Jurist: In Zukunft kann der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk verklagt werden – GEZ

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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland sieht sich seit einiger Zeit zunehmender Kritik ausgesetzt. Neben Diskussionen um Programminhalte und Beitragszahlungen geht es nun verstärkt um die Frage, wie weit die journalistischen Freiheiten öffentlich-rechtlicher Sender tatsächlich reichen dürfen – und wie sie rechtlich überprüft werden können.

Ein Punkt ist dabei die Einhaltung presserechtlicher und ethischer Standards. Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts scheint sich dies zu einem spannenden juristischen Feld zu entwickeln, in dem eine neue Klage nun vorangehen soll.

Der fernsehbekannte Jurist und Autor Carlos Gebauer bereitet eine solche Klage derzeit vor.

Warum gerät der öffentlich-rechtliche Rundfunk vor Gericht?

Ausgangspunkt für die Klage ist ein sogenanntes „Obiter Dictum“ des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2023. Das Gericht stellte darin klar, dass die öffentlich-rechtlichen Sender zwar als Behörden gelten, sich jedoch gleichzeitig auf Grundrechte wie die Rundfunkfreiheit berufen können.

Diese „Janusköpfigkeit“ – also eine Behörde zu sein und zugleich Grundrechtsträger – hatte in der Vergangenheit zur Folge, dass Maßnahmen der Sender juristisch nur schwer angreifbar waren.

Das Bundesverfassungsgericht betonte nun aber, dass jegliches staatliches Handeln in Deutschland nach Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz einer richterlichen Überprüfung zugänglich sein muss.

Damit öffnet sich die Tür für Klagen, in denen einzelne Beitragszahler oder Betroffene rechtlich gegen Berichterstattung oder redaktionelles Vorgehen der Sender vorgehen könnten – vorausgesetzt, es gibt eine Grundlage für solche Ansprüche.

Da es für eine gerichtliche Prüfung immer einen konkreten Kläger braucht („Wo kein Kläger, da kein Richter“), soll diese neue Klage exemplarisch die Frage klären, nach welchen Standards die Arbeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu beurteilen ist.

Bisher gab es im Umgang mit falschen Darstellungen in öffentlich-rechtlichen Sendungen vorrangig Beschwerdeinstanzen innerhalb der jeweiligen Rundfunkanstalten. Diese Instanzen blieben allerdings häufig „zahnlos“, da sie zwar Empfehlungen aussprechen, aber selten zu spürbaren Konsequenzen führen konnten.

Nun argumentiert  der Rechtsanwalt Gebauer, dass die etablierten ethischen Leitlinien im Journalismus – etwa Sorgfalt, Objektivität, Trennung von Meinung und Nachricht – auch für öffentlich-rechtliche Sender verbindlich sein müssten.

Besonders da alle Bürgerinnen und Bürger verpflichtet sind, den Rundfunkbeitrag zu entrichten, sei im Gegenzug auch ein rechtlicher Anspruch auf Einhaltung journalistischer Standards angemessen.

Grundsätzlich geht es also nicht darum, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen oder in seiner Existenz zu gefährden. Vielmehr soll eine gerichtliche Klärung erreicht werden, die festlegt, wann und wie Betroffene beispielsweise eine Korrektur oder Richtigstellung verlangen können, wenn sie eine Sendung für unsachlich oder grob verzerrend halten.

Wer entscheidet über die „richtige“ Berichterstattung?

Eine häufige Frage lautet, wie man überhaupt bewerten kann, ob eine Berichterstattung gewissen Standards genügt. In einem Beispiel wird darauf hingewiesen, wie Wissenschaftler mit unterschiedlichen Ansichten dargestellt werden:

Wird einer als „anerkannter Experte“ bezeichnet und der andere als „umstrittener Schwurbler“, könnte dies den Vorwurf wecken, dass der öffentlich-rechtliche Sender hier einseitig wertet, ohne die wissenschaftlichen Positionen neutral zu erklären.

Eine solche Darstellung würde – folgt man der Argumentation der Kläger – gegen die journalistische Sorgfaltspflicht verstoßen.

Gerichte, die künftig über solche Fälle entscheiden, müssten sich an klaren Kriterien orientieren, etwa:

  1. Trennung von Kommentar und Nachricht: Wird dem Publikum erkennbar gemacht, wann es sich um Faktenberichte oder um subjektive Meinungsäußerungen handelt?
  2. Ausgewogenheit: Werden unterschiedliche Standpunkte fair und ohne herabsetzende Wertungen wiedergegeben?
  3. Transparenz: Wenn Fehler passieren, wie schnell und deutlich werden sie korrigiert?

Diese Fragen zeigen, dass es nicht um Geschmacksurteile geht, sondern um die grundsätzliche Einhaltung journalistischer Grundlagen. Allerdings ist den Beteiligten bewusst, dass eine solche Prüfung in der Praxis komplex und keineswegs immer eindeutig sein wird.

Was ändert sich durch das Bundesverfassungsgericht?

Mit seiner Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht klar gemacht, dass die Handlungsweisen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerichtlichen Kontrolle zugänglich sein sollen. Dies bedeutet, dass sich Sender nicht mehr allein auf ihre vermeintliche „Programmfreiheit“ berufen können, ohne gleichzeitig anzuerkennen, dass sie als Teil der staatlichen Gewalt handeln.

Da sie öffentlich-rechtliche Anstalten sind, unterliegen sie denselben rechtsstaatlichen Prinzipien der Nachprüfbarkeit, wie sie für jede Behörde gelten.

Nun liegt es an den Verwaltungsgerichten, jene Maßstäbe zu entwickeln, nach denen die Qualität einer Sendung oder eines Beitrags bemessen wird. Dieser Prozess wird voraussichtlich mehrere Jahre dauern und sich durch verschiedene Instanzen ziehen. Bis ein abschließendes Urteil aus Karlsruhe oder von Landesverfassungsgerichten vorliegt, werden viele Detailfragen geklärt werden müssen.

Können bald alle Zuschauer klagen, wenn ihnen etwas nicht gefällt?

Auch wenn die Debatte gelegentlich hitzig geführt wird: Es geht nicht darum, dass künftig jeder, dem ein Fernsehbeitrag „missfällt“, vor Gericht zieht. Die Hürden dürften hoch sein, um ein Verfahren zu eröffnen. Kläger müssten belegen, dass ein konkreter Verstoß gegen anerkannte journalistische Grundsätze vorliegt und dass sie selbst in einer Art und Weise betroffen sind, die ein Rechtsschutzbedürfnis begründet.

Ziel ist es, mittelfristig für mehr Transparenz und Qualität zu sorgen. Die Aussicht auf eine mögliche gerichtliche Überprüfung könnte bewirken, dass Sender bewusster mit Formulierungen umgehen, Falschinformationen zügiger korrigieren und insgesamt die Ausgewogenheit ihrer Berichterstattung im Auge behalten.

Welche Erfahrungen bringt der klagende Anwalt aus dem Fernsehen mit?

Der juristische Vorstoß wird von Carlos Gebauer begleitet, der selbst jahrelange Fernseh-Erfahrung gesammelt hat. Zwischen 2002 und 2011 trat er bei Formaten wie „Das Strafgericht“ (RTL) und „Die Zwei – Anwälte mit Herz“ (Sat.1) auf. Dort erlebte er aus nächster Nähe, wie Fernsehen gemacht wird und wie wenig das Gezeigte oft mit der realen Realität zu tun hat.

Dieser Einblick in Produktionsabläufe und dramaturgische Zwänge hat ihn sensibel dafür gemacht, wie Beiträge konstruiert und geschnitten werden können. Gerade diese Erkenntnis untermauert sein Interesse an verbindlichen Standards, damit die Zuschauerinnen und Zuschauer zuverlässige Informationen erhalten.

Er betont zudem, dass ihn seine Zeit beim Privatfernsehen keineswegs zum Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks macht. Vielmehr respektiere er dessen Bildungsauftrag und gesellschaftliche Funktion.

Doch genau deshalb sei es wichtig, dass ein solches System – das durch Gebühren von allen Bürgerinnen und Bürgern finanziert wird – hohen Anforderungen gerecht wird und sich einer unabhängigen Kontrolle stellen muss.

Wie geht es nun weiter?

Derzeit steht das Verfahren ganz am Anfang. Die juristische Argumentation muss noch ausdifferenziert und durch die Instanzen getragen werden, um letztendlich eine grundsätzliche Entscheidung herbeizuführen. Es ist absehbar, dass dies einige Jahre dauern wird. Dennoch sehen Beobachter in diesem Klageweg einen wichtigen Schritt, um langfristig Rechtssicherheit zu schaffen und die Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu stärken.

Verschiedene Gerichte, sowohl auf Landesebene als auch beim Bundesverfassungsgericht, könnten sich künftig mit den Fragen befassen:

Welche journalistischen Mindeststandards muss ein öffentlich-rechtlicher Sender wahren, wenn er von allen Menschen über Beiträge finanziert wird?

Inwieweit dürfen sich Sender auf ihr Redaktionsgeheimnis und ihre Rundfunkfreiheit berufen, ohne jede Kritik oder Überprüfung abzublocken?

Wie kann ein effektives Beschwerde- und Korrekturverfahren aussehen, das dem Publikum gerecht wird?

Bis es zu einem umfassenden, präzedenzbildenden Urteil kommt, wird es voraussichtlich mehrere Prozesse und Entscheidungen geben, die nach und nach eine einheitliche Rechtsprechung formen.