Hartz IV: Minderjährige haben Schulden bei der BA in Millionenhöhe

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Wie die Bundesagentur für Arbeit berichtet, haben rund 570.000 Minderjährige Schulden in einer Gesamthöhe von 192,1 Millionen Euro angehäuft. Dabei haben die Betroffenen die Schulden in den meisten Fällen nicht selbst verursacht, sondern müssen für Fehlberechnungen der Bedarfsgemeinschaften haften, weil diese zu hohe Hartz-IV-Leistungen bezogen. Es gibt allerdings Auswege, die wir in diesem Artikel beschreiben.

Wenn der Inkassodienst zu viel gezahlte Hartz IV Leistungen zurück fordert

Sara G. hatte sich den Beginn ihrer Volljährigkeit vollkommen anders vorgestellt. Endlich wollte sie auf eigenen Beinen stehen, eine Ausbildung beginnen und ihr eigenes Geld verdienen.

Kurz vor ihrem 18. Geburtstag bekam sie ein Schreiben des regionalen Inkassodienstes der Bundesagentur für Arbeit. Sie solle mehrere Tausend Euro, aufgrund zu viel gezahlter Hartz IV Leistungen, zurückzahlen.

Für Sara ist dies ein unglaublicher Vorgang. Schließlich habe nicht sie diese Schulden angehäuft, sondern z.B. falsche Angaben im Hartz IV Antrag der Eltern. Dennoch soll sie für die Schuldenlast aufkommen.

Viele junge Menschen reagieren verständlicherweise mit Unverständnis und kümmern sich nicht darum. Doch das Problem ist damit leider nicht aus der Welt geschafft.

So wie Sara ergeht es hunderttausenden (ehemaligen) Leistungsbeziehern, die unverschuldet mit Schulden ins Erwachsenenleben starten.

Was also können Betroffene tun? Birgit Knaus vom Evangelischen Diakonieverband, gibt Antworten zur weiteren Vorgehensweise, um das Problem zu minimieren.

Prüfen, ob die Rückforderungen gerechtfertigt sind

Zunächst sollte geprüft werden, ob die Rückforderungen der Behörden rechtens sind. “Wurden Freibeträge nicht beachtet, eine Aufteilung beispielsweise von Weihnachtsgeld auf mehrere Monate nicht richtig vorgenommen oder wurden Kosten in Zusammenhang mit der Arbeit nicht richtig berücksichtigt?”

Damit solche Detailfragen geklärt werden können, sollten versierte Erwerbslosenberatungsstellen mit involviert sein.

Wenn es solche Anhaltspunkte gibt, sollte ein Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt werden. Wenn allerdings die Widerspruchsfrist überschritten ist, sollte eine rückwirkende Überprüfung nach § 44 SGB X (sog. Überprüfungsantrag) beantragt werden.

Wichtig dabei ist, dass die Anträge/Widersprüche immer bei der Behörde gestellt sind, die auch den Bescheid erlassen hat. Das bedeutet, nicht etwa der Inkassosodienst der Bundesagentur für Arbeit ist zuständig, sondern das Jobcenter, dass den Bescheid erlassen hat.

Stellt sich raus, dass die Rückforderung vom Grunde her berechtigt ist oder für einen Widerspruch bzw. für rückwirkende Prüfung die Frist abgelaufen ist, so ist der Bescheid rechtskräftig. An der Forderung als solches kann dann so nichts verändert werden.

Befristete Niederschlagung oder Stundung beantragen

Es ergeben sich jedoch weitere Möglichkeiten, um die Last abzufedern. Kann gegen den Bescheid nicht vorgegangen werden, so kann man eine befristete Niederschlagung oder wenn das nicht klappt, eine Stundung beim Inkassoservice der Bundesagentur für Arbeit zu beantragen. Damit ist zunächst wertvolle Zeit gewonnen.

Einrede der Beschränkung der Minderjährigenhaftung

Wer Volljähig wird, kann eine “Einrede der Beschränkung der Minderjährigenhaftung” nach § 1629a BGB beantragen. Denn für die Schulden, die während der Minderjährigkeit enstanden sind, haften die Kinder mit Eintritt der Volljährigkeit nur mit vorhandenem Vermögen.

Konkret bedeutet dies:

  • Wenn das verschuldete Kind einen Tag vor der Volljährigkeit kein Vermögen hatte, muss die Forderung gegen das Kind ausgebucht werden!
  • Besteht Vermögen, das jedoch geringer als die geforderte Summe ausfällt, so kann nur der überschießende Teil erlassen werden.

Hierzu ein Beispiel: Hat der Schuldner 100 Euro auf dem Sparkonto, die Forderung beträgt jedoch 500 Euro, so müssen 400 Euro ausgebucht werden.

Besteht ein Vermögen vor dem Eintritt der Volljährigkeit, dass die geforderte Schuldensumme übersteigt, muss das Kind voll haften. Achtung: Hierbei gibt es kein Schonvermögen.

Nachweis, ob Vermögen besteht

Tritt die Volljährigkeit ein, muss entsprechend nachgewiesen werden, ob ein Vermögen besteht. Das erfolgt beispielsweise über die Kopie eines Sparbuches oder eines Kontoauszuges. Daher ist es wichtig, noch vor dem Tag der Volljährigkeit oder direkt am 18. Geburtstag Kontoauszüge drucken zu lassen.

Das ist sehr wichtig, damit der Kontostand nachgewiesen werden kann. Später ist soetwas immer eher schwierig, so die Schuldnerberaterin. “Maßgeblich ist das Vermögen genau zu dem Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit – quasi nachts um 0:00 Uhr”, so Knaus.

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Geldgeschenke zum 18. Geburtstag erst später überweisen

In der Praxis bedeutet dies: Geldgeschenke beispielsweise von Verwandten vor der am Geburtstag, sollten nicht vor oder zum des 18. Geburtstages auf das Sparkonto überwiesen werden!

Ein paar Tage später ist das dann kein Problem mehr. Ein paar Tage später hat das Enkelkind dann auch etwas davon. “Geschenke am 18. Geburtstag sind grundsätzlich kein Vermögen zum Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit. Sie erfolgen ja erst danach. Aber: Der Nachweis kann schwierig werden.”

Wird das Einkommen angerechnet?

Haben Kinder kein Einkommen, ist der Nachweis, dass kein Vermögen vorhanden ist, in der Praxis problemlos. Verfügen die Betroffenen über ein Einkommen beispielsweise ein Ausbildungsgehalt oder Geldzuflüsse durch sonstige Tätigkeiten, so kann argumentiert werden, dass dieses Einkommen zum Lebensunterhalt benötigt wird und daher kein Vermögen sei.

Einrede stellen

Die Bundesagentur für Arbeit muss beraten. Das heißt, sie muss auf Möglichkeiten der Haftungsbegrenzung hinweisen. Normalerweise tut dies die BA schriftlich. Das kommt bei jungen Menschen allerdings nicht immer an und wird nicht richtig verstanden. Daher sollten sich Betroffenen beraten lassen!

Eine Einrede sollte immer schriftlich erfolgen. Sie kann nur von dem Betroffenen selbst, der gerade volljährig geworden ist, selbst unterschrieben sein. Achtung: Die Unterschrift der Eltern oder gesetzlicher Vertreter wird nicht akzeptiert!

Eine solche Einrede ist nicht gesetzlich begrenzt. Auch viele Jahre danach kann sie erfolgen. Jedoch wird dann der Nachweis meistens schwierig, dass zum Eintritt des 18. Geburtstages kein Vermögen bestanden hat.

Kindergrundsicherung wird das Problem künftig lösen

Das komplizierte Verfahren wird sich hoffentlich mit der Einführung der Kindergrundsicherung erledigen. Allerdings ist fraglich, was dann mit den “Altfaällen” passiert.

Meistens ist das Verständnis der Rechtslage der betroffenen Kinder ein Problem. “Meine Eltern haben es verbockt, die sollen sich darum kümmern” ist eine verständliche Einstellung – hilft aber halt leider nicht weiter, so Knaus.

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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