Die Jobcenter übernehmen die „Bedarfe für Unterkunft und Heizung“ beim Bürgergeld nur dann vollständig, wenn sie als angemessen eingestuft werden.
Diese Festlegung der Angemessenheit erfolgt auf kommunaler Ebene und führt häufig zu erheblichen Abweichungen, die eine Lücke hinterlassen, die Betroffene oft bis unter das Existenzminimum drückt.
Diese sogenannte „Wohnkostenlücke“ zwingt viele Leistungsbezieher dazu, einen Teil ihrer Miete aus dem ohnehin knappen Regelsatz zu finanzieren. Damit bleibt weniger Geld für essenzielle Dinge wie Ernährung und Kleidung übrig.
Inhaltsverzeichnis
Karenzzeit und ihre begrenzte Wirkung: Eine Reform mit Einschränkungen
Im Rahmen der Bürgergeld-Reform wurde eine Karenzzeit eingeführt, die als Fortschritt gefeiert wurde.
Diese Regelung sieht vor, dass bei neuen Leistungsbeziehern die Miete im ersten Jahr ohne Prüfung auf Angemessenheit vollständig übernommen wird.
Allerdings sind hier deutliche Einschränkungen zu vermerken:
Die Karenzzeit gilt ausschließlich für die Mietkosten und nicht für die Heizkosten.
Zudem profitieren mittlerweile nur noch neue Leistungsbezieher von der Karenzzeit, während langjährige Empfänger von Grundsicherung nur 2023 diese Vorteile in Anspruch nehmen konnten. Gerade die Menschen, die schon lange Bürgergeld beziehen, alt oder gesundheitlich eingeschränkt sind, profitieren kaum von den neuen Regelungen. Die Vorteile sind klar auf die Bezieher zugeschnitten, die näher am Arbeitsmarkt sind und einfacher vermittelt werden können.
Regionale Unterschiede und Rechtswidrigkeit: Die Rolle der Kommunen
Die Berechnung der angemessenen Mietkosten variiert stark von Region zu Region. In vielen Fällen sind die von den Kommunen festgelegten Richtwerte für die Angemessenheit der Mietkosten nicht ausreichend, um die tatsächlichen Mietpreise abzudecken. Sozialgerichte stellen regelmäßig fest, dass diese Konzepte fehlerhaft oder sogar rechtswidrig sind.
Eine Untersuchung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages ergab, dass allein im Jahr 2020 in mindestens 24 Gerichtsverfahren solche rechtswidrigen Mietrichtwerte festgestellt wurden.
Dies betrifft zehntausende Haushalte, die gezwungen sind, den Differenzbetrag aus ihrem Regelsatz oder Ersparnissen zu decken. Besonders betroffen sind hierbei größere Städte und Landkreise, in denen die Mietpreise deutlich über den anerkannten Richtwerten liegen.
In diesen Städten sind die Wohnkostenlücken am Höchsten
Harald Thomé vom Sozialverein Tacheles e.V. rechnet vor: Am höchsten ist die Wohnkostenlücke mit 253 EUR im Jobcenter Ebersberg, 226 EUR im JC Dachau , 215 EUR im JC München, und 204 EUR im JC Fürstenfeldbruck und ebenfalls Oldenburg Stadt, 180 EUR beim JC Saalfeld-Rudolfstadt, 167 EUR im JC Freiburg und 159 EUR im JC Darmstadt, 157 EUR im JC Breisgau,und 150 EUR beim JC Offenbach sowie JC Flensburg. Diese Zahlen stellen den durchschnittlichen Nichtübernahmebetrag jeder in den Unterkunftskosten gekürzten Bedarfsgemeinschaften da.
Beengte Wohnverhältnisse als Folge der niedrigen Leistungen
Um die Lücke zwischen den tatsächlich gezahlten Mietkosten und den als angemessen anerkannten Werten zu schließen, sehen sich viele Leistungsbezieher gezwungen, in deutlich kleineren Wohnungen zu leben.
Es ist nicht unüblich, dass Vier-Personen-Haushalte auf weniger als 60 Quadratmetern wohnen.
Diese Wohnungsgrößen unterschreiten deutlich die landesrechtlichen Vorgaben für sozialen Wohnraum, die je nach Bundesland zwischen 80 und 90 Quadratmetern für förderungswürdige Haushalte liegen.
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Fehlende gesetzliche Anpassungen: Die gescheiterten Reformversuche auf Bundesebene
Seit Jahren wird versucht, durch eine Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen eine einheitliche und gerechte Regelung zu finden. Bereits 2014 wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die bis 2019 vergeblich an verbesserten Konzepten arbeitete.
Auch die 2017 gestartete Arbeitsgruppe der Ministerkonferenz für Arbeit und Soziales (ASMK) konnte aufgrund der komplexen Thematik keine umsetzbaren Vorschläge erarbeiten.
Dies führte dazu, dass die Gruppe seit 2019 nicht mehr tagte. Die Bundesregierung selbst räumte im Jahr 2022 ein, dass das ursprüngliche Ziel, die Erstattung der Wohnkosten transparenter und rechtssicherer zu gestalten, bislang nicht erreicht wurde.
Auch der Plan, eine jährliche Überprüfung der Richtwerte gesetzlich festzulegen, blieb bislang ungelöst.
Forderungen nach gesetzlicher Neuregelung
Die bestehenden Lücken und Ungleichheiten bei der Berechnung der angemessenen Wohnkosten machen eine gesetzliche Neuregelung dringend erforderlich.
Um sicherzustellen, dass die tatsächlichen Mietkosten gedeckt werden, muss eine regelmäßige und objektive Überprüfung der Richtwerte auf kommunaler Ebene eingeführt werden. Die derzeitige Praxis führt dazu, dass viele Haushalte unterhalb des Existenzminimums leben und langfristig in die Armut abrutschen.
Eine “Kleine Anfrage”, gestellt von unterschiedlichen Bundestagsabgeordneten, liegt dazu seit dem 24.06.24 im Deutschen Bundestag vor.
Diese fordert eine klare gesetzliche Regelung, die auf Bundesebene eine präzisere Berechnung der Wohnkosten ermöglicht. Nur so könne die Wohnkostenlücke nachhaltig geschlossen und die finanzielle Sicherheit von Bürgergeldempfängern gewährleistet werden.
Ungelöste Probleme und dringender Handlungsbedarf
Die aktuelle Situation zeigt, dass die Wohnkostenlücke auch nach der Bürgergeld-Reform weiterhin besteht.
Trotz der Karenzzeit und der Reformen profitieren vor allem langjährige Leistungsbezieher nicht von den Verbesserungen. Regionale Unterschiede bei der Mietkostenberechnung und die häufige Rechtswidrigkeit der Richtwerte führen dazu, dass das Existenzminimum vieler Haushalte nicht gedeckt ist.
Die bisherigen Reformansätze auf Bundes- und Landesebene sind erfolglos geblieben. Es muss eine gesetzliche Neuregelung geben, nur so kann der Anspruch auf eine existenzsichernde Wohnung für Bürgergeldempfänger sichergestellt werden.
Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht, Gesundheitsprävention sowie bei gesellschaftspolitischen Themen. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und engagiert sich politisch für Armutsbetroffene.