Der Bürgergeld-Versagungsbescheid des Jobcenters war rechtswidrig, denn Leistungsbezieher müssen keine Unterlagen von Dritten vorlegen.
1. Der Versagungsbescheid ist mit der Nachholung der Mitwirkung im Hinblick auf die für die Leistung erheblichen Tatsachen durch Übersendung von Unterlagen rechtswidrig geworden.
2. Leistungsempfänger von Bürgergeld sind nicht verpflichtet, Unterlagen von Dritten oder selbst eines anderen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft vorzulegen ( hier von der geschiedenen Partnerin ).
Denn auf deren Herausgabe haben sie keinen Einfluss. Vielmehr muss das Jobcenter, wenn es die Unterlagen für notwendig erachtet, selbst gegen den Dritten vorgehen und von diesem die Herausgabe verlangen ( vgl. G. Becker, in: jurisPK-SGB II, § 60 (Stand: 19.4.2022) Rn. 81 m.w.N.; BSG Urteil vom 1.7.2009 – B 4 AS 78/08 R, Rn. 17).
3. Werden Auskünfte zu einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, das nicht selbst Antragsteller ist, nach Ansicht des Jobcenters nicht in ausreichendem Umfang erteilt, hat das Jobcenetr nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II ein Auskunftsverlangen an eben dieses Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu stellen. So entschieden aktuell vom LSG NRW – L 21 AS 486/24 B ER – und – L 21 AS 487/24 B –
Inhaltsverzeichnis
Begründung:
Dem Leistungsempfänger wurde das ALG II versagt, weil er die erforderlichen Unterlagen seiner geschiedenen Ehefrau, welche mit ihm eine Bedarfsgemeinschaft bildet, nicht dem Jobcenter vorlegte.
Versagung des Bürgergeldes war rechtswidrig – sagt der 21. Senat des LSG NRW
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bei Versagung von ALG II nach § 66 Abs. 1 S. 1 SGB I
Nicht nur die Versagung wegen mangelnder Mitwirkung darf rechtswidrig sein, sondern der Antragsteller muss zudem auch glaubhaft machen, dass die sonstigen Voraussetzungen für die Bewilligung der Leistungen auch vorliegen.
Denn die Aufhebung des Versagungsbescheides führt noch nicht zur Leistungsbewilligung, wenn dieser – wie hier – nicht in einen bereits bewilligten Leistungszeitraum eingreift, sondern über einen Leistungsanspruch in einem anstehenden Bewilligungszeitraum erstmals zu entscheiden ist (LSG NRW, Beschluss vom 13.9.2018 – L 2 AS 1143/18 B ER -).
Der Versagungsbescheid war mit der Nachholung der Mitwirkung im Hinblick auf die für die Leistung erheblichen Tatsachen durch Übersendung von Unterlagen rechtswidrig geworden
Denn das Jobcenter glaubt immer noch, dass für die Weiterbewilligung des Bürgergeldes des Antragstellers Unterlagen fehlen, welche er im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht vorlegen muss, so jedenfalls das Jobcenter
Vorlage folgender Unterlagen werden vom Jobcenter gefordert
„- Kopie Personalausweis Partnerin
– Nachweis Sozialversicherungsnummer (z.B. Kopie Sozialversicherungsausweis) von
– Ihnen und Partnerin
– Mitgliedsbescheinigung Krankenkasse von Partnerin
– Kopie Krankenkassenkarte von Ihnen und Partnerin
– Nachweis Kindergeld von Ihnen
– Nachweis Antragstellung Wohngeld Partnerin
– (gegebenenfalls) Kopie Schwerbehindertenausweis Partnerin
– Kontoauszüge ab 01.06.2023 bis 17.01.2024 aller Konten Ihrer Partnerin (auch Sparkonten! Ihre Partnerin hat diverse Konten aufgelöst und lässt monatliche Sparraten abbuchen)“
Die geforderten Unterlagen stehen in mehrfacher Hinsicht einer Entscheidung über den Leistungsanspruch des Antragstellers nicht entgegen
Denn die Partnerin des Antragstellers ist nicht selbst Antragstellerin. ie begehrt keine Leistungen nach dem SGB II. Sie erhält eine Erwerbsminderungsrente und gehört lediglich zur Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers.
War der Bürgergeldempfänger wirklich verpflichtet all diese Unterlagen dem Jobcenter vor zulegen?
Natürlich nicht, so ausdrücklich das Gericht, denn um über den Leistungsantrag des Antragstellers entscheiden zu können, waren weder der Personalausweis noch die Sozialversicherungsnummer, die Krankenkassenkarte, ein Nachweis über die Wohngeldantragstellung oder der Schwerbehindertenausweis der Partnerin erforderlich.
Der Antragsteller oblag gar keiner Mitwirkungspflicht
Denn der Antragsteller war nicht verpflichtet im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht, die Unterlagen seiner Partnerin vor zulegen ((vgl. G. Becker, in: jurisPK-SGB II, § 60 (Stand: 19.4.2022) Rn. 81 m.w.N.; BSG Urteil vom 1.7.2009 – B 4 AS 78/08 R – )
Er konnte es auch gar nicht, denn er hatte gar keine Verfügungsbefugnis.
Insoweit gilt:
Werden Auskünfte zu einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, das nicht selbst Antragsteller ist, nach Ansicht des Jobcenters nicht in ausreichendem Umfang erteilt, hat das Jobcenter die Möglichkeit bzw. muss nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II ein Auskunftsverlangen an eben dieses Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu stellen (Voelzke, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 60 (Stand: 4. Erg.lfg. 2024) Rn. 39 m.w.N.).
Dabei ist diese Person nur zur Erteilung der verlangten Auskünfte verpflichtet, nicht aber zu deren Nachweis (BSG, Urteil vom 24.2.2011 – B 14 AS 87/09, Rn. 19).
Eine Beweislastentscheidung zu Lasten des Leistungsberechtigten – wie hier mit dem Bescheid vom 9.2.2024 beabsichtigt – ist nicht statthaft, bevor der Träger der Grundsicherung keine Anstrengung unternommen hat, seinen Auskunftsanspruch gegenüber dem Partner nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II durchzusetzen.
Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock
Leistungsempfänger von Bürgergeld sind nicht verpflichtet, Unterlagen von Dritten oder selbst eines anderen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft vorzulegen. Denn auf deren Herausgabe haben sie keinen Einfluss.
Das Jobcenter hat die Möglichkeit bzw. muss nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II ein Auskunftsverlangen an eben dieses Mitglied der Bedarfsgemeinschaft selbst stellen.
Eine Versagung von Leistungen nach dem Bürgergeld gegenüber einem Antragsteller nach §§ 66 Abs. 1 S. 1, 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I wegen fehlender Mitwirkung scheidet aus, wenn das Jobcenter den Antragsteller allein zur Vorlage von Unterlagen betreffend eine in Bedarfsgemeinschaft lebende Person auffordert.
Denn es gibt keine Rechtsgrundlage, die eine Obliegenheit des Bürgergeldempfängers begründet, Angaben zu Dritten zu machen oder Dokumente Dritter vorzulegen (vgl. Stachnow-Meyerhoff/G. Becker in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl., 2017 § 60 Rn. 67 und 85).
Die Nichtvorlage von Unterlagen der Lebensgefährtin/bzw. Partner kann das Jobcenter daher nicht dem Antragsteller anlasten.
Denn das Jobcenter selbst hat gegenüber der Lebensgefährtin des Antragsstellers einen eigenen Auskunftsanspruch aus § 60 Abs. 4 SGB II, den er zunächst durchzusetzen hat.
Was können Betroffene tun?
Bei Versagung der Leistung sollte unbedingt Widerspruch mit kurzer Fristsetzung beim Jobcenter eingelegt werden, denn es geht um Euer Existenzminimum.
Bei Nichtbescheidung des Jobcenters müsst ihr beim Gericht Einstweiligen Rechtsschutz beantragen und die Auszahlung eures ALG2 begehren.
Diese Voraussetzungen müsst ihr dazu erfüllen:
1. Anordnungsgrund muss gegeben sein – Hier geht es um Euer Existenzminimum – Vorlage von aktuellem Kontoauszug – kein Einkommen u. Vermögen vorhanden
2. Anordnungsspruch muss gegeben sein – der Versagungsbescheid muss 1. rechtswidrig sein, 2. eure Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II muss von Euch nach gewiesen werden – aktueller Kontobeleg, Schuldenaufstellung usw.
Das sollte man wissen
Ein mit Widerspruch angefochtener Versagungsbescheid steht dem Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG bis zur bestandskräftigen Abweisung des Widerspruches nicht entgegen (vgl. Sächsisches LSG v. 04.04.2016 – L 7 AS 1277/15 B ER – ).
Kann das Bestehen der Hilfebedürftigkeit nicht geklärt werden, ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Regelungsanordnung auf Grundlage einer Folgenabwägung möglich.
Hat das Jobcenter im Vorfeld bereits einen Versagungsbescheid erlassen, hindert dies eine Regelungsanordnung nicht, sofern der Bescheid mit Widerspruch angegriffen wurde und dieser noch nicht bestandskräftig abgewiesen wurde.
Eine Versagung auf Dauer ist von § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I nicht gedeckt.
Ein Versagungsbescheid muss zum Ausdruck bringen, dass die Leistung nur bis zur Nachholung der Mitwirkung versagt wird. Ein Hinweis am Ende des Bescheides, dass bei einer Nachholung der Mitwirkung und Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen geprüft werde, ob die Leistungen nachträglich ganz oder teilweise erbracht werden können und in diesem Fall die Entscheidung nochmals überprüft werde, ist nicht ausreichend, um den Endzeitpunkt der Versagung festzusetzen.
Eine Versagungsentscheidung ist nur rechtmäßig, wenn der Leistungsträger sein Entscheidungs- und Auswahlermessen betätigt, dabei die Grenzen des Ermessensspielraums eingehalten und seine Entscheidung hinreichend begründet hat.
Die Ermessensentscheidung muss sich auch auf den Umfang der Versagung erstrecken. Wenn eine Leistung ganz versagt wird, ohne dass hierzu Ermessenserwägungen angestellt werden, liegt hinsichtlich des Umfangs der Versagung Ermessensnichtgebrauch vor.
Auch während des Verfahrens zur Überprüfung nach §§ 40 SGB II, 44 SGB X eines bestandskräftigen Versagungsbescheids wegen fehlender Mitwirkung kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Betracht, mit der das Jobcenter zur vorläufigen Leistung verpflichtet wird, sofern der Überprüfungsantrag offenkundige Erfolgsaussichten hat.
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.