein Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensnichtgebrauchs kann darin bestehen, dass die Behörde Leistungen ganz versagt, ohne dies zu begründen oder eine teilweise Versagung in Betracht zu ziehen ( vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 17. Januar 2020 – L 4 AS 269/18 – ).
7. Des Weiteren kann ein Fehlgebrauch erfolgt sein, wenn das Jobcenter ihrer Ermessensbetätigung einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Schließlich liegt eine Ermessensunterschreitung oder ein Ermessensmangel vor, wenn zwar Ermessenserwägungen angeführt werden, diese aber unzureichend sind, weil sie zum Beispiel nur aus formelhaften Wendungen bestehen