In vielen Fällen müssen Arbeitgeber gekündigten Arbeitnehmern eine Abfindung zahlen. Aber das Alters des Gekündigten entscheidet auch über die Höhe der Abfindung.
In jüngster Zeit hat nämlich eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Nürnberg für Aufsehen gesorgt: Rentennahe Jahrgänge können demnach weniger Abfindung erhalten als jüngere.
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Wann wird eine Abfindung bei einer Kündigung gezahlt?
Abfindungen sind Geldleistungen, die ein Arbeitgeber im Zuge einer Kündigung oder einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses gewährt. Anders als viele glauben, existiert in Deutschland kein allgemeiner Rechtsanspruch auf eine Abfindung. Ein solcher ergibt sich üblicherweise nur in bestimmten Situationen, zum Beispiel:
- Wenn eine entsprechende Klausel im Arbeits- oder Tarifvertrag vereinbart wurde
- Wenn Arbeitgeber und Betriebsrat in einem Sozialplan Abfindungsregelungen getroffen haben
- Wenn das Arbeitsgericht im Rahmen einer Kündigungsschutzklage eine Abfindung zuspricht (z. B. nach § 9 KSchG)
Häufig werden Abfindungen auch aus Kulanz angeboten, etwa wenn Unternehmen Stellen abbauen und Kündigungen vermeiden möchten. Ziel ist es, den wirtschaftlichen Nachteil für die Beschäftigten abzufedern und einen schnelleren, konfliktärmeren Personalabbau zu ermöglichen.
Warum gibt es Abfindungen im Sozialplan?
Kommt es zu betrieblichen Umstrukturierungen, Fusionen oder Massenentlassungen, sieht das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) vor, dass Betriebsrat und Arbeitgeber einen Interessenausgleich sowie einen Sozialplan aushandeln.
Der Sozialplan soll dabei die wirtschaftlichen Nachteile, die durch den Arbeitsplatzverlust entstehen, ausgleichen oder zumindest mildern. Eine mögliche Maßnahme ist die Zahlung von Abfindungen.
Sozialpläne enthalten in der Regel eine feste Formel, nach der die Abfindung berechnet wird. Typische Faktoren sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das letzte Bruttogehalt und das Lebensalter. Die konkrete Formel kann jedoch je nach Betrieb unterschiedlich ausfallen.
Sind rentennahe Jahrgänge benachteiligt?
Die Frage, ob ältere Beschäftigte oder rentennahe Jahrgänge durch geringere Abfindungen diskriminiert werden, wird in der Rechtsprechung immer wieder kontrovers diskutiert. Jüngst entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg (Urteil AZ: 8 Sa 164/22), dass eine verringerte Abfindung für Beschäftigte, die kurz vor dem Rentenbezug stehen, nicht per se eine unzulässige Diskriminierung darstellt.
Konkret ging es um folgende Situation: Ein Arbeitnehmer, der zum Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet hatte, erhielt einen niedrigeren Multiplikationsfaktor (0,25) bei der Berechnung seiner Abfindung.
Jüngere Beschäftigte erhielten einen Faktor von 1,0. Der betroffene Arbeitnehmer sah sich deshalb wegen seines Alters benachteiligt und klagte. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das LAG Nürnberg befanden die Regelung aber für wirksam.
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Greift nicht das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)?
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll Benachteiligungen aus Gründen wie Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Religion oder eben Alter verhindern. Allerdings sieht § 10 AGG Ausnahmen vor, wenn eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist.
Nach § 10 Nr. 6 Variante 2 AGG darf eine Betriebspartei unterschiedliche Regelungen treffen, um sozialpolitische Ziele zu erreichen. Eine Abfindung stellt zwar eine finanzielle Leistung dar, ist aber primär als Überbrückungshilfe gedacht.
Das LAG Nürnberg begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass rentennahe Beschäftigte nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezugs in den Ruhestand übergehen können. Damit hätten sie, so die Ansicht des Gerichts, nicht die gleichen wirtschaftlichen Nachteile wie Jüngere, die noch mehrere Jahre auf dem Arbeitsmarkt aktiv sein müssten.
Wie begründete das LAG Nürnberg seine Entscheidung?
Die Richterinnen und Richter in Nürnberg betonten, dass eine Abfindung grundsätzlich nicht dazu gedacht sei, einen dauerhaften Einkommensverlust vollständig auszugleichen. Vielmehr solle sie den Übergang erleichtern, beispielsweise den Zeitraum bis zum Bezug des Arbeitslosengeldes oder einer neuen Beschäftigung finanziell abfedern.
Wer zeitnah ins Rentenalter eintritt, sei nicht in gleichem Maße auf die Zahlung angewiesen, um längere Phasen der Arbeitssuche zu überbrücken.
Diese Sichtweise schließt sich einer älteren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) an. Das BAG hatte am 7. Mai 2019 (1 ABR 54/17) bereits entschieden, dass sogar der vollständige Ausschluss rentennaher Jahrgänge aus einem Sozialplan möglich sein kann – sofern damit das legitime Ziel verfolgt wird, die wirtschaftlichen Nachteile für diejenigen abzufedern, die noch keine Rente beziehen können.
In welchen Fällen ist eine Abfindung verpflichtend?
Obwohl es keinen allgemeinen gesetzlichen Anspruch auf Abfindung gibt, entstehen in bestimmten Konstellationen Verpflichtungen zur Zahlung. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn:
- Ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung entsprechende Abfindungsklauseln enthält.
- Ein Arbeitnehmer erfolgreich gegen eine Kündigung klagt und das Gericht einen Abfindungsvorschlag macht oder die Wiedereinstellung anordnet (Kündigungsschutzklage).
- Ein Sozialplan gezielt Abfindungsansprüche regelt und Arbeitgeber sowie Betriebsrat diese Vereinbarungen rechtsverbindlich festgelegt haben.
In all diesen Fällen besteht eine gewisse Verbindlichkeit. Handelt es sich hingegen nur um ein freiwilliges Angebot des Arbeitgebers, kann dieser grundsätzlich auch bestimmte Bedingungen für die Zahlung festlegen.
Welche Auswirkungen hat das Urteil für die Praxis?
Die Entscheidung des LAG Nürnberg zeigt, dass eine Ungleichbehandlung rentennaher Jahrgänge in Sozialplänen nicht automatisch gegen das Diskriminierungsverbot verstößt.
Arbeitgeber haben somit eine gewisse Rechtssicherheit, wenn sie bei der Gestaltung von Abfindungsregelungen Altersfaktoren einfließen lassen. Dennoch gibt es Grenzen: Abweichungen müssen sachlich gerechtfertigt sein und dürfen nicht willkürlich erfolgen.
Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bleibt es wichtig zu prüfen, ob eine Altersabstufung in Abfindungsregelungen durch einen legitimen Zweck gedeckt ist. Sollte der Eindruck entstehen, dass hier ohne sachliche Gründe benachteiligt wird, kann eine arbeitsrechtliche Überprüfung oder eine Klage sinnvoll sein.
Worauf sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber achten?
Die aktuelle Rechtsprechung bestätigt, dass Abfindungsregelungen nach Alter differenzieren dürfen, sofern dafür ein legitimer Zweck besteht – insbesondere, wenn Beschäftigte nahe am Rentenalter sind und deshalb weniger schwerwiegende finanzielle Einbußen befürchten müssen als Jüngere.
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