Bürgergeld: Trotz psychischer Erkrankung – Leistungsbezieher müssen zurückzahlen

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Das Jobcenter kann auch einen unanfechtbaren Verwaltungsakt zurücknehmen, wenn sich später herausstellt, dass dieser von Anfang an rechtswidrig war. Das gilt auch, wenn eine psychische Erkrankung vorliegt, das Gericht diese aber nicht als ausreichend ansieht für eine Unzurechnungsfähigkeit.

So urteilte das Landessozialgericht Baden-Württemberg gegen eine Klägerin, die dem Jobcenter zuvor gezahlte Leistungen erstatten musste. Sie sei, so die Begründung, wegen eines Sparvertrags nicht hilfebedürftig gewesen. Ihre vorhandene psychiatrische Erkrankung entkräfte nicht ihre grobe Fahrlässigkeit. (L 2 AS 3140/22)

Antrag auf Leistungen der Grundsicherung

Die Betroffene beantragte im März 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch II (heute Bürgergeld). Diese Sozialleistung wird nur gewährt, wenn Antragstellende das sozioökonomische Existenzminimum nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können. Zudem gibt es ein Schonvermögen, das den Betroffenen erhalten bleibt und nicht für den täglichen Lebensunterhalt genutzt werden muss.

Vollständige Angabe des Vermögens ist erforderlich

Antragsteller sind verpflichtet, ihre finanzielle Situation vollständig aufzuzeigen. Die Klägerin erklärte, über etwa 65 bis 70 Euro Bargeld zu verfügen. Zusätzlich habe sie eine Sparanlage sowie vier Konten, die jedoch keine Zinsen erwirtschaftet hätten.

Zudem führte sie einen Bausparvertrag auf mit Guthaben von 7.718,96 Euro, den sie aber zur Sicherung eines Darlehens von 40.000 Euro an eine Bank abgetreten hätte.

Außerdem erwähnte sie eine private Rentenversicherung mit einer Versicherungssumme von 1.213,38 Euro, auf die 1.440,00 Euro eingezahlt seien und deren Verkaufswert bei 570,03 Euro läge. Hinzu kam eine Riester-Rente mit einem Vertragsguthaben von 4.956,60 Euro sowie ein Opel Astra mit Kilometerstand von 91.000 Kilometern.

Im Mai 2019 sagte sie gegenüber dem Jobcenter aus, sie hätte alle maßgebenden Vermögenswerte vorgelegt, um die Leistungen zu berechnen, und sie besitze kein weiteres Vermögen.

Jobcenter bewilligt Leistungen und fordert Kontoauszüge an

Das Jobcenter verlangte lückenlose und vollständige Kontoauszüge der letzten drei Monate bis zum Antrag im In- und Ausland sowie Auszüge aller Unterkonten und Kreditkartenkonten.

Die Behörde bewilligte vorläufige Leistungen, um den Lebensunterhalt  von April bis September 2019 zu sichern, in Höhe von 894,00 Euro für Regelbedarf, Grundmiete und Nebenkosten. Später erhielt sie auch Leistungen für die darauffolgenden Monate.

Jobcenter entdeckt ungemeldete Konten und fordert Nachweise

Bei der Durchsicht der Kontoauszüge stellte das Jobcenter fest, dass die Antragstellerin ein weiteres Bausparkonto besaß. Zudem überwies sie monatlich fünf Euro an eine Lebensversicherung und 20,00 Euro an eine weitere Versicherung, die sie nicht angegeben hatte.

Die Behörde forderte sie auf, den Rückkaufswert des Versicherungsguthabens sowie die von ihr eingezahlten Beiträge nachzuweisen.

Jobcenter findet weiteres Konto

Im Dezember 2019 forderte das Jobcenter die Klägerin auf, weitere Unterlagen einzureichen, denn ein Datenabgleich hätte im Jahr 2018 bei der S 1 Kasse 362,00 Euro Zinsen ergeben.

Sie sollte sich dazu äußern, um was für eine Vermögensanlage es sich dabei handelte, ob diese aufgelöst worden sei, und wenn, in welcher Höhe dann eine Auszahlung erfolgt sei. Bestünde die Vermögensanlage weiter, dann werde sie gebeten, den aktuellen Wert anzugeben.

Die Betroffene gab an, kein Konto bei der S 1 Kasse zu haben. Die Kasse teilte dem Jobcenter jedoch mit, dass die Klägerin bis zum 1. April 2019 ein Geldguthaben von 7.360,74 Euro gehabt hätte.

Sparkonto wurde von der Tante angelegt

Im Februar 2020 erklärte die Klägerin, dass sie herausgefunden habe, dass ihre Tante bereits im Jahr 2002 ein Konto für sie eröffnet und seitdem regelmäßig darauf eingezahlt habe. Zwar sei sie die Begünstigte dieses Kontos, jedoch könne sie erst in sieben Jahren darauf zugreifen.

Das Jobcenter forderte die Vorlage der Sparurkunde sowie die Kontoauszüge seit April 2019, außerdem einen Nachweis darüber, wann der Sparvertrag fällig sei und das Guthaben fällig werde und auch darüber, ob eine vorzeitige Kündigung und Auszahlung möglich sei; in diesem Fall sollte sie den Zeitpunkt angeben.

Zugriff auf den Bausparvertrag

Sie legte den Sparvertrag der S 1 Kasse von 2002 vor, und in diesem stand, dass monatlich 26,00 Euro auf das Konto gingen. Zusätzlich war das Sparguthaben jederzeit kündbar, mit einer Frist von drei Monaten. Im März 2020 meldete die Klägerin, dass der Bausparvertrag doch nicht abgetreten war.

Das nicht angegebene Guthaben zählt als Vermögen

Das Jobcenter teilte ihr mit, dass dieses Guthaben bei Leistungsbeginn als Vermögen berücksichtigt werden muss, und die Klägerin über Vermögen und Einkommen verfügt habe. Die Behörde wies zudem darauf hin, dass sie Gelegenheit hätte, sich zum Sachverhalt zu äußern, bevor der Bescheid zurückgenommen würde.

Existenz des Kontos war Klägerin nicht bekannt

Die Betroffene erklärte, sie sei 14 Jahre alt gewesen, als dieses Primärsparkonto eingerichtet worden sei, und sie hätte sich nicht daran erinnert, dass es existierte. Ihre Tante hätte das Guthaben angelegt, damit sie später Geld für die Altersvorsorge habe. Und dieses würde noch sieben Jahre laufen.

Jobcenter nimmt Bewilligung zurück

Das Jobcenter nahm den Bescheid für die Bewilligung von Leistungen für den Lebensunterhalt zurück, da sie zum Zeitpunkt des Antrags nicht hilfebedürftig gewesen sei. Vielmehr habe sie über Vermögen von 10.947,62 Euro verfügt, während der Freibetrag (das Schonvermögen) nur bei 5.250,00 Euro gelegen hätte.

Anspruch auf Leistungen hat nicht bestanden

Von April bis September 2019 hätte sie von diesem Vermögen leben können und deshalb keinen Anspruch auf Leistungen gehabt, und dies gelte auch für Oktober 2019, denn da sei ihr die Prämie des Sparvertrags in Höhe von 393,12 Euro zugeflossen. Sie müsste also 6.633,38 Euro an das Jobcenter zurückzahlen und zudem die von der Behörde geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung erstatten.

Landessozialgericht hält psychiatrische Erkrankung nicht für entscheidend

Die Betroffene klagte, und das Verfahren ging bis zum Landessozialgericht. Die Klägerin machte in der mündlichen Verhandlung geltend, dass sie eine verminderte Einsichts- und Urteilsfähigkeit aufgrund ihres psychiatrischen Krankheitsbildes gehabt habe.

Das Gericht hielt dies aber nicht ausreichend, um das Vorliegen grober Fahrlässigkeit zu verneinen. Es sei nicht erweisen, dass eine psychische Erkrankung vorgelegen hätte, als die Betroffene den Antrag stellte, die ihr subjektives Einsichtsvermögen maßgeblich beeinträchtigt hätte-

Das Gericht ging zwar davon aus, dass die Klägerin psychisch erkrankt sei, sie hätte jedoch 2019 keine ärztlichen Befunde vorgelegt. Erst zweieinhalb Jahre nach dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid hätte sie erstmals auf ihre psychiatrischen Diagnosen verwiesen und eingeräumt, diese hätten ihr Einsichtsvermögen wesentlich beeinträchtigt.

Das Gericht sei nicht davon überzeugt, dass die psychische Erkrankung zum Zeitpunkt der Anträge bereits ein solches Ausmaß erreicht gehabt hätte.

Mit dieser Begründung gab das Landessozialgericht dem Jobcenter Recht und erklärte, dass eine Behörde einen Verwaltungsakt zurücknehmen dürfe, wenn dieser von Beginn an rechtswidrig gewesen sei. (Quelle: LSG, Hinweis Tacheles, Detlef Brock)