Die Frage nach der Höhe der Abfindung ist für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer interessant, die nach vielen Jahren Betriebszugehörigkeit eine Kündigung erhalten. Speziell bei einer Beschäftigungsdauer von 20 Jahren oder mehr kann eine hohe Abfindung zumeist erzielt werden.
“Dabei spielt nicht nur das eigene Monatsgehalt eine Rolle, sondern auch die konkrete Verhandlungsstrategie und die rechtliche Ausgangslage”, sagt der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Christian Lange aus Hannover.
In diesem Beitrag geht Lange auf die Berechnung der Abfindung für Langzeitbeschäftigte ein, erläutert den Unterschied zwischen der sogenannten „Regelabfindung“ und tatsächlich erzielbaren Abfindungsbeträgen und erklärt, warum eine Kündigungsschutzklage in vielen Fällen sinnvoll sein kann.
Inhaltsverzeichnis
Was steckt hinter der „Regelabfindung“ und warum reicht sie oft nicht aus?
Häufig hört man, dass eine Abfindung bei Kündigung etwa ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr beträgt.
Dies wird von vielen als „Regelabfindung“ bezeichnet und ergibt bei einem Monatsbruttogehalt von 4.000 Euro und 20 Jahren Betriebszugehörigkeit eine Summe von 40.000 Euro. Diese Faustformel hat zwar einen rechtlichen Bezug (§ 1a Kündigungsschutzgesetz), dennoch ist sie keineswegs bindend.
“Tatsächlich handelt es sich lediglich um eine Orientierungsgröße, auf die sich einige Richterinnen und Richter oder Arbeitgeber in der ersten Verhandlungsrunde gerne berufen”, sagt der Anwalt.
Vor allem langjährige Beschäftigte sollten sich jedoch nicht zu früh damit zufriedengeben, denn die Abfindung könnte unter Umständen deutlich höher sein. Einer der wesentlichen Gründe ist das hohe Risiko für den Arbeitgeber, den Prozess vor dem Arbeitsgericht zu verlieren.
“Bei einer 20-jährigen Beschäftigung ist die Wahrscheinlichkeit häufig hoch, dass das Gericht die Kündigung als sozial ungerechtfertigt einstuft, sofern der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin sich nichts Schwerwiegendes hat zuschulden kommen lassen. Wer also klagt, hat oftmals bessere Chancen, eine höhere Abfindung auszuhandeln oder eine Weiterbeschäftigung durchzusetzen”, so Lange.
Wie beeinflusst das Prozessrisiko des Arbeitgebers die Abfindungshöhe?
Steht eine Kündigungsschutzklage im Raum, muss der Arbeitgeber abwägen, wie hoch sein Risiko in einem Gerichtsverfahren ist. Wenn ein langjährig Beschäftigter nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit klagt, könnte sich der Prozess unter Umständen über ein Jahr oder länger hinziehen. Währenddessen entstehen dem Arbeitgeber diverse Kosten und Unsicherheiten. So muss er bei einer Niederlage oft rückwirkend Lohn nachzahlen und im Worst Case den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin wieder einstellen.
“Die finanzielle Belastung kann für den Arbeitgeber dann schnell höher ausfallen, als wenn man sich frühzeitig auf eine höhere Abfindung geeinigt hätte”, erklärt der Experte.
Aus diesem Grund sind Arbeitgeber in vielen Fällen bereit, über die anfangs genannte „halbe Monatsgehalt“-Faustformel hinauszugehen. Hier zahlt sich eine fundierte Verhandlungsführung, idealerweise durch juristischen Beistand, aus.
“Das Ziel ist dabei, den Arbeitgeber davon zu überzeugen, dass es für ihn günstiger ist, frühzeitig eine angemessene Abfindung zu zahlen, statt sich auf ein langes Gerichtsverfahren einzulassen.”
Was passiert, wenn ein Sozialplan existiert?
In manchen Fällen wird bei größeren Umstrukturierungen in Unternehmen ein Sozialplan verhandelt. Sozialpläne berücksichtigen verschiedene Faktoren wie Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter oder auch Unterhaltspflichten. Oft liegt die Abfindungshöhe für langjährige Beschäftigte in einem Sozialplan bereits über der simplen 0,5-Faustformel.
“Wer 20 Jahre oder länger im Betrieb war, hat dann in aller Regel einen sicheren Anspruch auf einen höheren Betrag. Unter Umständen besteht sogar die Möglichkeit, den im Sozialplan ausgehandelten Betrag durch geschickte Verhandlungen oder eine zusätzliche Abfindungsregelung noch zu steigern” erläutert der Rechtsanwalt.
Abfindungstabelle nach Zugehörigkeit des Betriebes
Im Folgenden findest du eine beispielhafte Abfindungstabelle, die unterschiedliche Beschäftigungsdauern mit einem Monatsbruttogehalt von 4.000 Euro veranschaulicht.
Zugrunde liegen hier drei unterschiedliche Multiplikationsfaktoren (0,5 / 1,0 / 1,5). Die Werte sollen verdeutlichen, welche Spannbreite es geben kann – abhängig vom Verhandlungsgeschick, der Rechtslage und den individuellen Umständen des Falls.
Beschäftigungsdauer (Jahre) | Monatsbrutto (€) | 0,5-Faustformel | 1,0-Faustformel | 1,5-Faustformel |
---|---|---|---|---|
10 | 4.000 | 0,5 × 10 × 4.000 = 20.000 € | 1,0 × 10 × 4.000 = 40.000 € | 1,5 × 10 × 4.000 = 60.000 € |
15 | 4.000 | 0,5 × 15 × 4.000 = 30.000 € | 1,0 × 15 × 4.000 = 60.000 € | 1,5 × 15 × 4.000 = 90.000 € |
20 | 4.000 | 0,5 × 20 × 4.000 = 40.000 € | 1,0 × 20 × 4.000 = 80.000 € | 1,5 × 20 × 4.000 = 120.000 € |
25 | 4.000 | 0,5 × 25 × 4.000 = 50.000 € | 1,0 × 25 × 4.000 = 100.000 € | 1,5 × 25 × 4.000 = 150.000 € |
Hinweise zur Tabelle
- Orientierungswerte: Die hier aufgeführten Summen sind keine verbindlichen gesetzlichen Vorgaben. Die bekannte „0,5-Regelung“ (nach § 1a KSchG) dient lediglich als grober Richtwert, wird jedoch in der Praxis oft über- oder unterschritten.
- Verhandlungsfaktoren: Je besser die Arbeitnehmerseite ihre Position (z. B. lange Betriebszugehörigkeit, schwache Kündigungsgründe, hohes Prozessrisiko für den Arbeitgeber) darlegen kann, desto höher ist die Chance auf eine Abfindung, die über der 0,5-Faustformel liegt.
- Individuelle Prüfung: Tatsächliche Abfindungssummen ergeben sich meist aus gerichtlichen Vergleichen oder außergerichtlichen Verhandlungen. Faktoren wie Alter, Familienstatus, Branche oder die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers können das Ergebnis zusätzlich beeinflussen.
- Rechtzeitiges Handeln: Wer eine Kündigung erhalten hat, sollte spätestens innerhalb von drei Wochen entscheiden, ob eine Kündigungsschutzklage eingereicht wird. Nur so bleibt die Chance auf eine (höhere) Abfindung gewahrt.
Die Beispielwerte sollen verdeutlichen, dass bei langjähriger Beschäftigung häufig mehr als die reine „Regelabfindung“ erreicht werden kann – insbesondere, wenn die rechtliche Ausgangslage für den Arbeitgeber riskant ist und eine Kündigungsschutzklage eingereicht wird.
Warum lohnt sich eine Kündigungsschutzklage fast immer?
Aus Arbeitnehmersicht ist eine Kündigungsschutzklage ein wirksames Instrument, um die eigene Verhandlungsposition zu stärken. Wer nicht klagt, verschenkt gegebenenfalls Ansprüche und Möglichkeiten.
Oft besteht die Sorge, dass die Klage keine Vorteile bringt oder dass man „leer ausgeht“.
“Tatsächlich verlieren langjährig Beschäftigte seltener Kündigungsschutzklagen, sofern keine gravierenden Gründe für eine fristlose oder verhaltensbedingte Kündigung vorliegen”, berichtet Lange aus seiner langjährigen Erfahrung.
Viele Arbeitgeber bieten außerhalb eines Gerichtsverfahrens nur die „Minimalabfindung“ an, weil sie hoffen, dass die Gegenseite aus Angst vor Prozesskosten und Unklarheiten zügig zustimmt. Erst wenn eine Kündigungsschutzklage eingeht, nehmen sie die Verhandlungen oft ernst und sind bereit, das Angebot anzuheben.
Eine Verhandlung vor dem Arbeitsgericht lohnt sich vor allem dann, wenn schon im Vorfeld offensichtlich ist, dass der Arbeitgeber schlechte Karten hat. Ein halbes Monatsgehalt pro Jahr der Betriebszugehörigkeit kann dann unter dem liegen, was nach einer Klage möglich wäre.
“Die Erfolgsaussichten werden bei einem Erstgespräch mit einer spezialisierten Kanzlei oft recht schnell eingeschätzt, sodass man sich als Betroffener gut orientieren kann.”
Ist das Risiko hoch, am Ende ohne Abfindung dazustehen?
Die Angst, durch eine Kündigungsschutzklage alles zu verlieren, ist zwar nachvollziehbar, in der Praxis jedoch selten begründet.
Wer 20 Jahre und länger in einem Unternehmen tätig war, genießt einen hohen Kündigungsschutz. Außerdem ist es so, dass ein Arbeitgeber meist nicht kündigt, um den Gekündigten anschließend motiviert weiterzubeschäftigen. Eine Rücknahme der Kündigung kommt daher in den seltensten Fällen wirklich in Betracht.
Meist geht es dem Arbeitgeber darum, das Arbeitsverhältnis zu beenden – und zwar möglichst geräuschlos und kostengünstig. Damit erhöht sich bei einer langjährigen Beschäftigung die Chance, durch die Klage eine Abfindung durchzusetzen, die über den anfänglichen Angeboten liegt.
Warum ist ein Fachanwalt für Arbeitsrecht wichtig?
Wer keine Rechtsschutzversicherung hat, zögert gelegentlich, rechtlichen Beistand in Anspruch zu nehmen. Trotzdem empfiehlt sich in fast allen Fällen, frühzeitig Anwältinnen oder Anwälte aufzusuchen, die auf das Arbeitsrecht spezialisiert sind.
Viele Kanzleien bieten eine erste telefonische Einschätzung kostenlos an. So lässt sich schnell klären, ob sich die Klage lohnt und mit welchen Kosten gegebenenfalls zu rechnen ist.
“Bei 20 Jahren Betriebszugehörigkeit und einem festen Monatsgehalt von 4.000 Euro sind die finanziellen Interessen in aller Regel so beträchtlich, dass eine anwaltliche Vertretung die Chance auf eine höhere Abfindung deutlich steigern kann”, sagt Lange.
Woran erkennt man eine realistische Abfindung?
Wer nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit gekündigt wird, sollte genau prüfen, wie die eigene Ausgangslage ist, bevor man ein erstes Abfindungsangebot annimmt. Die weithin bekannte Faustformel von 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr kann zwar als Orientierungswert dienen, deckt jedoch in vielen Fällen nicht das Potenzial ab, das durch Verhandlungen und eine Kündigungsschutzklage erreicht werden kann. Gerade bei langjährigen Beschäftigten tragen Prozessrisiko und betriebliche Erwägungen oft zu einer deutlichen Erhöhung der ursprünglichen Angebotssumme bei.
Aus diesem Grund lohnt es sich, sich so früh wie möglich beraten zu lassen und die dreiwöchige Frist für die Kündigungsschutzklage nicht verstreichen zu lassen. In den meisten Fällen führen Vorbereitung und konsequentes Vorgehen vor dem Arbeitsgericht dazu, dass Arbeitgeber höhere Vergleichszahlungen anbieten, um den Prozess und die damit verbundenen Risiken zu vermeiden. Wer in dieser Situation steckt, gewinnt also meist mehr, als er verlieren kann.