Bürgergeld: Jobcenter muss Nahrungsergänzung als Mehrbedarf übernehmen

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Eine schwerkranke Frau in Berlin erhielt AsylbLG-Leistungen. Die zur Behandlung notwendigen und Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel bezahlte, laut dem Anwalt Volker Gerloff, das Sozialamt in Höhe von mehr als 4000 Euro pro Monat. Die verantwortlichen Ärzte stellten klar, dass die geringste Abweichung von der Arzneieinnahme für die Frau Lebensgefahr bedeutet.

Nachdem die Betroffene jedoch eine Aufenthaltserlaubnis erhielt, erklärten sich sowohl Sozialamt wie Jobcenter für nicht zuständig und wollten nicht zahlen. Die Schwerkranke hatte nur noch Medikamente für wenige Tage. Das Sozialamt zahlte nicht mehr, und das Jobcenter weigerte sich zu zahlen mit der Begründung, die Mandantin sei offensichtlich erwerbsunfähig und falle damit nicht in den Bereich des Jobcenters.

Rechtsverstoß des Jobcenters

Das Jobcenter verstieß mit der Weigerung gegen geltendes Recht, so der Anwalt Volker Gerloff. „Offensichtlich erwerbsunfähig“ ist keine Einschätzung, die das Jobcenter befugt ist, zu treffen. Jemand gilt nämlich als erwerbsfähig, bis die Rentenversicherung festgestellt hat, dass dieser Mensch erwerbsunfähig ist.

Um dies zu prüfen, hätte das Jobcenter ein Verfahren nach § 44a SGB II einleiten müssen. Ein Eilantrag zum Sozialgericht Berlin hatte Erfolg.

Das Gericht verpflichtete das Jobcenter vorläufig, so Gerloff, die Kosten für die Medikamente und Nahrungsergänzung als Mehrbedarf zu übernehmen, bis eine gesetzliche Krankenversicherung eingerichtet und leistungsbereit sein würde (Beschluss AZ: S 179 AS 2950/23 ER).

Das Hin und Her zwischen den Behörden war allem Anschein nach bestenfalls überflüssig. Das Jobcenter hat keine rechtliche Befugnis, über Erwerbsunfähigkeit zu entscheiden. Ein Verfahren nach § 44a SGB II wird aber, aller Wahrscheinlichkeit nach zur Bescheinigung der Erwerbsunfähigkeit führen. Damit wäre die Betroffene wieder in der Verantwortung des Sozialamt.

Das Sozialamt hätte also, so Gerloff, freiwillig die Erwerbsunfähigkeit anerkennen können und die Leistungen nach SGB XII erbringen und somit der Betroffenen überflüssige Unsicherheit und damit verbundenes Leid erspart.

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Erhebliche Probleme beim Rechtsstreitwechsel

Es handelt sich hier zwar um einen speziellen Einzelfall. Kein Einzelfall sind hingegen in Berlin, laut Gerloff, momentan erhebliche Probleme beim Rechtskreiswechsel von AsylbLG zum Jobcenter. So passiere es häufig, dass Betroffene ihren Aufenthaltstitel und damit ihre Arbeitserlaubnis am Ende des Monats bekommen.

Oft werden, laut Gerloff, unverzüglich die Leistungen des Sozialamts eingestellt, und die Betroffenen müssen erst einmal beim Jobcenter einen Antrag stellen (was viele von ihnen nicht einmal wissen). Bis ein solcher Antrag und seine Anerkennung derzeit bearbeitet sind, können Monate verstreichen – Monate, in denen die Betroffenen keinerlei Unterstützung bekommen. Laut dem Jobcenter Berlin-Charlottenburg sei eine Bearbeitung der Anträge in angemessener Zeit nicht möglich – wegen der Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine.

Gerloff sieht den Fehler im System. Er ist überzeugt, dass der AsylbLG-Leistungsträger die Leistungen solange erbringen müsse, bis das Jobcenter dies tue. Das Verfassungsrecht zwinge dazu, Leistungslücken zu vermeiden.

Was lässt sich derzeit tun?

Bis die Frage nach den Leistungslücken rechtlich geklärt ist, sieht Gerloff folgende Möglichkeiten, um die Probleme abzufedern. Betroffene müssten sofort einen Antrag beim Jobcenter stellen, wenn klar ist, wann die Leistungen nach AylbLG enden. Sei klar, dass Leistungslücken entstünden, sollten die Betroffenen unverzüglich einen Anwalt einschalten, der wie bei der auf Medikamente angewiesenen Frau dann ein Eilverfahren anstoßen könnte.

Fälle, in denen unzumutbare Situationen entstünden wie Verlust der Wohnung, Verelendung oder Krankheit müssten dokumentiert und an die Flüchtlingsräte gegeben werden. Dies könne möglicherweise sogar einen Anspruch auf Schadenersatz gegenüber den Behörden rechtfertigen.