Das Sozialgericht Karlsruhe stellte einen Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht. Dieses sollte prüfen, ob die Zuwendungen der Bundesregierung an Hartz IV-Bezieher (heute Bürgergeld) während der COVID-19 Pandemie ausreichend im Sinne der Verfassung waren.
Das Sozialgericht Karlsruhe vertrat dabei die Position, dass die Zuwendungen nicht ausreichten (Urteil vom 06.06.2023 – S 12 AS 2208/22; S 12 AS 1358/23; S 12 AS 1359/23) und damit verfassungswidrig waren.
Inhaltsverzeichnis
Die Entscheidung liegt beim Bundesverfassungsgericht
Die Frage des Sozialgerichts Karlsruhe lautet:
Ist bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar mit “einer Einmalzahlung der Grundsicherungssysteme an erwachsene Leistungsberechtigte und zur Verlängerung des erleichterten Zugangs zu sozialer Sicherung und zur Änderung des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes aus Anlass der COVID-19-Pandemie (Sozialschutz-Paket III)?”
Sind die wegen COVID-19 gezahlten Mittel mit dem Sozialstaatsprinzip vereinbar?
Zweitens heißt es in der Vorlage:
“Dem Bundesverfassungsgericht wird die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 73 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – in der Fassung des Artikel 1 Nummer 5 des Gesetzes zur Regelung eines Sofortzuschlages und einer Einmalzahlung in den sozialen Mindestsicherungssystemen sowie zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes (…) mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes und dem Allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes vereinbar ist.“
Schutzpflicht nicht erfüllt
Das Sozialgericht Karlsruhe vertritt den Standpunkt, der Bundesgesetzgeber habe gegenüber Leistungsberechtigten 2011 / 2022 hinsichtlich der COVID-19 Pandemie sowie den Preissteigerungen seine Schutzpflicht gebrochen, zu der ihn die Verfassung verpflichte.
Einmalzahlungen waren unzureichend
Laut dem Sozialgericht Karlsruhe waren die Einmalzahlungen laut §§ 70, 73 SGB II im Mai 2021 und Juli 2022 von insgesamt 350 Euro unzureichend, “ins Blaue hinein geschätzt”, zu spät gekommen und viel zu niedrig berechnet.
Ein ungerechtfertigte Ungleichbehandlung sei es gewesen, dass nur diejenigen unter den Leistungsberechtigten Einmalzahlungen erhielten, die im Mai 2021 und Juli 2022 Leistungen bezogen.
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Sozialgericht wiederholt bestehende Urteile
Zuvor hatte das Sozialgericht Karlsruhe in einstweiligen Rechtsschutzverfahren ebenso geurteilt (SG Karlsruhe, 11.03.2021, S 12 AS 565/21 ER; SG Karlsruhe, Beschluss vom 24. März 2021 – S 12 AS 711/21 ER).
Justizverwaltung schüchterte Sozialgericht ein?
Die Justizverwaltung Baden-Würtembergs schüchterte den Kammervorsitzenden des Sozialgerichts Karlsruhe dermaßen ein, dass dieser über Monate hinweg beeinträchtigt wurde, die Volage an das Bundesverfassungsgericht vorzubereiten. Doch wurde die Vorlage geschaffen, über die das Bundesverfassungericht entscheiden muss.
Zensur durch die Justizverwaltung?
Eine weisungsgebundene Untergebene der Justizverwaltung des Landes Baden-Württemberg übte Zensur aus gegen die vom Kammervorsitzenden entworfenen sozialgerichtlichen Medieninformation über die Eilentscheidung zur vermeintlichen Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Neuregelung in § 70 SGB II n. F..
Als Vorwand für die Zensur diente das vermeintlich fehlende öffentliche Interesse. Der Zensierte remonstrierte gegen die Zensur, doch die Justizverwaltung beantwortete die Remonstration nicht – auch im dritten Jahr, nachdem diese eingelegt worden war.
Wahrheitswidriges Disziplinarverfahren
Die Zensur allein reichte der Justizverwaltung nicht. Gegen den richterlichen Vorsitzenden des Sozialgerichts wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, mit wahrheitswidrigen Behauptungen – weil er sich gegen die Terrorisierung gewehrt hatte.
Er widerlegte die erlogenen Anschuldigungen. Daraufhin verschleppte das Justizministerium Baden-Würtemberg das Verfahren um sechs Monate.
Trotz dieser Dauerattacke des Justizministeriums gegen den Rechtsstaat, also gegen ein Gericht, das seine Pflicht erfüllt, kam die Vorlage des Sozialgerichts vor das Verfassungsgericht.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.