Ein aktueller Fall aus Baden-Württemberg zeigt, wie Versorgungsämter manchmal Anträge von Menschen mit Behinderung ignorieren. Eine Rentnerin wollte ihren Grad der Behinderung (GdB) überprüfen lassen. Ihr bisheriger GdB von 40 reichte nicht für einen Schwerbehindertenausweis.
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg verpflichtete die Behörde daraufhin, sämtliche Anträge erneut zu prüfen und dabei aktuelle medizinische Befunde zu berücksichtigen. Dieses Beispiel zeigt, dass auch abgelehnte oder nicht bearbeitete Anträge weiterhin Aussicht auf Erfolg haben können.
Der konkrete Fall: Aus 40 wird (eventuell) 50 oder mehr
Im Dezember 2024 entschied das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Aktenzeichen L 8 SB 2779) über die Klage einer älteren Frau, deren Gesundheitszustand sich eigenen Angaben zufolge verschlechtert hatte. Seit Jahren kämpfte sie um einen GdB, der ihr Zugang zu einem Schwerbehindertenausweis verschaffen würde. Die zuständige Behörde jedoch bearbeitete neue Unterlagen nicht oder lehnte sie ab.
Obwohl das Gericht letztlich keinen Anspruch auf einen bestimmten GdB anerkannte, hob es deutlich hervor: Die Behörde ist verpflichtet, jede neue Verschlechterung zu bewerten und auf Basis aktueller medizinischer Befunde zu entscheiden. Ignoriert sie solche Anträge, liegt ein Verstoß gegen das Recht auf umfassende Prüfung vor. Die Sachlage muss also gründlich ermittelt werden, anstatt bloß pauschal zu verneinen.
Vorteil für Betroffene: Sie können sich darauf berufen, dass jedes Versäumnis der Behörde nicht zulasten des Antragstellers gehen darf. Wer umfangreiche ärztliche Unterlagen einreicht, hat somit bessere Chancen auf eine angemessene GdB-Festsetzung oder Zuerkennung von Merkzeichen.
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Woran es scheiterte: Die Untätigkeit des Versorgungsamts
Viele Antragsteller kennen das Problem: Sie senden Formulare, Atteste oder Gutachten an das zuständige Amt, hören dann aber monatelang nichts. Bei der Klägerin aus diesem Fall war die Situation besonders klar: Das Versorgungsamt hatte die Unterlagen nicht nur abgelehnt, sondern teilweise gar nicht erst beschieden.
Laut SGB müssen Behörden innerhalb einer angemessenen Frist entscheiden. Das Gericht wies deshalb ausdrücklich darauf hin, dass die Institution keine Rechtfertigung dafür hatte, monatelang zu schweigen. Auch wenn jemand die Bearbeitung erschwert (z. B. durch fehlende Schweigepflichtentbindungen), muss das Amt mindestens einen Versagungsbescheid erteilen und diesen begründen. Damit wäre dann der Rechtsweg für eine Anfechtung eröffnet.
Das Gerichtsurteil: Keine automatische Erhöhung, aber Recht auf Prüfung
Das LSG Baden-Württemberg forderte die Behörde auf, sämtliche Anträge der Frau erneut zu bearbeiten. Dabei müsse der aktuelle Gesundheitszustand gründlich untersucht werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Frau automatisch einen Schwerbehindertenausweis oder höhere Merkzeichen erhält. Das Gericht verlangte lediglich eine sachliche und zügige Entscheidung.
In der Praxis kommt es häufig vor, dass Antragsteller zu hohe Erwartungen haben: Ein Urteil, das eine neue Prüfung anordnet, heißt nicht zwangsläufig, dass die Behörde am Ende zustimmen muss. Allerdings sind Behörden verpflichtet, nachvollziehbar darzulegen, warum sie einen GdB nicht erhöhen. Diese Begründung muss sich auf fundierte Stellungnahmen stützen.
Wer einen Schwerbehindertenausweis braucht
Viele Menschen unterschätzen, welche Vorteile ein Schwerbehindertenausweis bietet. Mit Merkzeichen wie „G“ (Gehbehinderung) oder „H“ (Hilflosigkeit) können Betroffene Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen, etwa beim Parken auf ausgewiesenen Flächen oder bei der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs.
Der rechtliche Rahmen ergibt sich aus dem Sozialgesetzbuch (SGB). Das Versorgungsamt – in Baden-Württemberg häufig dem örtlichen Landratsamt zugeordnet – entscheidet über die Zuerkennung des GdB und stellt bei mindestens 50 den eigentlichen Ausweis aus.
Wer bereits mit gesundheitlichen Einschränkungen lebt, sollte deshalb frühzeitig abklären, ob bestimmte Nachweise für eine höhere GdB-Bewertung ausreichen. Nach einem Bescheid über den GdB lohnt es sich zudem, regelmäßig zu prüfen, ob sich der Gesundheitszustand weiter verschlechtert hat. In solchen Fällen dürfen Behörden neue Befunde nicht einfach ignorieren.
Häufige Stolpersteine bei Verschlechterungsanträgen
Zunächst glauben viele, dass sie nur einen formellen Antrag stellen müssen und sich der Rest von selbst ergibt. Doch gerade beim GdB führen Behörden oft umfangreiche Ermittlungen durch. Wer unvollständige Unterlagen einreicht oder lange Wartezeiten duldet, riskiert eine Ablehnung aus formalen Gründen.
Ebenso kann es passieren, dass man selbst ärztliche Gutachten blockiert, weil man keine Schweigepflichtentbindung erteilen will. Dann darf die Behörde eine Entscheidung ebenfalls ablehnen, wenn sie die gesundheitliche Lage nicht beurteilen kann. Trotzdem muss sie darüber schriftlich befinden und darf den Antrag nicht einfach sang- und klanglos liegen lassen.
Praxisbeispiel: So setzen Sie Ihr Recht durch
Angenommen, Ihre Mobilität ist durch eine chronische Erkrankung stark eingeschränkt. Ihr letzter anerkannter GdB liegt bei 40. Nun stellen Sie fest, dass sich Ihr Zustand durch neue, ärztlich bestätigte Diagnosen verschlechtert hat. Sie schicken alle Befunde an das Versorgungsamt, schreiben einen formlosen Antrag auf Erhöhung und weisen klar auf zusätzliche Einschränkungen hin.
Kommt binnen einiger Monate keine Antwort, schicken Sie eine schriftliche Erinnerung. Verstreicht die gesetzliche Wartezeit von sechs Monaten, können Sie Klage wegen Untätigkeit erheben. Im Prozess würde das Sozialgericht die Behörde auffordern, eine Entscheidung zu treffen. Wird dann immer noch abgelehnt, muss eine ordentliche Begründung folgen.