Menschen mit Schwerbehinderungen, und diejenigen, die ihnen bei der Arbeit gleichgestellt sind, haben einen außergewöhnlichen Anspruch auf Arbeitszeitverkürzung. Gerichte entschieden, was das konkret bedeutet.
Die gesetzlichen Regelungen
Das besondere Recht auf Teilzeitarbeit für schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer ist gesetzlich festgelegt in Paragraf 164 Absatz 5 Satz 3 SGB IX: “Schwerbehinderte Menschen haben einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist.”
Gibt es Einschränkungen?
Dieser Anspruch wird weder durch die Größe des Betriebs noch durch die Dauer der Beschäftigung eingeschränkt. Auch die Antragsfristen sind nicht geregelt. Den Ausschlag gibt ausschließlich die Art oder die Schwere der Behinderung.
Arbeitszeitverkürzung ist gerichtsfest
Das Bundesarbeitsgericht stellte eindeutig klar, dass auch eine nur vorübergehende Verringerung der Arbeitszeit möglich ist. (Az. 9 AZR 100/03). Ein Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung kann also jederzeit beanspruchen, nur noch in einem Stundenmaß beschäftigt zu werden, das seiner Behinderung angemessen ist.
Das ergibt sich daraus, dass ein Mensch mit Behinderungen die Möglichkeit haben muss, ohne Gefährdung seiner Gesundheit weiterhin aktiv am Berufsleben teilzuhaben und dies notwendigerweise in einem Rahmen, in dem er dies auch kann.
Wörtlich heißt es im Urteil: “Das Verlangen des schwerbehinderten Menschen (…) bewirkt unmittelbar eine Verringerung der geschuldeten Arbeitszeit, ohne dass es einer Zustimmung des Arbeitgebers zur Änderung der vertraglichen Pflichten bedarf.”
Anspruch auch auf konkrete Verteilung der Arbeitszeit
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg fasste dieses Recht der Betroffenen noch konkreter. Gegen das Bundesland Brandenburg entschied das Gericht, dass die betroffenen Arbeitnehmer das Recht haben, eine konkrete Verteilung der Arbeitszeit zu verlangen, die ihrer Behinderung entspricht.
In diesem Fall musste das Land dem Bedürfnis der Klägerin entsprechen, ihr Teilzeitarbeit von 19 Stunden verteilt auf drei Arbeitstage zu ermöglichen. (Az. 15 Sa 1021/18).
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Die Betroffene war beim Land Brandenburg seit über 30 Jahren beschäftigt, zuerst als Reinigungskraft und später als Pförtnerin mit 24,25 Stunden pro Woche. Ab Juli 2015 bezog sie eine unbefristete teilweise Erwerbsminderungsrente. Sie kann also mehr als drei Stunden, aber weniger als sechs Stunden pro Tag arbeiten.
Sie hatte den Antrag auf 19 Stunden verteilt auf drei Tage gestellt, weil sie davon ausging, dass sie mit freien Tagen besser weiterarbeiten könnte als mit einer auf fünf Tage verteilten Arbeitszeit.
Das Land hatte dies abgelehnt mit der Begründung, dass mit der Aufteilung auf drei Tage mit sechs Stunden und einer drittel Stunde pro Tag die Obergrenze für eine teilweise Erwerbsminderungsrente überschritten sei.
Das Landesarbeitsgericht akzeptierte diese Begründung nicht, denn, so das LAG, diese Entscheidung liege in der Hand der Rentenversicherung und nicht in der des Landes.
Außerdem argumentierte das Land Brandenburg, dass ein von der Betroffenen gewollter Arbeitsplatz mit dieser Aufteilung nicht existiere. Das Landesarbeitsgericht sah dies anders. Es gebe, so das Gericht, 16 Teilzeitkräfte beim Land in ähnlichen Jobs, und es sei möglich “die vorhandenen 16 Teilzeitkräfte in Ergänzung zu den jeweiligen Stundenzahlen einzusetzen, die von der Klägerin zu leisten sind”.
Teilweise Erwerbsminderung und Arbeitszeitbegrenzung
Schwerbehinderung und Erwerbsminderung haben erst einmal nicht notwendig etwas miteinander zu tun. Es handelt sich um unterschiedliche Rechtsbereiche. Rentenrechtlich kann jemand einen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente bei der gesetzlichen Rentenversicherung haben, ohne schwerbehindert zu sein, und viele Menschen mit Schwerbehinderungen haben keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente.
Der Betroffenen könnte eine Auseinandersetzung mit der Rentenversicherung bevorstehen. Da ist nämlich klar geregelt, dass jemand, der eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bezieht und mehr als sechs Stunden pro Tag arbeitet, diesen Anspruch verliert.
Im Einzelfall kann das jedoch anders aussehen. Wenn nachgewiesen drei Tage mit sechs Stunden und einer Drittel Stunde für die Betroffene weniger belastend sind als fünf Tage mit weniger Stunden pro Tag, dann ist das ein Argument, die Erwerbsminderungsrente zu behalten.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.