Wer in Deutschland aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden muss oder möchte, hat grundsätzlich zwei gesetzliche Renteninstrumente zur Auswahl.
Die eine Lösung ist die Erwerbsminderungsrente, gedacht für Menschen, deren Leistungsfähigkeit aufgrund von Krankheit oder Unfall dauerhaft so eingeschränkt ist, dass reguläres Arbeiten kaum noch möglich ist.
Die andere ist die vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen, die nicht von der aktuellen Arbeitsfähigkeit ausgeht, sondern an eine anerkannte Schwerbehinderung gekoppelt ist.
Obwohl beide Renten den Abschied aus dem Berufsleben erleichtern, unterscheiden sich ihre Zugangsvoraussetzungen, Altersgrenzen und finanziellen Folgen deutlich – ein Umstand, der in der Beratungspraxis häufig zu Missverständnissen führt.
Erwerbsminderungsrente: Absicherung, wenn Arbeiten kaum noch geht
Die Erwerbsminderungsrente setzt an der tatsächlichen Leistungsfähigkeit an. Anspruch hat, wer nach ärztlicher Beurteilung weniger als sechs Stunden täglich arbeiten kann; liegt das Leistungsvermögen sogar unter drei Stunden, handelt es sich um eine volle Erwerbsminderung, andernfalls um eine teilweise.
Die Rentenversicherung verlangt dafür keine anerkannte Schwerbehinderung – entscheidend sind ausschließlich medizinische Gutachten und Befundberichte. Die formalen Hürden liegen vor allem im Versicherungsrecht: Mindestens fünf Jahre müssen zwischen Versicherungsbeginn und dem Eintritt der Erwerbsminderung liegen, und innerhalb der letzten fünf Jahre sind drei Jahre Pflichtbeiträge nötig.
Für Menschen, die schon sehr früh im Leben voll erwerbsgemindert sind, existiert eine Sonderregel: Nach zwanzig Jahren Beitragszeit – etwa als Beschäftigte in einer Werkstatt für behinderte Menschen – entsteht ebenfalls ein Rentenanspruch.
Wer bereits eine medizinische Reha durchlaufen hat, muss im Antrag sämtliche Befunde beifügen; häufig ordnet die Rentenversicherung zusätzlich eine unabhängige Begutachtung an. Zusätzliche Nachweise wie ein Feststellungsbescheid zum Grad der Behinderung sind freiwillig, können den Prozess aber beschleunigen, weil sie das vorhandene Material ergänzen.
Neben den arbeitsmedizinischen Voraussetzungen rücken gelten auch neue Hinzuverdienstmöglichkeiten: Wer 2025 eine volle Erwerbsminderungsrente bezieht, darf bis zu 19 661 Euro im Jahr hinzuverdienen, ohne dass die Leistung gekürzt wird; bei teilweiser Erwerbsminderungsrente liegt die Grenze bei 39 322 Euro.
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Altersrente für schwerbehinderte Menschen: Früher in Rente, auch wenn man noch leistungsfähig ist
Ganz anders funktioniert die vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Hier ist das Vorliegen einer Schwerbehinderung von mindestens 50 Prozent (Grad der Behinderung) wichtig, nachgewiesen durch den Bescheid des Versorgungsamts oder den Schwerbehindertenausweis.
Wer diese Hürde überspringt und insgesamt 35 Versicherungsjahre nachweisen kann – angerechnet werden neben Pflichtbeitragszeiten auch Kindererziehungszeiten, Pflege von Angehörigen, Krankengeldbezug, Arbeitslosigkeit sowie bis zu acht Jahre Schul- oder Studienzeit – darf zwei Jahre vor der individuellen Regelaltersgrenze abschlagsfrei in Rente gehen.
Für Versicherte des Geburtsjahrgangs 1964 und jünger bedeutet das: Die abschlagsfreie Altersrente ist mit 65 statt mit 67 Jahren möglich. Wer bereit ist, Rentenabschläge von 0,3 Prozent pro vorgezogenem Monat hinzunehmen, erhält die Rente sogar bereits mit 62 Jahren – also insgesamt fünf Jahre vor der regulären Altersgrenze.
Während die Erwerbsminderungsrente allein auf den Gesundheitszustand abstellt, wird bei der Altersrente für schwerbehinderte Menschen nicht geprüft, ob und wie lange jemand tatsächlich noch arbeiten kann.
Theoretisch könnten Leistungsfähige mit anerkannter Schwerbehinderung weiter Vollzeit beschäftigt sein, sich aber aus finanziellen oder persönlichen Gründen für den vorzeitigen Ruhestand entscheiden.
Volle und teilweise Erwerbsminderung versus Teilrente: Begriffe mit Tücken
In der Praxis führt die begriffliche Nähe von „teilweiser Erwerbsminderungsrente“ und „Teilrente“ häufig zu Irritationen. Tatsächlich handelt es sich um zwei völlig unterschiedliche Rechtskonstruktionen. Die teilweise Erwerbsminderungsrente wird gezahlt, wenn das verbliebene Leistungsvermögen noch drei bis unter sechs Stunden täglich beträgt; sie ist also weiterhin eine Rente wegen gesundheitlich bedingter Einschränkungen.
Die Teilrente hingegen ist ein freiwillig gewählter Teilauszahlungsmodus einer regulären Altersrente und hat mit Erwerbsminderung nichts zu tun. Wer die beiden Formen verwechselt, riskiert falsche Anträge und damit Verzögerungen im Rentenverfahren.
Gemeinsame und trennende Linien
Gemeinsam ist beiden Renten, dass sie lange Versicherungsbiografien honorieren: Fünf Jahre Wartezeit bei der EM-Rente beziehungsweise 35 Jahre bei der Schwerbehinderten-Altersrente sichern den Anspruch. Trennend wirkt dagegen das Kriterium der Schwerbehinderung. Für die EM-Rente ist sie optional und maximal ein unterstützender Nachweis; für die Altersrente ist sie zwingende Voraussetzung.
Auch der Zeitpunkt des Rentenbeginns unterscheidet sich erheblich. Eine EM-Rente kann – wenn das Schicksal es verlangt – bereits mit Anfang zwanzig gewährt werden. Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen bleibt auf wenige Jahre vor der Regelaltersgrenze begrenzt.
Antrag und Beratung
Unabhängig vom Rententyp gilt: Ohne vollständige Unterlagen und fachkundige Beratung wird das Verfahren schnell zur Geduldsprobe. Die Deutsche Rentenversicherung empfiehlt, Anträge möglichst früh – bei der EM-Rente spätestens drei Monate vor dem gewünschten Rentenbeginn, bei der Altersrente sechs bis zwölf Monate im Voraus – zu stellen.
Parallel lohnt sich der Besuch bei Versichertenältesten oder in Beratungsstellen, um Wartelücken oder fehlende Pflichtbeiträge rechtzeitig zu klären.
Fazit
Die Wahl zwischen Erwerbsminderungsrente und vorgezogener Altersrente für schwerbehinderte Menschen hängt von sehr unterschiedlichen Kriterien ab. Wer aufgrund einer schweren gesundheitlichen Einschränkung dauerhaft nur eingeschränkt arbeiten kann, sollte die EM-Rente in den Blick nehmen – sie federt den Verdienstausfall ab und kann früh im Lebenslauf greifen.
Wer dagegen eine anerkannte Schwerbehinderung und eine ausreichende Versicherungsbiografie hat, kann gezielt prüfen, ob sich der frühere rentenunschädliche Ausstieg aus dem Beruf lohnt. Klar ist: Präzise Vorbereitung und Beratung sind der Schlüssel, um die jeweils beste Option zu nutzen und Nachteile zu vermeiden.