Corona-Pandemie – darf der Staat Grundrechte außer Kraft setzen?

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Quarantäne ganzer Dörfer und Städte auch in Deutschland möglich?

Die zweite Corona-Welle hat bereits begonnen. Obwohl die Infektionszahlen heute höher sind als noch im März, setzt die Bundesregierung verstärkt auf eigenverantwortliches Handeln. Schon jetzt ist aber abzusehen, dass es sehr schell auch zu verschärften Maßnahmen bis hin zum Lockdown kommen kann. Welche Maßnahmen kann eigentlich die Regierung umsetzen und darf überhaupt in die Grundrechte der Bürger eingegriffen werden? Wir klären auf.

Quarantäne ganzer Landkreise in Deutschland nicht möglich?

Für viele Menschen mag es unvorstellbar erscheinen, dass Millitär und Polizei in Schutzanzügen ganze Dörfer oder Städte abriegeln, um eine Virus-Epidemie einzudämmen. Als die Bilder aus China in den deutschen Medien gezeigt wurden, sagten viele Beobachter und Experten, dass eine solche Situation in Deutschland faktisch unmöglich sei. Mit Ausbreitung des Coronavirus auch in Europa nähren sich die Vermutungen, dass solch drastische Maßnahmen auch hierzulande möglich seien. Was sagt aber die Gesetzeslage dazu?

Infektionsschutzgesetz mit weitreichenden Befugnissen

Zur Bekämpfung von gefährlichen Seuchen haben europäische Länder – und auch Deutschland – weitreichende Befugnisse, um die Bewegungsfreiheit der Bürger einzuschränken. In Deutschland sind Eingriffsbefugnisse im Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt. Erst im Jahre 2001 wurde das IfSG vom alten Bundesseuchengesetz abgelöst.

Bei dem Coronavirus besteht eine Meldepflicht

Damit der Staat und die Behörden eine Ausbreitung einer Epidemie im Ausmaß analysieren können, existieren Meldepflichten. Kliniken und Ärzte müssen den Gesundheitsämtern mitteilen, wenn bei Patienten Pest, Cholera, Masern und andere übertragbare Infektionskrankheiten diagnostiziert wurden. Diese Regelungen sind im § 6 und § 8 festgeschrieben. Wie im Falle des neuarigen Coronavirus können die Verordnungen laut § 15 in kurzer Zeit ergänzend fixiert sein.

Weitreichende Ermittlungen erlaubt

Bei Verdacht einer Infektion mit dem Coronavirus dürfen die Behörden weitgehende Ermittlungen vornehmen. Hierzu gehört, dass die Beamten auch ohne Gerichtsbeschluss die Wohnung betreten, Unterlagen in Augenschein und kopieren sowie Proben entnehmen dürfen. Diese Maßnahmen sind im § 16 des IfSG festgeschrieben.

Personen, die sich infiziert haben oder der Verdacht besteht, dass eine Infektion erfolgte, dürfen vorgeladen werden. Dort angekommen dürfen verschiedene Untersuchungen wie Blutentnahme oder bildgebene Diagnostiken vollzogen werden. Das müssen Betroffene laut § 25 über sich ergehen lassen.

Einschränkung des öffentlichen Lebens

Besteht die Gefahr der Ausbreitung, kann das Gesundheitsamt das Leben des Einzelnen oder auch das öffentliche Leben einschränken. Dazu gehört, dass öffentliche Veranstaltungen untersagt werden. Schulen, öffentliche Einrichtungen sowie Kindertagesstätten können geschlossen werden (§ 28). Wenn es einen medizinischen Sinn ergibt, können Gesundheitsbehörden auch eine Impfpflicht laut § 20 anordnen. Da im Falle des Coronavirus bislang keine Impfungen vorhanden sind, ist dieser Punkt derzeit ausgeschlossen. Sobald aber eine Impfung getestet und sich als sinnvoll herauskristalisiert hat, ist auch dieser Punkt nicht ausgeschlossen.

Isolierung von Verdachtsfällen und Infizierten

Infizierte, Erkrankte und sogar Verdachtsfälle dürfen in Quarantäne isoliert werden. So soll eine weitere Ausbreitung und Ansteckungsgefahr für die Umwelt verhindert werden. In Kliniken werden die Patienten isloiert von anderen behandelt. Weigern sich die Betroffenen, dürfen Zwangsmittel eingesetzt werden. Den Betroffenen werden persönliche Gegenstände und Unterlagen abgenommen. Telefonate mit der Außenwelt werden abgehört und Briefe gelesen. Das alles regelt der § 30. In abgeschwächter Form kann auch ein Berufsverbot erfolgen. Ist der Patient oder Verdachtsfall zum Beispiel ein Lehrer, kann ihm die Berufsausübung nach § 31 für eine Zeit untersagt sein.

Quarantäne ganzer Dörfer oder Städte

In der öffentlichen Debatte weitgehende und freiheitseinschränkende Maßnahmen eher beschwichtigt. So sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, dass in Deutschland keine Gesetzesregelung existiere, die eine Quarantäne ganzer Landkreise oder Städte erlaube. Das ist allerdings unserer Auffassung nicht ganz richtig. Solche Maßnahmen sind zwar nicht im Gesetz ausdrücklich fixiert, allerdings räumt der Gesetzgeber den Gesundheitsämtern nach § 28 „alle notwendigen Maßnahmen“ ein. Zusätzlich können die Landesregierungen zur Eindämmung einer Epidemie per Rechtsverordnung nach § 17 und § 32 entsprechende Verbote aussprechen.

Werden Grundrechte ausgehebelt?

Faktisch gelten dann noch die Grundrechte der Bürger. Doch das Grundgesetz besagt eindeutig, dass zur „Bekämpfung der Seuchengefahr“ die Grundrechte der Bürger der Bundesrepublik Deutschland eingeschränkt werden können. Dazu gehört auch eine Quarantäne zu erlassen. Bürger dürfen dann nicht den Ort verlassen, den die Behörden vorgeschrieben haben.

Nicht ganz ohne Grundrechte

Ganz ohne Rechte sind Bürger aber hierzulande nicht. Daten, die erhoben werden, dürfen beispielsweise nur zur Seuchenbekämpfung verwendet werden. Diagnostiken, die einen invasiven Charakter haben, können nur mit Zustimmung des Patienten erfolgen. Gleiches gilt, wenn eine Betäubung erfolgen soll (§§ 16 und 25). Zudem ist eine Zwangstherapie laut § 28 nicht erlaubt!

Verhätnismäßigkeit muss eingehalten werden

Der Staat, die Länder und die Gesundheitsbehörden sind dazu angehalten, immer eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen. Vorsorgemaßnahmen, die eine erhebliche Einschränkung der individuellen und wirtschaftlichen Freiheiten mitsich bringen, müssen genau auf deren Erfordernis geprüft sein. Nur wenn führende Mediziner und Virologen eindeutig von der Erfordernis einer Quarantäne ganzer Dörfer oder Städte überzeugt sind, um das Virus einzudämmen, dürfen diese massiven Maßnahmen erfolgen.

Betroffene können per Gericht Quarantäne überprüfen lassen

Betroffene haben immer das Recht gegen solche Maßnahmen der Behörden vor ein Verwaltungsgericht zu ziehen. Allerdings haben Klagen keine aufschiebende Wirkung. Laut Prozessrecht kann per Eilantrag aber eine Aufhebung einer mumaßlich rechtswidrigen Handlung beantragt werden. Das Gericht prüft, ob eine Verhätnismäßigkeit besteht. (sb, Bild: H_Ko/Stock.Adobe.com)

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