Bürgergeld: Jobcenter fordert 8.000 Euro wegen Angst zurück

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Helena Steinhaus, die Gründerin der Initiative “Sanktionsfrei” twittert: “S. soll das Bürgergeld für 9 Monate, insgesamt 8.000 € an das Jobcenter zurückzahlen. Ihr wird vorgeworfen, ihre Stelle auf Grund von “sozialwidrigem Verhalten” verloren zu haben.”

Scham und Angst

Was war nun der Grund für die Kündigung gewesen? Steinhaus berichtet:

“Tatsächlich befand sie sich in einer seelischen Notsituation, litt unter Panikattacken und war daher ein paar mal unentschuldigt nicht beim Ausbildungsbetrieb erschienen.”

Die Betroffene selbst sagt: “Aus Scham und Furcht habe ich es nicht fertig gebracht, mich meinem Arbeitgeber zu erklären, das zog die Kündigung nach sich.”

Das Jobcenter wusste Bescheid

Das Jobcenter wusste von diesen Angstzuständen, so Steinhaus:

“Das hatte S. bei Antragstellung sogar transparent gemacht und dadurch eine 10% Sanktion bekommen. 9 Monate später wird ihr vorgeworfen, sie habe keine wichtigen Grund für ihr Verhalten gehabt und sei deshalt nicht berechtigt, Bürgergeld zu beziehen. @sanktionsfrei legt Widerspruch ein.”

Wie groß sind die Chancen für einen erfolgreichen Widerspruch?

Zum einen ist die Rückforderung des Jobcenters zwar absurd, da die Betroffene die Situation vor der Kündigung erklärt hatte, und die Behörde davon nicht erst erfuhr, nachdem sie neun Monate lang Leistungen ausgezahlt hatte. Wie sieht es jetzt rechtlich mit dem “sozialwidrigen Verhalten” aus?

Arbeitgeber muss Bescheid wissen

Unentschuldigtes mehrfaches Nichterscheinen am Arbeitsplatz stellt rechtlich zum anderen einen validen Kündigungsgrund dar und damit auch einen Grund für Sanktionen des Jobcenters.

Wenn jemand wegen Angststörung / Panikattacken nicht zur Arbeit kommt, dann ist das kein Kündigungsgrund. Ein Problem wird es für die Betroffenen jedoch, wenn sie kein ärztliches Attest für diese Symptome haben und darüber hinaus ihre Beschwerden dem Arbeitgeber nicht mitteilen.

Die Angst überspielen

Die Scham und Furcht, die letztlich dazu führte, dass die Betroffene ihrem Arbeitgeber ihre seelische Not nicht gestand, ist bei Angststörungen verbreitet.

Die Journalistin Franziska Seyboldt zum Beispiel berichtet offen darüber, wie sie ihre Panikattacken in der Redaktion überspielte: “Ich habe meine Unsicherheit mit guter Laune kaschiert. (…) Meine Strategie war, mich durchzupeitschen. Bloß keine Schwäche zeigen und immer Ausreden finden für das Zuspätkommen.”

Eine weit verbreitete Störung

Panikattacken und Angststörungen sind Leistungsberechtigten beim Bürgergeld nicht fremd – bis zu sechs Prozent der Menschen in Deutschland sind von einer generalisierten Angststörung betroffen, rund sieben Prozent von einer sozialen Angststörung und zwei bis drei Prozent aller Bundesbürger leiden unter Panikattacken.

Betroffene, die dem ausgesetzt sind, empfinden extremes Unbehagen. Dieses zeigt sich auch körperlich zum Beispiel durch Herzrasen, Hitzeschübe, Zittern und/oder Schmerzen in der Brust. Hinzu kommt das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren oder zu sterben.

Was können Betroffene tun?

Wenn Panikattacken mit der Arbeit in Verbindung stehen, sollte auf jeden Fall das Gespräch mit Vorgesetzten gesucht werden – oder alternativ mit dem Betriebsrat. Diese Kommunikation kann Menschen mit diesen Ängsten stark herausfordern – es ist aber notwendig, wie auch der hier besprochene Fall zeigt.

Der Arbeitgeber wird so informiert. Im besten Fall entwickeln Arbeitgeber und Betroffene zusammen eine Lösung, sei es durch eine Therapie, sei es durch eine Umstrukturierung der Arbeit. Im schlechtesten Fall kann der in Kenntnis gesetzte Arbeitgeber kein “grundloses sozialwidriges Verhalten” unterstellen.

Wenn jetzt Ärzte und / oder Psychologen eine Diagnose geben und ein Attest ausstellen, wird es schwer, Betroffene wegen Fehlverhaltens zu kündigen, falls sich Versäumnisse durch die Ängste erklären lassen.