Entsorgt eine psychisch kranke Frau im Wahn ihre funktionsfähigen Möbel und ihren Hausrat auf der Straße, muss die Sozialhilfe mit einer Finanzspritze für eine Ersatzbeschaffung einspringen. Dies gelte auch für Bürgergeld- Bezieher in gleicher Lage.
Denn geht die Möbelentsorgung nicht auf einen Verschleiß, sondern auf einen wahnhaften Krankheitsschub zurück, stellt dies nach dem Willen des Gesetzgebers einen außergewöhnlichen Umstand dar, der eine erneute „Wohnungserstausstattung” begründet, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 8 SO 14/20 R).
Sozialhilfe muss nach wahnhafter Hausratentsorgung helfen
Sowohl Arbeitslosengeld-II-Bezieher als auch Sozialhilfeempfänger können von der zuständigen Behörde nach den geltenden Bestimmungen eine „Wohnungserstausstattung” verlangen.
Verschleißen die angeschafften Möbel im Laufe der Zeit, müssen Sozialleistungsbezieher das Geld für neue Einrichtungsgegenstände regelmäßig aus ihrem Regelsatz ansparen.
Nach der Gesetzesbegründung ist ausnahmsweise aber auch eine „Ersatzbeschaffung” auf Kosten des Jobcenters oder der Sozialhilfe möglich, etwa nach einem Wohnungsbrand oder nach einer Haftentlassung.
Frau entsorgte in paranoiden Schizophrenie ihren Haushalt
Im Streitfall ist die in Freiburg lebende Klägerin an einer paranoiden Schizophrenie verbunden mit Wahnvorstellungen erkrankt.
Dabei hört sie Stimmen oder führt Gespräche mit Engeln, Teufeln oder Dämonen. Während eines akuten Krankheitsschubs war sie davon überzeugt, dass ihr Hausrat „verflucht” oder „vergiftet” sei. Sie entsorgte ihre voll funktionsfähigen Einrichtungsgegenstände auf der Straße.
Es folgten mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie. Als die Frau danach eine neue Wohnung bezog, beantragte sie beim Freiburger Sozialamt erfolglos eine „Wohnungserstausstattung”.
Sozialbehörde verweigerte Kosten für Neuanschaffung
Sie habe ja schon voll funktionsfähige Möbel gehabt, so dass kein Anspruch auf eine Erstausstattung bestehe. Zwar sei auch bei außergewöhnlichen Umständen eine „Ersatzbeschaffung” möglich. Die Voraussetzungen hierfür lägen aber nicht vor.
So habe der 4. Senat des BSG am 6. August 2014 im Fall eines drogenabhängigen Hartz-IV-Beziehers geurteilt, dass nach einer Suchterkrankung kein neues Mobiliar für vorzeitig verschlissene Einrichtungsgegenstände verlangt werden könne (Az.: B 4 AS 57/13 R.
Der Anspruch auf eine neue Wohnungsausstattung setze danach ein besonderes Ereignis und von außen wirkende, plötzlich auftretende Umstände voraus, die zur Unbrauchbarkeit des Mobiliars und der Haushaltsgegenstände geführt haben. Hier seien die Möbel krankheitsbedingt im Wahn, also aufgrund von innen wirkenden Umständen entsorgt worden, meinte die Stadt.
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart hatte der Klägerin jedoch am 9. Juli 2020 recht gegeben und ihr eine Beihilfe für eine Ersatzbeschaffung der Möbel in Höhe von 771 Euro zugesprochen. Die Möbel seien krankheitsbedingt unter außergewöhnlichen Umständen entsorgt worden. Auch lägen „von außen” einwirkende Umstände vor. Das BSG habe hier gemeint, dass Umstände außerhalb eines Abnutzungsverhaltens vorliegen müssen.
BSG: Psychisch kranke Frau kann Möbel-Ersatzbeschaffung verlangen
Dem folgte nun auch der 8. Senat des BSG. Eine Ersatzbeschaffung komme ausnahmsweise infrage, wenn wegen eines außergewöhnlichen, plötzlich auftretenden Umstandes die Einrichtungsgegenstände unbrauchbar geworden seien. Der Gesetzgeber nenne hier als Beispiel einen Wohnungsbrand oder die Situation nach einer Haftentlassung.
Dies gelte auch im Streitfall für die im Wahn entsorgten Möbel. Auch wenn es ein „persönlicher Umstand” sei, stelle dies ebenfalls einen plötzlich auftretenden, außergewöhnlichen Umstand dar.
Das Urteil des 4. Senats des BSG von 2014 habe mit der Formulierung „von außen” einwirkende außergewöhnliche Umstände lediglich gemeint, dass Umstände außerhalb des Abnutzungsverhalten vorliegen müssen. Die Möbel seien aber hier nicht wegen Verschleiß unbrauchbar geworden. fle/mwo
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