Wir warnten davor, dass die Jobcenter 2024 eine Welle von Kostensenkungsverfahren bei der Miete einleiten und Leistungsberechtigte noch mehr als zuvor um Übernahme der Unterkunft kämpfen müssen.
Helena Steinhaus von der Initiative Sanktionsfrei berichtet auf X (ehemals Twitter) über einen dramatischen Fall.
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Bürgergeld um 200 Euro gekürzt
Steinhaus zufolge schrieb eine Bürgergeld-Bezieherin: “Ich habe die Aufforderung erhalten, meine Mietkosten zu senken. Ich fing an, mir eine kleinere Wohnung zu suchen, aber bisher vergeblich. Gerade bekam ich meinen neuen Bewilligungsbescheid und mir wurde die Übernahme der Miete um 200€ gekürzt, obwohl ich alles mögliche unternommen habe.”
“Ich bin psychisch und physisch krank geworden”
Die Bürgergeld-Betroffene war nicht untätig, so zitiert Steinhaus: “Habe WBS beantragt, Vermieter kontaktiert, ob die Miete gemindert werden könnte und ob Untervermietung möglich wäre. Diese Absagen habe ich ans Jobcenter geschickt.”
Der zunehmende Druck habe sie krank gemacht, schildert die Betroffene:
“Ich weiß nicht mehr weiter, bin psychisch und physisch krank geworden und bat um Verständnis meiner momentanen Situation, da es ja nicht an mir liegt, keine andere Wohnung zu finden. Zumal ja die Stadt einer Erhöhung des Mietspiegels für 2024 zugestimmt hat. Das Bürgergeld reicht hinten und vorne nicht und diese Geldsorgen machen krank.”
Bürgergeld-Bezieher müssen “überschüssige” Wohnkosten vom Regelsatz bezahlen
Steinhaus erläutert: “Viele Menschen werden derzeit aufgefordert, ihre Mietkosten zu senken. Schaffen sie das nicht, müssen sie die Kosten anteilig selbst zahlen. Wir werden rechtliche Schritte einleiten und solange finanziell unterstützen http://sanktionsfrei.de/support.”
Ist eine Kostensenkung nicht möglich, muss das Jobcenter zahlen
Unser Kollege bei Gegen Hartz, Sozi Simon, kommentiert Steinhaus Beitrag: “Wenn Kostensenkungsbemühungen nachgewiesen werden, aber keinen Erfolg haben, ist das Jobcenter verpflichtet! Die vollen Mietkosten weiter zu übernehmen bis eine günstigere Wohnung gefunden wurde.”
Er schließt: “Daher wäre hier ein Widerspruch gegen die Umsetzung der Kostensenkung angebracht.”
“Die Betroffene bemühte sich darum, die Kosten zu senken”
In dem von Sanktionsfrei geschilderten Fall ist nämlich, laut Sozi Simon, deutlich, dass die Betroffene sich bemühte, die Kosten zu senken: “Es sind Bemühungen erkennbar. Wenn in der Kostensenkungsaufforderung aber nicht klar vorgegeben war, wie diese auszusehen haben, dann sollten diese ausgereicht haben. Für die Zukunft klare Vorgaben zu machen ist aber nachvollziehbar.”
Wie sind die Kostensenkungen gesetzlich begründet?
Nach Paragraf 22 Absatz 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches II (Bürgergeld) heißt es, dass die Jobcenter Unterkunft und Heizung zahlen, wenn diese “angemessen” sind. Diese “Angemessenheit” öffnet den Jobcentern reichlich Spielraum.
Wie läuft der vorgeschriebene Prozess?
Übersteigen die Bedarfe der Unterkunft eine definierte Mietobergrenze, dann können Jobcenter beziehungsweise Sozialämter (bei SGB XII) die Leistungsberechtigten wegen unangemessener Unterkunftskosten anhören.
Was muss das Jobcenter erklären?
Bei dieser Anhörung muss das Jobcenter über die als angemessen geltenden Kosten für die Unterkunft informieren und darüber aufklären, welche Konsequenzen drohen, wenn die Kosten nicht gesenkt werden / die Leistungsberechtigten nicht an der Kostensenkung mitarbeiten. In der Regel folgt die Aufforderung, die Kosten innerhalb von sechs Monaten zu senken.
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Mietobergrenzen und Ausnahmen müssen erklärt werden
Nach der Anhörung erfolgt dann ein Bescheid, dass das Jobcenter die Unterkunft in Zukunft nur noch in angemessener Höhe bezahlt. Die Zeitschrift Sozialrecht informiert: “Aus dem Schreiben muss hervorgehen, in welcher Höhe Unterkunftskosten in der Regel anerkannt werden. Hierbei muss deutlich werden, dass einzelfallbezogene Gründe auch höhere Unterkunftsbedarfe rechtfertigen können.
Zweitens: Es muss klar werden, ab wann mit der Absenkung der berücksichtigten Unterkunftsbedarfe auf angemessene Unterkunftsbedarfe zu rechnen ist.”
Eine günstigere Wohnung muss vorhanden sein
Wenn das Jobcenter / die Kommune eine Mietobergrenze definiert, dann muss es entsprechende Unterkünfte vor Ort geben, und diese müssen für Bürgergeld-Bezieher zugänglich sein. Ist dies nicht der Fall, dann kann eine Miete über der “Angemessenheit” berechtigt sein.
Das Jobcenter muss, streng genommen, den Nachweis erbringen, dass es verfügbare Wohnungen, die unter der gesetzten Mietobergrenze liegen, vor Ort für die Betroffenen gibt.
Bundessozialgericht: Aufklärung und Warnung seitens des Jobcenters
Das Bundessozialgericht stellte klar, dass Aufforderungen des Jobcenters über Kostensenkung der Aufklärung und Warnung dienen. Werden Bürgergeld-Bezieher nicht hinreichend informiert über die gesetzte “Angemessenheit”, darf das Jobcenter nicht von ihnen verlangen, die Kosten zu senken, sondern muss die reale Miete übernehmen.
“Absenkung der Mietkosten”
Ist die Frist von sechs Monaten verstrichen, die Betroffenen haben keine Kosten gesenkt, auch keine günstigere Wohnung gefunden und auch keinen Nachweis erbracht, dass sie sich darum bemühten, dann senkt das Jobcenter die Mietübernahmen auf die Mietobergrenze.
Was können Betroffene tun?
Entscheidend für Leistungsberechtigte ist erstens, dass sie sich bemühen, die Kosten zu senken und / oder eine “angemessene” Unterkunft zu finden, und zweitens, dass sie dies gegenüber der Behörde auch nachweisen.
Jede Bewerbung für eine freie Wohnung, jede Nachfrage, jede Suchanzeige, jedes Vorsprechen bei einem Vermieter sollten Sie unbedingt dokumentieren. Eine festgelegte Mindestanzahl an Nachweisen gibt es dabei nicht.
Gerichtsfest ist allerdings: Um einen vom Jobcenter zur Kostensenkung geforderten Umzug als unmöglich anzusehen, reicht es nicht, sich bei Wohnungsbaugesellschaften lediglich als wohnungssuchend zu melden. So urteilte das Landessozialgericht Hessen. (Aktenzeichen: L 9 AS 138/19)
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.