Das Recht der Witwenrente wurde grundlegend geändert. Diese Reform trat zum 1. Januar 2002 in Kraft. Allerdings fiel die Neuerung für viele Betroffene eher negativ aus. Weshalb diese Reform so weitreichend ist, worin die wesentlichen Änderungen bestehen und warum Hinterbliebene seitdem oft Einbußen hinnehmen müssen, erläuterte der Rechtsanwalt und Rentenberater Peter Knöppel.
Wer ist vom neuen Recht betroffen?
Die Neuregelung im Hinterbliebenenrecht richtet sich an einen klar umgrenzten Personenkreis. Zum einen umfasst sie Ehen, die erst nach dem 31. Dezember 2001 geschlossen wurden. Zum anderen betrifft sie bereits bestehende Ehen, sofern beide Partner nach dem 1. Januar 1962 geboren wurden.
Wer in diese Kategorien fällt, erhält seine Witwenrente ausschließlich nach den Bestimmungen des neuen Rechts, das oft in seiner Gesamtheit als „Gesetz zur Verbesserung der Hinterbliebenenversorgung“ bezeichnet wird.
Welche Auswirkungen hat die Mindestehedauer?
Die Reform führte eine Mindestdauer der Ehe von einem Jahr ein. Frühere Regelungen erlaubten Hinterbliebenenrenten bereits dann, wenn der Tod des Ehepartners kurz nach der Eheschließung eintrat.
Heute wird unterstellt, es handle sich bei Ehen, die kürzer als zwölf Monate bestehen, um sogenannte „Versorgungsehen“.
Hier greift der Rentenanspruch nicht, es sei denn, der Tod des Ehepartners trat völlig unerwartet ein, etwa durch plötzlichen Unfall oder schweren medizinischen Notfall. In solch einem Ausnahmefall steht den Hinterbliebenen die Rente trotz kurzer Ehedauer zu.
Warum wurde die Große Witwenrente abgesenkt?
Die ursprüngliche Große Witwen- oder Witwerrente betrug vor 2002 noch 60 Prozent des Rentenanspruchs des Verstorbenen. Mit dem neuen Gesetz sank sie jedoch auf 55 Prozent, was in vielen Fällen zu spürbaren Einbußen führt.
Als Ausgleich für diese Reduzierung wurde ein Kinderzuschlag für den Fall eingeführt, dass Kinder in den ersten drei Lebensjahren erzogen werden. Dieser Zuschlag fällt jedoch nur für diejenigen relevant ins Gewicht, die tatsächlich Kinder versorgen. Kinderlose Hinterbliebene erhalten keine entsprechende Kompensation.
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Wie funktioniert die Kleine Witwenrente nach 2002?
Auch die Kleine Witwenrente hat sich durch die Reform verändert. Sie beträgt zwar weiterhin 25 Prozent des Rentenanspruchs des Verstorbenen, wird aber nur noch für höchstens 24 Monate gezahlt.
Vor der Reform konnte sie unbegrenzt gewährt werden und ging später in die Große Witwenrente über, sobald das dafür notwendige Alter oder andere Voraussetzungen erfüllt waren.
Heute stehen vor allem jüngere Witwen und Witwer oftmals schon nach zwei Jahren ohne jede Hinterbliebenenleistung da. Diese zeitliche Befristung kann große Versorgungslücken hinterlassen, sofern keine weiteren Einkünfte oder Unterstützungsmöglichkeiten vorhanden sind.
Welche Einkünfte werden bei der Hinterbliebenenrente angerechnet?
Bereits vor 2002 wurde Erwerbseinkommen oder eine bestehende Alters- oder Erwerbsminderungsrente bei der Hinterbliebenenrente berücksichtigt. Nach der Reform sind weitere Einkommensarten hinzugekommen, die den Rentenanspruch reduzieren können.
So wird seither auch Einnahmen aus Kapitalvermögen oder Vermietung und Verpachtung mehr Beachtung geschenkt. Ebenso können bestimmte private oder betriebliche Rentenzahlungen als Einkommen gewertet werden. Diese umfangreichere Anrechnung führt oft zu einer zusätzlichen Kürzung der Hinterbliebenenrente.
Für viele Betroffene ist dieser Schritt vor allem deshalb problematisch, weil einige Einkünfte zuvor nicht in die Berechnung eingingen.
Wer beispielsweise nur ein kleines Polster aus Zinseinnahmen oder eine kleine Betriebsrente hat, kann nun von Leistungskürzungen betroffen sein, die er so nicht eingeplant hatte.
Nicht berücksichtigt werden dagegen Transferleistungen wie Bürgergeld (ehemals ALG II) oder Sozialhilfe und staatlich geförderte Riester-Renten. Ebenso wenig werden Leistungen angerechnet, die direkt aus einem Hinterbliebenenvertrag des Verstorbenen stammen.
Einkommensanrechnung: Welche Einkünfte werden heute berücksichtigt?
Was wurde bereits nach altem Recht angerechnet?
Schon nach dem früheren Recht wurden bestimmte Einkünfte auf die Witwen-/Witwerrente angerechnet, z. B.:
- Erwerbseinkommen (Arbeitsentgelt, Selbstständigeinkünfte)
- Beamtenbezüge
- Gesetzliche Renten (z. B. Altersrenten, Erwerbsminderungsrenten)
- Verletztenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung
- Pensionen und ähnliche Zahlungen
- Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Krankengeld, Vorruhestandsgeld
Diese Einkünfte mindern also bereits seit langer Zeit den Anspruch auf die Hinterbliebenenrente.
Welche neuen Einkünfte werden zusätzlich berücksichtigt?
Mit der Reform 2002 hat der Gesetzgeber den Kreis der anzurechnenden Einkünfte erweitert. Seitdem werden u. a. auch folgende Einkommensarten herangezogen:
- Einkünfte aus Kapitalvermögen (z. B. Zinsen, Dividenden)
- Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung
- Kapitalleistungen aus Lebens- und privaten Rentenversicherungen (sofern Zinsen bzw. Überschüsse enthalten sind)
- Betriebliche Altersversorgung (z. B. Betriebsrenten)
- Private Alters- oder Erwerbsminderungsrenten
- Zusatzrenten aus berufsständischen Versorgungseinrichtungen (z. B. Versorgungswerke für Anwälte, Steuerberater, Architekten)
Was wird nicht angerechnet?
Nicht alle Einkünfte sind anrechenbar. Beispielsweise nicht angerechnet werden:
- Bürgergeld (ehemals ALG II) und Sozialhilfe
- Erziehungsgeld
- Leistungen aus der staatlich geförderten Riester-Rente
- Todesfall-Leistungen aus privaten oder betrieblichen Verträgen, die direkt für den Hinterbliebenen abgeschlossen wurden
Wichtig ist jedoch immer, eine saubere Abgrenzung zu treffen: Beruhen die Auszahlungen auf einem eigenen Vertrag des Hinterbliebenen oder aus einem Vertrag des Verstorbenen?
Was hat es mit dem Rentensplitting auf sich?
Anstatt eine Witwen- oder Witwerrente zu beziehen, können Ehepaare seit 2002 ein Rentensplitting vereinbaren.
Damit teilen sie die während der Ehe erworbenen Rentenanwartschaften zu gleichen Teilen untereinander auf. Wer diese Variante wählt, hat später keinen Anspruch mehr auf die klassische Hinterbliebenenrente.
Zwar werden bei dieser Variante keine Einkommensanrechnungen vorgenommen, doch entfällt gleichzeitig auch der Kinderzuschlag. Eine Beratung durch einen fachkundigen Rentenberater oder Rechtsanwalt ist daher dringend zu empfehlen, da ein Rentensplitting unwiderruflich ist und gerade im Hinblick auf eine mögliche Wiederheirat oder künftige Einkommensveränderungen gut abgewogen sein will.
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Fällt das Fazit zur Reform eher positiv oder negativ aus?
Trotz des verheißungsvollen Namens „Gesetz zur Verbesserung der Hinterbliebenenversorgung“ brachten die Änderungen vielfach Leistungskürzungen mit sich. Vor allem die Absenkung der Großen Witwenrente, die Befristung der Kleinen Witwenrente und die Ausweitung der Einkommensanrechnung sorgten für deutlich geringere Rentenansprüche. Zwar gibt es durch den Kinderzuschlag für manche Betroffene eine spürbare Erleichterung, doch ohne Kinder läuft die Neuregelung meist auf Einbußen hinaus.
Wer als Hinterbliebener unsicher ist, ob für ihn das alte oder das neue Recht gilt oder wie bestimmte Einkünfte angerechnet werden, sollte sich rechtzeitig fachkundige Beratung suchen. Die Komplexität des Themas hat mit der Reform weiter zugenommen. Gerade die Frage nach dem Rentensplitting oder die Anrechnung unterschiedlicher Einkünfte lässt sich kaum ohne Expertise zuverlässig klären.
Dennoch bleibt festzuhalten, dass es sich bei der Reform von 2002 um einen entscheidenden Einschnitt in der Geschichte der deutschen Hinterbliebenenrenten handelt, der für viele Betroffene tiefgreifende Auswirkungen hatte. Ob diese Auswirkungen im Einzelfall tragbar oder sogar vorteilhaft sind, lässt sich nur in einer individuellen Beratung beurteilen.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.