Das Bayerische Landessozialgericht hat in einer Entscheidung klargestellt, dass ein vorübergehender Verzicht auf Bürgergeld-Leistungen nicht dazu führen kann, eigene Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit auszublenden. Dies ist deshalb so wesentlich, weil der Anspruch auf Bürgergeld (ehemals Hartz IV) gemäß den Regelungen des Sozialgesetzbuches II (SGB II) vom Einkommen und Vermögen des Antragstellers abhängt – und zwar über den gesamten Bewilligungszeitraum hinweg.
Sobald sich zeigt, dass innerhalb dieses Zeitraums relevante Einkünfte erzielt wurden, sind diese auf die Hilfebedürftigkeit anzurechnen. Ein willkürlicher Verzicht ab einem bestimmten Zeitpunkt, um Einnahmen nicht berücksichtigen zu müssen, ist rechtlich nicht zulässig.
Welche Hintergründe hatte der konkrete Fall?
Der Kläger war selbstständig tätig und in den Monaten Juli bis Oktober ohne nennenswerte Einnahmen. Um seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie zu sichern, stellte er einen Antrag auf Bürgergeld. Folglich bewilligte das Jobcenter vorläufige Leistungen für den Zeitraum von Juli bis Dezember.
Nachdem sich die finanzielle Situation des Mannes änderte und er im November und Dezember hohe Betriebseinnahmen erzielte, bat er das Jobcenter, die Leistungen bereits ab dem 1. November einzustellen.
Obwohl er die bereits im November gezahlten Beträge zurückgab, reichte er bei der obligatorischen Anlage EKS zum Einkommen Selbstständiger ausschließlich Nachweise von Juli bis Oktober ein und argumentierte, sein erklärter Verzicht auf Leistungen ab November müsse dazu führen, dass spätere Einkünfte nicht berücksichtigt würden.
Warum ist der Bewilligungszeitraum entscheidend?
Die rechtliche Grundlage sieht vor, dass das Jobcenter bei der Ermittlung der Hilfebedürftigkeit das Einkommen über den gesamten Bewilligungszeitraum hinweg berechnet.
In diesem Fall umfasste der Zeitraum die Monate Juli bis Dezember. Dass der Selbstständige ab November formal keinen Leistungsbezug mehr wollte, reichte nicht aus, um das erzielte Einkommen in den letzten beiden Monaten unberücksichtigt zu lassen.
Denn für das Sozialrecht legt fest, dass genau jene Einnahmen maßgeblich sind, die innerhalb des vereinbarten Zeitraums anfallen. Wer nur für einzelne Monate Leistungen möchte, währenddessen aber über den gesamten Zeitraum hinweg betrachtet dennoch Einkommen erzielt, muss sich diese Einnahmen auf den Leistungsbezug anrechnen lassen.
Verzicht auf Bürgergeld lief ins Leere
Der Versuch, durch eine einseitige Erklärung des Verzichts die spätere Anrechnung der Einnahmen zu vermeiden, lief ins Leere. Trotz mehrmaliger Aufforderung des Jobcenters reichte der Kläger die geforderten Unterlagen zur Höhe seiner Betriebseinnahmen für die Monate November und Dezember nicht ein. Dies führte schließlich dazu, dass das Jobcenter rückwirkend feststellte, er habe für den gesamten Bewilligungszeitraum zu Unrecht Leistungen erhalten. Die Folge: Sämtliche Zahlungen wurden zurückgefordert.
Sowohl das Sozialgericht München als auch das Landessozialgericht in der Berufungsinstanz entschieden gegen den Kläger. Sie folgten der Argumentation der Behörde, dass das Einkommen des Mannes im November und Dezember heranzuziehen sei und sein Verzicht weder die Pflicht zur Vorlage von Nachweisen noch die Anrechenbarkeit dieser Einkünfte aushebeln könne. Dabei betonten die Gerichte nochmals ausdrücklich, dass solche Strategien, die darauf abzielen, den Leistungsanspruch bewusst zu beeinflussen, den Grundsätzen der SGB-II-Regelungen widersprechen.
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Anlage EKS für Selbstständige
Selbstständige, die Bürgergeld beziehen, müssen regelmäßig ihre Einkünfte in der Anlage EKS offenlegen. Dort machen sie Angaben über Betriebseinnahmen, Betriebsausgaben und den daraus resultierenden Gewinn.
Diese Erklärungen sind grundlegend für die Berechnung der Hilfebedürftigkeit. Wenn – wie in diesem Fall – nur teilweise Angaben gemacht werden und wesentliche Daten zu einzelnen Monaten fehlen, ist das Jobcenter aufgrund der gesetzlichen Vorgaben sogar verpflichtet, anzunehmen, dass die Leistungsberechtigung insgesamt nicht gegeben ist. Denn ohne die vollständige Darstellung der Einkommenssituation kann keine korrekte Berechnung erfolgen.
Was bedeutet das für andere Betroffene?
Die Entscheidung des Landessozialgerichts macht deutlich, dass der Bewilligungszeitraum maßgeblich ist und das Einkommen, das innerhalb dieser Phase anfällt, zwingend berücksichtigt werden muss. Diese Rechtsprechung richtet sich insbesondere an Selbstständige, deren Einnahmesituation oft schwankt.
Wer für bestimmte Monate Bürgergeld beantragt, sollte sich bewusst sein, dass auch spätere Einkünfte nicht einfach durch einen einseitigen Verzicht aus der Berechnung herausgenommen werden können. Damit halten die Gerichte an einem Grundprinzip des SGB II fest: Bürgergeld dient der Existenzsicherung während eines gesamten Bewilligungszeitraums, und daran muss sich auch die Anrechnung von Einkommen orientieren.
Warum ist ein vorübergehender Verzicht nicht möglich?
Der Hauptgrund liegt darin, dass mit einem solchen Verzicht die gesetzlichen Bestimmungen umgangen würden. Es besteht ein Unterschied zwischen der tatsächlichen Hilfebedürftigkeit und dem formalen Leistungsbezug.
Nach Auffassung der Gerichte darf nicht durch bloße Willenserklärung die Einkommensverrechnung ausgehebelt werden. Wer seine Bedürftigkeit geltend macht, unterliegt den Bedingungen des gesamten Bewilligungszeitraums – auch wenn sich die Einkommenssituation später verbessert. Insofern müssten stets alle Einnahmen für die gesamte Dauer berücksichtigt werden, sobald überhaupt Leistungen beantragt und bewilligt wurden.
Damit bleibt festzuhalten: Die Idee, vorübergehend auf Bürgergeld-Leistungen zu verzichten, um eigene Einnahmen „zu verstecken“, ist sowohl aus rechtlicher als auch aus praktischer Sicht zum Scheitern verurteilt. Das Urteil aus Bayern unterstreicht dabei nachdrücklich, dass ein aktiver Eingriff in den Bewilligungszeitraum, um die Hilfebedürftigkeit künstlich zu erhöhen, nicht zulässig ist. (Sozialgericht München AZ: S 45 AS 29/21 und Berufung Landessozialgericht Az: L 7 AS 122/23)