Gehbehinderter muss für Merkzeichen „aG” nicht total gehunfähig sein

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SG Bremen: Merkzeichen nicht auf Rollstuhlfahrer beschränkt

Gehbehinderte Menschen müssen für einen Anspruch auf das Merkzeichen „aG” für eine „außergewöhnliche Gehbehinderung” nicht „absolut gehunfähig” sein. Kann der behinderte Mensch keinen Schritt gehen, ohne sich dabei an einem Rollator oder Rollstuhl festhalten zu müssen, kommt der Anspruch auf das Merkzeichen „aG” in Betracht, entschied das Sozialgericht Bremen in einem am Freitag, 11. Januar 2019, veröffentlichten Urteil (Az.: S 20 SB 297/16).

Im konkreten Fall leidet der Kläger seit seiner Geburt an einer spastischen Zerebralparese. Wegen der spastischen Störung kann der bei einem Jobcenter angestellte Jurist nur höchstens 20 Meter laufen – und dann auch nur, wenn er sich ständig dabei festhalten kann. Er ist daher auf einen Rollator angewiesen. Für längere Strecken nutzt er einen Rollstuhl.

Das zuständige Versorgungsamt hatte bei dem Mann einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 festgestellt und ihm das Merkzeichen „G”, für Beeinträchtigung im Straßenverkehr, zuerkannt.

Der Gehbehinderte verlangte jedoch wegen seiner verschlechterten Gesundheit einen höheren GdB sowie das Merkzeichen „aG”. Dies berechtigt zur Nutzung von Behindertenparkplätzen und bringt Vorteile auch im öffentlichen Nahverkehr.

Dies lehnte die Behörde ab. Der GdB von 80 sei gerechtfertigt. Der Kläger sei auch nicht in „erheblichem Umfang” gehbehindert. Eine „praktische Gehunfähigkeit” liege nicht vor, da er sich mit Pausen mit Hilfe seines Rollators fortbewegen könne. Auf die Benutzung eines Rollstuhls sei er nicht angewiesen. Eine Gleichstellung mit einem doppeloberschenkelamputierten Menschen sei daher nicht gerechtfertigt, so die Behörde.

Das Sozialgericht Bremen stellte zwar in seinem Urteil vom 29. November 2018 fest, dass der Kläger keinen Anspruch auf einen höheren GdB hat. In der Vergangenheit sei dieser bereits großzügig bemessen worden, so dass der derzeitige GdB von 80 seinem Gesundheitszustand entspreche.

Allerdings könne der Kläger das Merkzeichen „aG” für sich beanspruchen. Nach einer seit 2018 geltenden gesetzlichen Neuregelung müsse hierfür mindestens ein GdB von 80 und eine „erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung” vorliegen. Die Vorschriften nennen laut Sozialgericht hier als Regelbeispiel das Angewiesensein auf einen Rollstuhl. Doch der Kläger sei Rollstuhlfahrern gleichzustellen, so die Bremer Richter.

Für das Merkzeichen „aG” sei eine „absolute Gehunfähigkeit” nicht erforderlich. Der Kläger könne nur mit einem Rollator stehen und dann auch nur höchstens 20 Meter laufen. Danach müsse er wegen bestehender Schmerzen eine Pause machen.

Damit liege eine „außergewöhnliche Gehbehinderung” vor, so dass der Kläger das Merkzeichen „aG” und die damit verbundenen Parkerleichterungen im Straßenverkehr beanspruchen kann. Auf diese Weise werde der Kläger auch in der Ausübung seines Berufes unterstützt.

Beide Seiten können gegen dieses Urteil noch Berufung einlegen. fle/mwo

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