Bürgergeld: Schuldenfalle bei Jobcenter-Darlehen

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Der Bezug von Bürgergeld reicht nicht aus, um zusätzliche Anschaffungen wie einen dringend benötigten Kühlschrank oder eine Waschmaschine zu finanzieren. Da es nur in bestimmten Fällen Zuschüsse gibt, bieten die Jobcenter so genannte Darlehen an. Doch damit beginnt die Schulden- und Armutsspirale für Leistungsbeziehende.

Jobcenter sind zu Kreditinstituten geworden

Hauptursache für Überschuldung ist der Verlust des Arbeitsplatzes: Für etwa jeden fünften deutschen Schuldner war Arbeitslosigkeit im vergangenen Jahr der Grund für die finanzielle Notlage.

Damit beginnt für viele Schuldner die Abwärtsspirale in die Schuldenfalle, denn Schulden sind ein wichtiges „Vermittlungshemmnis“ bei der Arbeitssuche. Viele Jobcenter finanzieren den Betroffenen deshalb eine Schuldnerberatung bei externen Beratungsstellen.

Jobcenter sind besonders hartnäckige Gläubiger

Ist das Jobcenter oder die Bundesagentur (BA) selbst Gläubiger, verhält es sich ganz anders. Sie dürfen sich nur in besonderen Härtefällen auf eine außergerichtliche Schuldenbereinigung einlassen.

Damit ist für alle verschuldeten Arbeitslosen, die auch bei der BA Schulden haben, ein Insolvenzverfahren vorprogrammiert, denn bei diesen außergerichtlichen Einigungen gilt der Grundsatz, dass alle Gläubiger mitmachen und auf einen Teil ihrer Forderung verzichten.

Jeder Berater, der Kunden im Rechtskreis des Sozialgesetzbuches (SGB) berät, konnte in den letzten Jahren beobachten, dass die Zahl der Verschuldeten bei der BA rasant angestiegen ist.

Vor allem die Jobcenter leihen immer mehr Geld an Bürgergeldbezieher, Geringverdiener oder Aufstocker. Im Jahr vor der Corona-Krise betrugen die Darlehen der Jobcenter für Anschaffungen wie einen Kühlschrank rund 73 Millionen Euro, vor 10 Jahren waren es noch rund 33 Millionen Euro.

Deutlich gestiegen ist auch die Summe, die der Einzelne im Durchschnitt erhält und dann an das Jobcenter zurückzahlen muss: Sie hat sich in den 7 Jahren auf 430 Euro verdoppelt.

Auch müssen sich die „Aufstocker“ immer häufiger beim Jobcenter verschulden, weil ihr Einkommen und damit die Unterstützung vom Amt schwankt und sie dann zeitverzögert Geld zurückzahlen müssen. Laut Statistischem Bundesamt ist diese Personengruppe „überdurchschnittlich häufig überschuldet”.

Während die Zahlen vom Statistischen Bundesamt problemlos zu erhalten sind, kann die BA keine Aussage darüber treffen, gegen wie viele Leistungsberechtigte im Rechtskreis SGB II und Leistungsberechtigte im Rechtskreis SGB III offene Forderungen bestehen.

Als Grund für dieses Defizit gibt die BA an, dass die von ihr im Rahmen des Einzugsverfahrens genutzten IT-Verfahren nur belegbezogene und keine personenbezogenen Auswertungen zulassen.

Unter Berücksichtigung des eigenen Forderungsbegriffs konnte die BA eine Gesamtforderungssumme im SGB III (Arbeitslosengeld 1) von 1,3 Mrd. Euro und im SGB II (Bürgergeld) von 3,1 Mrd. Euro benennen.

Bundesagentur beauftragt privates Inkassounternehmen mit dem Forderungseinzug und treibt die Hartz IV Bezieher in die Schuldenfalle

Seit Anfang 2016 hat die BA einen eigenen Inkassodienst installiert, der sich verstärkt um säumige Forderungen kümmern soll. Die Behörde erhofft sich dadurch Mehreinnahmen von rund 70 Millionen Euro pro Jahr. Schuldnerberatungsstellen machen seitdem die Erfahrung, dass sich Jobcenter nicht mehr auf Verhandlungen einlassen.

Die rechtlichen Grundlagen für das Inkassoverfahren der BA finden sich vor allem in der Bundeshaushaltsordnung (BHO), den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur BHO und im Vierten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV).

Die Sachbearbeitung des Forderungseinzugs erfolgt an den Standorten Recklinghausen und Bogen. An den Standorten Halle, Hannover und Kiel wird eine telefonische Bearbeitung mit den Schuldnern angeboten.

Das Inkasso der BA umfasst ab dem Zeitpunkt der Zahlungsstörung einer Forderung alle notwendigen Aufgaben, die bis zum endgültigen Abschluss eines Beitreibungsverfahrens erforderlich werden, nämlich

  • Erstellung von Zahlungsaufforderung und Mahnung,
  • individueller Kontakt mit den Schuldnern (schriftlich oder telefonisch)
  • Auskünfte im Zusammenhang mit dem Einziehungsverfahren (telefonisch oder schriftlich),
  • alleinige und abschließende Entscheidungen über Anträge in haushaltsrechtlichen Angelegenheiten im SGB III, Vorbereitung – haushaltsrechtlicher Entscheidungen in allen Rechtskreisen (Stundung, Vergleich, Niederschlagung, Erlass) einschließlich Beteiligung des Beauftragten für den Haushalt (BfdH)
  • und der individuelle Kontakt zu Dritten.

„Härtefälle“

Ein so genannter Härtefall liegt für die BA immer dann vor, wenn die Einziehung unbillig ist, d.h. dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widerspricht.

Dabei weist die BA ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, die gesamten Umstände des Einzelfalles, insbesondere die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners sowie Art und Höhe der Forderung, zu berücksichtigen.

Aufgrund der Einzelfallbezogenheit der Erlassregelungen können von der BA keine pauschalen Aussagen getroffen werden, sondern es gelten die gesetzlichen Regelungen der Bundeshaushaltsordnung (BHO).

Erlass von Forderungen an (ehemalige) Leistungsbezieher

Der Erlass bzw. die Niederschlagung von Forderungen richtet sich grundsätzlich nach den Vorgaben der Bundeshaushaltsordnung und ist an sehr enge und strenge Kriterien gebunden, wie sie z. B. auch für den Erlass von Steuerforderungen gelten.

Nachdem das Bundesministerium für Arbeit und Soziales der BA im Jahr 2016 neue Weisungen zum Erlass von Forderungen gegenüber (ehemaligen) Leistungsempfängern erteilt hat, werden die Kriterien von den Inkassostellen der Bundesagentur sehr viel konsequenter angewendet als zuvor.

Danach ist ein (Teil-)Erlass an persönliche und sachliche Erlassgründe gebunden, die eng auszulegen und zu prüfen sind. So ist ein Erlassbedürfnis bereits dann ausgeschlossen, wenn der Schuldner aufgrund seines geringen Einkommens ohnehin pfändungsgeschützt ist.

Krankheit oder Alter allein sind keine persönlichen Erlassgründe mehr. Gleiches gilt für die sachlichen Erlassgründe. Hier müssen besondere Härtefälle vorliegen, z.B. wenn der Schuldner „unter dem Druck der Verhältnisse sozial abgleiten und den Halt gänzlich verlieren“ würde. Allein „ungünstige“ wirtschaftliche Verhältnisse reichen für einen Erlass nicht aus.

Auslagerung des Inkassos

Seitdem beauftragt die BA Inkassounternehmen. Seit Juni 2016 beauftragt die BA die EOS Deutscher Inkasso-Dienst GmbH (EOS DID).

Die EOS DID unterstützt den Inkassodienst der BA bei der Einziehung von Forderungen (im Rahmen einer Auftragsdatenverarbeitung nach § 80 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Sie handelt dabei als Verwaltungshelfer und ist an die Weisungen der BA gebunden. Im Durchschnitt beläuft sich eine Forderung auf 1.200 Euro. Forderungen aus steuerfinanzierten Leistungen der Jobcenter sind nicht betroffen.

Das Inkassounternehmen ist ein verlängerter Arm der BA-Verwaltung und damit auch an die sehr engen haushaltsrechtlichen Vorgaben für den Erlass bzw. die Niederschlagung öffentlich-rechtlicher Forderungen gebunden. Eine außergerichtliche Einigung mit den Schuldnern ist daher nicht möglich.

Matthias Butenob von der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung Hamburg konnte das Dokument nur unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz einsehen.

Das Bundesarbeitsministerium erklärte nach Bekanntwerden der Einschränkungen schnell, dass man weiterhin jeden Einzelfall prüfen werde. Wenn die wirtschaftliche Existenz des Schuldners akut bedroht sei oder die Überschuldung ihn „nachhaltig demotiviert und unter dem Druck der Verhältnisse sozial abgleiten lässt“, sei eine Einigung weiterhin möglich.

Nach Einschätzung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen wird es für Bürgergeldbezieher allerdings schwierig sein, eine solche Belastung nachzuweisen. Sie müssen in jedem Fall einen Arzt aufsuchen und ein ärztliches Attest vorlegen.

Schuldenfalle durch Darlehen der Jobcenter/BA

Für den einzelnen Schuldner, der von der BA/Jobcenter ein Darlehen erhält, kann dies der Einstieg in die Schuldenfalle sein.

Es ist gängige Praxis, dass mehrere Darlehen hintereinander gewährt werden, für die es zuvor Zuschüsse gab, die nicht zurückgezahlt werden mussten. Bei Bürgergeld-Beziehern werden die Schulden in der Regel aufgerechnet, d.h. ein Teil der Forderungen wird durch Einbehaltung gar nicht erst ausgezahlt und mindert das Einkommen entsprechend erheblich. Damit ist der laufende Lebensunterhalt nicht mehr gesichert und weitere Darlehen des Jobcenters werden notwendig.

Obwohl klar geregelt ist, dass nur 10 Prozent des Regelsatzes einbehalten werden dürfen, kommt es in der Praxis sehr häufig vor, dass bei Bürgergeld-Beziehern bis zu 120 Euro vom Regelsatz einbehalten werden oder eine Mischung aus Ratenzahlung und Aufrechnung zu einer enormen Einkommensminderung führt.

Die Einnahmen reichen nicht aus, um die Ausgaben zu decken, die Menschen sind zahlungsunfähig, was wiederum ein Kriterium für die Beantragung eines Insolvenzverfahrens ist.

Insolvenzverfahren

Auf Weisung der Arbeitsministerin fördert die BA nicht nur die Insolvenz, sondern darf sich nur in besonderen Härtefällen auf eine außergerichtliche Schuldenregulierung einlassen.

Damit ist für alle verschuldeten Arbeitslosen, die auch bei der BA Schulden haben, ein Insolvenzverfahren vorprogrammiert.

Da bei diesen außergerichtlichen Einigungen der Grundsatz gilt, dass alle Gläubiger dem Schuldenbereinigungsplan zustimmen und auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten, scheitert der außergerichtliche Einigungsversuch in der Regel an der sturen Haltung der BA und es muss ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werden.

Den Preis für die harte Linie des Arbeitsministeriums zahlen nicht nur die Arbeitsuchenden, sondern auch die Länder. Rund 2.000 Euro kostet ein Insolvenzverfahren, das den Betroffenen droht, wenn eine Einigung scheitert. Bei mittellosen Schuldnern übernehmen die Länder die Verfahrenskosten.

Während das Bundesjustizministerium teure Insolvenzverfahren vermeiden will und deshalb in der Insolvenzordnung einen außergerichtlichen Verhandlungszwang vorsieht, will das Arbeitsministerium nur dann auf Geld verzichten, wenn es für den Bund zweckmäßig und wirtschaftlich ist.

Aufwändige Insolvenzverfahren durchlaufen

Zuerst werden die Erwerbslosen mit Kettenkrediten in die Schuldenfalle getrieben, wenn sie dann überschuldet sind, ist der Weg zur außergerichtlichen Schuldenregulierung versperrt und sie müssen das aufwändige Insolvenzverfahren durchlaufen und sich dem Insolvenzverwalter unterwerfen.

Ein kleiner Lichtblick: Einführung der Bagatellgrenze

Seit 2023 gibt es eine Bagatellgrenze von 50€ für Rückforderungen nach §40 Abs1 S3-5 SGB II. Gleichzeitig gilt diese Bagatellgrenze von 50 € auch für endgültige Bürgergeld-Bescheide nach einer vorläufigen Bewilligung nach §41a SGB II.

Die Neuregelung besagt in beiden Fällen, dass Forderungen unter 50€ pro Prüfvorgang und für die gesamte Bedarfsgemeinschaft vom Jobcenter nicht zurückgefordert werden. Wie die Bagatellgrenze berechnet und umgesetzt wird, kann hier nachgelesen werden.

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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