Bürgergeld: Jobcenter wollen in die Wohnung: Sozialrechtsexperte macht deutliche Ansage

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Wenn der Außendienst des Jobcenters an der Wohnungstür klingelt, beginnt für viele Bürgergeld‑Beziehende ein Moment großer Verunsicherung. Der Außendienst will überprüfen, ob die Angaben im Antrag stimmen – vor allem, ob eine Bedarfsgemeinschaft vorliegt, die den Regelsatz reduzieren würde.

Gesetzlich stützen sie sich auf § 20 Sozialgesetzbuch X. Er erlaubt Ermittlungen, sobald „Erkenntnisse anderer Behörden oder Dritter“ Zweifel an der Richtigkeit der gemachten Angaben nahelegen. Schon die anonyme Nachbarschaftsanzeige kann daher als begründeter Verdacht genügen, um den Außendienst loszuschicken.

Dürfen Ermittler des Jobcenters einfach die Wohnung betreten?

“Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Artikel 13 des Grundgesetzes gilt auch gegenüber Jobcentern”, betont der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt. “Ohne Ihre ausdrückliche Zustimmung haben Ermittler kein Hausrecht.”

Wer die Tür nicht öffnet, verhält sich also nicht rechtswidrig. Problematisch ist allerdings ein zweiter Paragraph: § 60 Sozialgesetzbuch I verpflichtet Leistungsberechtigte mitzuwirken.

Verweigern Sie den Zutritt, kann das Jobcenter eine fehlende Mitwirkung behaupten und Leistungen mindern – eine besonders heikle Gratwanderung, weil die Behörde damit Druck ausüben darf, obwohl ihr keine hoheitliche Befugnis zum Eindringen zusteht.

Wie lässt sich die Mitwirkungspflicht erfüllen, ohne die Privatsphäre preiszugeben?

Zugleich beides zu wahren – Grundrechtsschutz und Mitwirkung – erfordert Fingerspitzengefühl. Wer einen Verdacht sofort mit Unterlagen, Zeugenaussagen oder eidesstattlichen Versicherungen entkräftet, demonstriert Kooperationsbereitschaft, ohne Ermittler in die Wohnung lassen zu müssen.

Kommt es dennoch zum Besuch, sollten Betroffene selbst einen Zeugen bestimmen. Ein Fachanwalt für Sozialrecht ist ideal, akzeptiert wird aber ebenso ein sachkundiger Freund oder eine Beraterin eines Sozialverbands. “Der Zeuge protokolliert, ob die Kontrolleure Grenzen überschreiten oder unzulässige Schlussfolgerungen ziehen. Auch Ermittler treten meist zu zweit auf, um sich später gegenseitig zu bestätigen – ohne Gegengewicht entsteht leicht ein Beweisnotstand”, sagt der Experte.

Dr. Utz Anhalt macht klare Ansage an das Jobcenter

Welche Grenzen gelten während eines Hausbesuchs?

“Ein erteiltes Betretungsrecht ist kein Freibrief für Durchsuchungsaktionen. Ermittler müssen jede geöffnete Schranktür, jede Schublade, jedes Zimmer einzeln erbitten”, warnt Anhalt.

Wird dies verweigert, hat der Wunsch Vorrang; ein Weiterwühlen wäre Hausfriedensbruch. Wer das Gefühl hat, dass intime Sphären verletzt werden – etwa wenn in Unterwäscheschubladen von Minderjährigen gekramt wird – kann den Besuch jederzeit abbrechen und die Wohnung räumen lassen.

“Die Behörde darf den Abbruch höchstens als Mitwirkungsmangel werten”, sagt Anhalt. “Ein strafrechtlich relevantes Eindringen liegt aber schon dann vor, wenn Kontrolleure nach dem erteilten Stopp weiter Räume durchsuchen.”

Wann spricht das Gesetz von einer Bedarfsgemeinschaft?

Der häufigste Streitpunkt bleibt die Frage, ob mehrere Personen wirklich dauerhaft und gemeinsam wirtschaften. Verheiratete oder eingetragene Partner im selben Haushalt gelten unmittelbar als Bedarfsgemeinschaft; das Gleiche vermutet die Behörde bei Eltern mit erwerbsfähigen Kindern unter 25.

Schwieriger wird es bei unverheirateten Paaren oder WG‑ähnlichen Konstellationen.

Jobcenter nehmen gern automatisch eine Bedarfsgemeinschaft an, wenn beide Partner mindestens ein Jahr zusammenleben oder ein gemeinsames Kind haben. Diese Praxis ist jedoch keine feste Rechtsnorm.

Sozialgerichte haben wiederholt klargestellt, dass Dauerhaftigkeit und gegenseitiges Einstehen für einander konkret nachzuweisen sind. Allein die gemeinsame Waschmaschine, der geteilte Kühlschrank oder der Möbelkauf „per Kopf“ reichen nicht, um das Kriterium des gemeinsamen Wirtschaftens zu erfüllen.

“Entscheidend ist vielmehr, ob Ausgaben und Einkommen tatsächlich zusammengelegt werden und ob im Notfall finanzielle Verantwortung füreinander übernommen wird”, mahnt der Sozialrechtsexperte.

Wie wirkt sich eine Bedarfsgemeinschaft auf den Regelsatz aus?

Bürgergeld wird in sechs Regelbedarfsstufen bewilligt. Alleinstehende in Stufe 1 erhalten seit 1. Januar 2025 unverändert 563 Euro monatlich.

Wer als Teil einer Bedarfsgemeinschaft in Stufe 2 geführt wird, bekommt pro Erwachsenem nur 506 Euro. Der Anreiz für die Behörde, eine Bedarfsgemeinschaft festzustellen, ist somit erheblich. Umso wichtiger ist es, die tatsächlichen Lebens‑ und Finanzverhältnisse rechtssicher zu dokumentieren.

Welche Beweise helfen im Konfliktfall mit dem Jobcenter?

Betroffene haben das Recht, nach erfolgloser Ermittlung den Namen des Hinweisgebers zu erfahren, wenn sich der Verdacht als haltlos erweist. “Verweigert das Jobcenter die Auskunft, kann das Sozialgericht zur Herausgabe verpflichten – ein wirksames Mittel gegen böswillige Denunziation”, bestätigt Anhalt.

Daneben schützen Zeitzeugenprotokolle, Kontoauszüge mit strikt getrennten Zahlungsströmen und schriftliche Vereinbarungen über Kostenbeteiligungen.

Anhalt gibt noch einen Tipp: “Wer eine Wohnung teilt, ohne eine Paarbeziehung zu führen, sollte Quittungen einzeln ausstellen und Barzahlungen quittieren lassen, um gemeinsame Wirtschaftstätigkeit widerlegen zu können.”

Warum kann ein Untermietvertrag Druck aus dem Kessel nehmen?
Ein schlichter Untermietvertrag erweist sich oft als eleganteste Lösung. Er dokumentiert gegenüber der Behörde, dass zwischen den Bewohnenden ein Miet‑ und kein Lebensgemeinschaftsverhältnis besteht.

Wer einer Partnerin oder einem Freund ein Zimmer untervermietet, legt darin Miete, Nebenkosten und Pflichten fest. Kommt das Jobcenter später mit dem Vorwurf der Bedarfsgemeinschaft, genügt meist der Blick in den Vertrag, um die Annahme zu widerlegen.

Denn wer in einem zivilrechtlichen Mietverhältnis steht, kann nicht zugleich ohne weiteres in der solidarischen Einstehgemeinschaft leben, die das Gesetz als Bedarfsgemeinschaft definiert.

Wie geht es weiter, wenn das Jobcenter Leistungen kürzt?

Fallen Sanktionen wegen angeblich fehlender Mitwirkung oder weil eine Bedarfsgemeinschaft konstruiert wurde, sind Widerspruch und einstweiliger Rechtsschutz die nächsten Schritte. Binnen eines Monats sollte schriftlicher Widerspruch eingelegt werden.

Weist das Jobcenter ihn zurück, steht der Klageweg zum Sozialgericht offen. Wird der Lebensunterhalt konkret gefährdet, ordnen Gerichte häufig im Eilverfahren die Weiterzahlung in voller Höhe an, bis der Sachverhalt geklärt ist. Schnelligkeit ist dabei entscheidend, denn der Regelsatz deckt lediglich das Existenzminimum.

Selbstbewusstsein statt Ohnmacht

Ein Hausbesuch des Jobcenters ist kein rechtsfreier Raum. Wer seine Wohnungstür öffnet, behält trotzdem das Hausrecht und kann Grenzen ziehen. Zugleich verlangt das Sozialrecht Mitwirkung in zumutbarem Umfang. Informierte Bürgergeld-Bezieher finden die Balance zwischen Kooperation und Selbstschutz, wenn sie Verdachtsmomente zügig ausräumen, Zeugen hinzuziehen, unzulässige Durchsuchungen stoppen und Rechtsbehelfe ausschöpfen.

Mit juristisch wasserdicht getrennten Finanzen – gegebenenfalls untermauert durch einen Untermietvertrag –läuft das Jobcenter am Ende oft ins Leere, und das verbriefte Grundrecht auf eine menschenwürdige Existenz bleibt gewahrt.