Hartz IV: Ist es sozialwidrig die eigene Mutter zu pflegen?

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Weil eine Hartz IV Bezieherin ihre Mutter pflegte, verlangte das Jobcenter die Rückzahlung der Sozialleistungen

Wenn Eltern pflegebedürftig werden, werden sie oft in Heime “abgeschoben”. Doch manchmal helfen auch direkte Angehörige, die sich damit eine große Bürde aufladen. So auch eine Hartz IV Bezieherin, die sich um ihre schwerbedinderte und pflegebedürftige Mutter kümmerte. Eben jenes soziales Verhalten deklarierte das zuständige Jobcenter als “sozialwidriges Verhalten” und verlangte 7.100,00 EUR zurück. Doch das Landessozialgericht Niedersachsen folgte der Auffassung der Behörde nicht.

Eine Bezieherin von Arbeitslosengeld II kümmerte sich um ihre schwerkranke Mutter. Da die Arbeit mit der intensiven Pflege nicht mehr vereinbar war, kündigte sie ihren Job. Das Jobcenter sah darin ein “sozialwidriges Verhalten” und forderte viele Tausende Euro zurück.

Nach Auffassung des Jobcenters habe die Frau bereits vor dem Abschluss des Arbeitsvertrages gewusst, dass sie im Schichtdienst arbeiten würde und dass ein Umzug nicht unternehmbar wäre. Zudem habe die Mutter die Pflegestufe 2 und die Klägerin müsse nicht selbst die Pflege übernehmen. Dies könne auch ein Pflegedienst. Daher sei die Kündigung nicht notwendig gewesen. Aus diesem Grund müsse die Klägerin alle erhaltenen Sozialleistungen zurückzahlen.

Als sich der Gesundheitszustand der Mutter weiter verschlechterte, konnte die Tochter die Pflege und ihren Beruf nicht mehr in Einklang bringen, so die Klägerin. Sie schloss mit ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag, um ihre Mutter weiter pflegen zu können. Damit war sie auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen.

Jobcenter forderte Geld zurück

Das Jobcenter zahlte ihr zwischen dem 1. Dezember 2013 bis 30. November 2015 insgesamt 7.110 Euro an Hartz-IV-Leistungen. Das Geld forderte die Behörde jedoch von der Tochter zurück. Sie habe ihr Arbeitsverhältnis per Aufhebungsvertrag auf eigenen Wunsch gelöst und damit ihre Hilfebedürftigkeit selbst herbeigeführt. Dies sei ein „sozialwidriges Verhalten”, da sie gewusst habe, dass sie mit der Jobaufgabe auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sein wird.

Die gesetzlichen Bestimmungen sehen bei einem „sozialwidrigen Verhalten” vor, dass Hartz-IV-Bezieher erhaltene Leistungen zurückerstatten müssen. Können sie dies wegen Mittellosigkeit nicht, darf das Jobcenter künftige Hilfeleistungen um 30 Prozent kürzen. Erst nach Ablauf von drei Kalenderjahren erlischt der Rückerstattungsanspruch des Jobcenters.

Hier hatte die Tochter vorgebracht, dass die notwendige Pflege eines Angehörigen nicht sozialwidrig sein könne. Ein Festhalten an ihrem Arbeitsverhältnis sei wegen der erforderlichen Pflege unzumutbar gewesen. Das Jobcenter hatte die Frau darauf verwiesen, dass auch ein Pflegedienst die Pflege der Mutter hätte gewährleisten können.

Gericht stoppt Jobcenter

Das Gericht stoppte das Jobcenter und widersprach der Auffassung der Behörde. Angehörige zu pflegen ist grundsätzlich kein „sozialwidriges Verhalten”. Geben Arbeitnehmer wegen einer notwendigen Pflege ihre Arbeitsstelle auf, darf das Jobcenter gezahlte Hartz-IV-Leistungen von ihnen nicht zurückfordern, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 12. Dezember 2018 (Az.: L 13 AS 162/17). Die Behörde habe keinen Erstattungsanspruch. Die Arbeitsaufgabe wegen der notwendigen Pflege der Mutter sei kein „sozialwidriges Verhalten”. Ob eine Pflege tatsächlich notwendig sei und deshalb ein Job aufgegeben werden dürfe, hänge aber vom Einzelfall ab.

Problematische Auffassung von Pflege

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) ging davon aus, dass nach der früheren Pflegestufe II und einem damit einhergehenden Mindestpflegebedarf von 120 Minuten täglich eine Arbeit von bis zu sechs Stunden täglich zumutbar ist. Dies sei jedoch „problematisch”, rügte das LSG, da bei dieser Pflegestufe mindestens dreimal täglich ein Pflegebedarf anfalle.

Die Pflege von Angehörigen gehöre nach dem Gesetz auch zu den familiären Pflichten, die eine Arbeitsaufnahme unzumutbar machen können. Dies sei Teil des „Wertesystems” des Sozialgesetzbuchs II. Ob eine externe Pflegekraft die Pflege angesichts der Sprachschwierigkeiten hätte übernehmen können, sei ebenfalls zweifelhaft. Zudem müsse auch das Selbstbestimmungsrecht der Mutter berücksichtigt werden, wenn diese eine Pflege durch fremde Personen ablehne, so das LSG. Die Arbeitsstelle sie letztlich unzumutbar gewesen, da die Tochter die Pflege der Mutter ohne Jobaufgabe nicht mehr bewältigen konnte.

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