Voll erwerbsgemindert ist nach dem Rentenrecht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr in der Lage ist, mindestens drei Stunden täglich eine körperlich leichte Erwerbstätigkeit auszuüben.
Das Sozialgericht Münster hat in einem aktuellen Fall klargestellt, dass eine volle Erwerbsminderung auch dann vorliegen kann, wenn eine ausreichende Gehfähigkeit fehlt.
Az.: S 24 R 214/21
Inhaltsverzeichnis
Der Fall vor dem Sozialgericht Münster
Ein 46-jähriger Kläger konnte sich aufgrund starker Schmerzen in den Beinen kaum noch zu Fuß fortbewegen. In einem zweijährigen Rechtsstreit mit seiner Rentenversicherung konnte der Kläger letztlich seine Ansprüche auf eine Rente wegen Erwerbsminderung durchsetzen.
Gutachten und Feststellungen
Laut den eingeholten Gutachten war der Kläger zwar körperlich in der Lage, leichte Tätigkeiten für mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Allerdings litt er an einer schweren Nervenschädigung der Beine, die es ihm unmöglich machte, längere Gehstrecken zurückzulegen. Diese Einschränkung wurde im gerichtlichen Verfahren bestätigt und spielte eine entscheidende Rolle im Urteil des Sozialgerichts.
Gesetzliche Grundlagen und Auslegung des Gerichts
Das Gericht stellte klar, dass eine volle Erwerbsminderung vorliegt, wenn Versicherte aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht mindestens drei Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erwerbstätig sein können. Wer unter diesen Bedingungen nicht mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein könne, sei aber auch nicht grundsätzlich teilweise erwerbsgemindert. Entscheidend sei auch die Wegefähigkeit, die den Zugang zum Arbeitsmarkt beeinflusst.
Bedeutung der Wegefähigkeit
Der Arbeitsmarkt gilt als verschlossen, wenn der Versicherte den Weg zur Arbeitsstelle nicht bewältigen kann. Auch wenn ein sechs- oder vollschichtiges Leistungsvermögen besteht, fehlt die Möglichkeit, ein Erwerbseinkommen zu erzielen, wenn der Arbeitsweg nicht zurückgelegt werden kann. Hierbei wird nicht der konkrete Weg von der Wohnung zur Arbeit betrachtet, sondern ein generalisierender Maßstab angelegt.
Anforderungen an die Wegefähigkeit
Versicherte müssen in der Lage sein, viermal täglich eine Wegstrecke von etwas mehr als 500 Metern innerhalb von 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeit zu nutzen. Für die Beurteilung der Mobilität sind alle verfügbaren Hilfsmittel wie Gehstützen und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Nutzung von eigenen Fahrzeugen muss möglich sein
Auch die Nutzung eines (in der Regel eigenen) Fahrzeugs oder Fahrrads zählt zur Wegefähigkeit. Alternativ muss ein Arbeitsplatz in zumutbarer Entfernung erreichbar sein. Im vorliegenden Fall konnte der Kläger die geforderte Strecke nicht mehr in der notwendigen Zeit bewältigen. Während der mündlichen Verhandlung zeigte sich, dass er sich nur schlurfend und langsam fortbewegen konnte.
Keine Verfügbarkeit eines eigenen Fahrzeugs
Ein Fahrzeug muss verfügbar sein, um die Wegefähigkeit zu gewährleisten. Der Kläger besaß zwar ein Auto, dieses war jedoch beschädigt und nicht mehr fahrbereit. Daher hatte er einen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.