Einer Alleinerziehenden wird das Bürgergeld nicht voll gewährt, weil der Vater nicht auffindbar ist und keinen Unterhalt zahlt. Das allein wäre schon ein Skandal genug, da die Versorgung des Kindes nicht gewährleistet ist.
In einem Anschreiben will der Landkreis nun wissen, warum die Betroffene nicht verhütet und ob sie weitere Kinder bekommen will. Von diesem Fall berichtete der Verein “Sanktionsfrei e.V.”.
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Jobcenter stellte Zahlungen ein
Mia ist eine alleinerziehende Mutter. Der Vater des Kindes zahlt keinen Unterhalt und ist zudem nicht für die Kindesmutter auffindbar.
“Das Jobcenter hat die Unterhaltszahlungen einfach eingestellt, bis der Landkreis den Antrag auf Übernahme entweder ablehnt oder bewilligt”, berichtet Helena Steinhaus, Mitbegründerin des Hilfevereins.
Diskriminierendes Anschreiben und intime Fragen
Der Landkreis hat der hilfesuchenden Mutter ein Anschreiben zugestellt, in dem höchst intime Fragen gestellt wurden. “Wurde verhütet, wenn Nein warum?”. Im weiteren Verlauf fragt die zuständige Sachbearbeiterin: “Warum haben Sie beim zweiten Kind nicht verhütet? Wollen Sie erneut schwanger werden?”.
Die Einstellung der Zahlung unter Anrechnung nicht vorhandenen Unterhalts ist natürlich rechtswidrig, betont Steinhaus auf Twitter. “Vorgesehen ist, dass das Jobcenter unter bestimmten Umständen den Antrag auf Unterhaltszahlung beim Landkreis für die Mutter stellt.” Offensichtlich ist allerdings, dass weder der Landkreis noch das Jobcenter im Sinne der Mutter gestimmt ist.
Dr. Utz Anhalt berichtet
Unterhalt wird beim Bürgergeld angerechnet
Aber wie sieht die rechtliche Situation aus? Im Grundsatz wird der Unterhalt als Einkommen der Kinder auf den Bürgergeld-Bezug (früher Hartz IV) angerechnet.
Daher sollte bei einer nur teilweisen Zahlung durch den Unterhaltspflichtigen das Jobcenter darüber informiert werden, dass in diesem Monat weniger Unterhaltszahlungen geleistet wurden. Das Jobcenter muss dann eine richtige Einkommensrechnung gewährleisten.
Unterhaltsvorschuss durch das Jobcenter?
Das Jobcenter muss, wenn es sich um kurzweilige Zahlungsausfälle handelt, einspringen. Wenn die Zahlungen seitens des Unterhaltspflichtigen ganz ausfallen, ist nicht das Jobcenter, sondern das Jugendamt der richtige Ansprechpartner.
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Das gilt auch, wenn der Kindesvater immer wieder unregelmäßig zahlt und kontinuierlich zu wenig überweist. Das Jugendamt gewährt dann einen sogenannten Unterhaltsvorschuss.
Das Jugendamt wird nach dem Unterhaltsvorschussgesetz den ausbleibenden Unterhalt als Vorschussleistung oder Ausfallleistung zahlen.
Eine Voraussetzung für die Gewährung des Unterhaltsvorschusses besteht darin, dass der Unterhaltspflichtige seiner Unterhaltspflicht in Höhe des gesetzlichen Mindestunterhalts gemäß § 1612a Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht, nur teilweise oder nicht regelmäßig nachkommt.
Jobcenter handelt rechtswidrig
Es ist also höchst rechtswidrig, wie das Jobcenter und der Landkreis agieren. Statt schnelle Hilfe und Unterstützung zu gewähren, werden intimste Fragen gestellt, die eine Behörde nicht stellen darf.
Der Verein “Sanktionsfrei” springt zunächst finanziell ein und stellt der Betroffenen auch einen Anwalt. Über den Fortgang werden wir weiter berichten. Das Jobcenter und der Landkreis werden an dieser Stelle nicht genannt, um die Privatsphäre der Betroffenen zu schützen.
Anrechnung von fiktivem Unterhaltsvorschuss bei fehlender Mitwirkung der Leistungsbezieherin – ist rechtswidrig.
1. Die Anrechnung einer fiktiven Einnahme zur Bedarfsminderung ist nach dem System des SGB II ausgeschlossen (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. April 2014 – L 32 AS 623/14 B ER – ).
2. Unterhaltsvorschuss muss tatsächlich zufließen auf das Konto – Die Anrechnung von fiktivem Einkommen verstößt gegen den Bedarfsdeckungsgrundsatz ( LSG NSB, Urteil vom 20.12.2019 – L 9 AS 538/19 – ).
3. Wenn die Unterhaltsvorschussstelle die Leistungen nach § 1 Abs. 3 UVG abgelehnt hat, kann das Jobcenter nicht nach § 5 Abs. 3 S. 3 SGB II Leistungen nach dem SGB II teilweise entziehen bzw. versagen.
4. Als Anspruch nach dem SGB II sind nur die ihnen tatsächlich zur Verfügung stehenden Einkünfte als Einkommen zu berücksichtigen ( ständige BSG Rechtsprechung ).
5. Werden die ALG II Leistungen wegen fehlender Beantragung dieser Leistungen und fehlender Mitwirkung teilweise oder ganz versagt, muss sofort Widerspruch eingelegt werden.
Wird diesem nicht innerhalb einer relativ kurzen Frist entsprochen ( denn hier leben sie gerade weit unter dem Existenzminimum ), sofort Eilklage beim Sozialgericht.
6. Der Regelungsbereich des § 5 Abs. 3 S. 3 SGB II ist nur dann eröffnet, wenn der Leistungsempfänger trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht stellt und stattdessen das Jobcenter einen solchen Antrag stellt.
7. Stellt der Leistungsempfänger den Antrag hingegen selbst, ist die Regelung nicht anwendbar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Antragstellung aus freien Stücken oder nach Aufforderung des Jobcenters erfolgt war ( so ausdrücklich LSG NSB, mit Urteil vom 20.12.2019 – L 9 AS 538/19 -; ganz aktuell LSG Sachsen, Beschluss v. 03.01.2024 – L 4 AS 567/23 B ER – ).
Ganz aktuell ist auf die Entscheidung des SG Berlin, Beschluss vom 29.07.2024 – S 127 AS 3296/24 ER –
Das Jobcenter darf kein Bürgergeld versagen oder entziehen, wenn der Rentenantrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente versagt wurde.
Auch müssen die Jobcenter eine ordnungsgemäße Belehrung der Hilfebedürftigen zu den Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 SGB II vornehmen, erfolgt das nicht, ist die Versagung von ALG II rechtswidrig ( so ausdrücklich LSG Sachsen- L 4 AS 567/23 B ER –).
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