Jährlich werden tausende Widersprüche gegen Bescheide zum Grad der Behinderung (GdB) eingereicht. Ein Drittel dieser Widersprüche ist erfolgreich.
Doch wie erkennt man, ob ein Bescheid fehlerhaft ist? Und wie können Betroffene ihre Rechte durchsetzen? Das erklären wir hier.
Wie erkenne ich eine falsche Entscheidung des Versorgungsamts?
Das Versorgungsamt entscheidet individuell auf Basis der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV), wie stark eine Behinderung den Alltag beeinträchtigt.
Doch nicht immer entsprechen die Entscheidungen den tatsächlichen Beeinträchtigungen. Prüfen Sie Ihren Bescheid daraufhin, ob Diagnosen fehlen, die Auswirkungen auf den Alltag falsch eingeschätzt wurden oder Logikfehler vorliegen.
Ärztliche Fachgutachten können dabei helfen, Fehler zu identifizieren. Zudem finden sich in der VersMedV Kriterien, die für spezifische Krankheiten oder ähnliche Erkrankungen gelten.
Tipp: Eine Beratung durch ihren Arzt können Sie unterstützen, medizinische Fehler zu entdecken.
Wann lohnt sich ein Widerspruch?
Die Vorteile eines korrekten GdB-Bescheids hängen vom Grad der Behinderung ab:
- Ab GdB 20: Steuererleichterungen.
- Ab GdB 30: Geringfügige Vorteile im Arbeitsleben.
- Ab GdB 50: Schwerbehindertenausweis, Zusatzurlaub, frühzeitiger Rentenbeginn und weitere Vergünstigungen.
Ein Widerspruch ist insbesondere dann sinnvoll, wenn Ihnen durch eine falsche Einschätzung erhebliche Vorteile als Nachteilsausgleich entgehen. Nehmen wir an, Sie haben einen Grad der Behinderung von 40. Ihnen würde aber aufgrund der Einschränkungen eigentlich ein GdB von 50 zustehen. Ab diesem Grad der Behinderung stehen Ihnen deutlich mehr Nachteilsausgleiche zu. Ein Widerspruch kann sich also lohnen, auch wenn es “nur” eine Erhöhung des Grades um 10 wäre.
Wie lege ich einen Widerspruch ein?
Widerspruchsfrist beachten
Ein Widerspruch muss innerhalb eines Monats nach Zugang des Bescheids beim Versorgungsamt eingehen. Fehlt eine Rechtsbehelfsbelehrung, verlängert sich die Frist auf ein Jahr. Haben Sie die Frist versäumt, können Sie einen Verschlimmerungsantrag oder einen Antrag auf Wiedereinsetzung stellen.
Praktische Tipps:
- Senden Sie den Widerspruch per Fax mit qualifiziertem Sendebericht oder reichen Sie ihn persönlich ein.
- Reichen Sie zunächst einen fristwahrenden Widerspruch ein und ergänzen Sie die Begründung später.
- Notieren Sie das Aktenzeichen und das Datum des Bescheids und unterschreiben Sie den Widerspruch.
Wie begründe ich den Widerspruch?
In der Begründung sollten Fehler im Bescheid konkret aufgezeigt werden. Folgende Aspekte sind relevant:
- Fehlen Diagnosen oder wurden diese unzureichend berücksichtigt?
- Sind die Beeinträchtigungen im Alltag falsch eingeschätzt?
- Wurden die Kriterien der VersMedV fehlerhaft angewendet?
Legen Sie Ihrem Widerspruch aussagekräftige medizinische Unterlagen bei, z. B. Arztberichte, Atteste oder Gutachten. Ärzte sollten dabei präzise die Symptome und deren Auswirkungen auf Beruf, Freizeit und Alltag schildern.
Was tun, wenn der Widerspruch abgelehnt wird?
Wenn das Versorgungsamt den Widerspruch ablehnt, können Sie innerhalb eines Monats Klage beim Sozialgericht einreichen. Die Klage kann formlos sein, sollte jedoch alle wesentlichen Angaben enthalten. Alternativ können Sie die Klage beim Sozialgericht zu Protokoll geben lassen.
Was passiert, wenn die Klage abgelehnt wird?
In diesem Fall sind weitere Rechtsmittel möglich:
- Berufung: Vor dem Landessozialgericht.
- Revision: Vor dem Bundessozialgericht (nur mit anwaltlicher Vertretung).
Wann ist anwaltliche Unterstützung sinnvoll?
Für Widersprüche und Klagen vor dem Sozialgericht ist keine anwaltliche Vertretung notwendig. Dennoch kann juristische Hilfe die Erfolgsaussichten erhöhen. Sozialrechtlich versicherte Personen haben oft Anspruch auf Beratungshilfe oder Prozesskostenhilfe (PKH), wodurch die Kosten für Anwälte minimiert werden. Ohne Anspruch auf PKH müssen Sie die Kosten selbst tragen, erhalten diese aber bei einem erfolgreichen Verfahren erstattet.
Welche Hilfen gibt es für einkommensschwache Personen?
- Beratungshilfe: Unterstützt bei Widerspruchsverfahren. Erhältlich über Berechtigungsscheine vom Amtsgericht.
- Prozesskostenhilfe (PKH): Deckt Kosten eines Gerichtsverfahrens, wenn kein eigenes Einkommen vorhanden ist.
In Bremen und Hamburg gibt es öffentliche Beratungsstellen, während Berlin die Wahl zwischen öffentlichen Stellen und Anwaltskanzleien bietet.
Praxisbeispiel: Widerspruch gegen einen fehlerhaften GdB-Bescheid
Ausgangslage: Ein zu niedriger Grad der Behinderung
Frau Meier, 42 Jahre alt, leidet an schwerer Rheumatoider Arthritis, begleitet von chronischen Rückenschmerzen und psychischen Belastungen aufgrund ihrer Erkrankung. Sie stellt beim Versorgungsamt einen Antrag auf die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB). Nach der Prüfung erhält sie einen Bescheid, der ihr einen GdB von 30 zuerkennt. Frau Meier ist enttäuscht, da sie erwartet hatte, dass ihre Gesundheitsbeeinträchtigungen stärker berücksichtigt würden.
Prüfung des Bescheids
Frau Meier vergleicht ihren Bescheid mit den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen. Dabei stellt sie fest, dass ihre psychischen Belastungen nicht berücksichtigt wurden, obwohl sie regelmäßig in psychologischer Behandlung ist und ihr Hausarzt die starke Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität bestätigt hat. Zudem ist die Einschränkung ihrer Mobilität durch die Arthritis im Alltag erheblich – sie benötigt Hilfe bei Haushaltstätigkeiten und hat Schwierigkeiten, längere Wege zurückzulegen. Diese Einschränkungen erscheinen ihr im Bescheid unterschätzt.
Frau Meier konsultiert ihre behandelnden Ärzte, die ihre Einschätzung bestätigen und bereit sind, sie durch Atteste zu unterstützen.
Widerspruch einlegen
Frau Meier entschließt sich, Widerspruch einzulegen. Sie hält die einmonatige Widerspruchsfrist ein und schickt einen schriftlichen Widerspruch mit den folgenden Inhalten an das Versorgungsamt:
- Einleitung: „Hiermit lege ich Widerspruch gegen den Bescheid vom [Datum] ein.“
- Begründung: Sie erläutert, dass ihre psychischen Belastungen und die starken Auswirkungen der Arthritis nicht ausreichend berücksichtigt wurden.
- Belege: Frau Meier fügt Arztbriefe und Atteste bei, die die Einschränkungen im Alltag sowie die Notwendigkeit von Unterstützung dokumentieren.
Ergebnis des Widerspruchs
Nach etwa acht Wochen erhält Frau Meier einen neuen Bescheid. Das Versorgungsamt hebt den GdB von 30 auf 50 an, da die vorgelegten Nachweise zeigen, dass ihre Beeinträchtigungen schwerwiegender sind als ursprünglich angenommen. Mit diesem höheren GdB hat Frau Meier Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis, Zusatzurlaub und gegebenenfalls einen früheren Renteneintritt.
Das Beispiel von Frau Meier zeigt, wie wichtig eine sorgfältige Prüfung des GdB-Bescheids ist. Mit einer fundierten Begründung und aussagekräftigen Nachweisen hat sie erfolgreich ihre Rechte durchgesetzt. Auch wenn das Verfahren Zeit und Kraft erfordert, kann es sich lohnen, um die rechtlich zustehenden Vorteile zu erhalten.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.