Bürgergeld: Jobcenter erstellen psychologische Profile über Bürgergeld-Bezieher

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Jobcenter-Sachbearbeiter erstellen Persönlichkeitsprofile über Leistungsberechtigte, obwohl sie dafür häufig nicht qualifiziert noch befugt sind.

Das ist besonders brisant, da es um den Schutz der Persönlichkeitsrechte von Bürgergeldempfängern geht, die ohnehin oft in einer prekären Lebenssituation sind.

Was bedeutet das für die Betroffenen?

Die Vorstellung, dass ein Sachbearbeiter, der möglicherweise eine völlig fachfremde Ausbildung hat, psychologische Einschätzungen über einen Bürgergeldempfänger vornimmt, ist sehr kritisch.

Ein solcher Sachbearbeiter könnte beispielsweise vorher als Tennislehrer tätig gewesen sein und lediglich einen kurzen Einführungslehrgang im Jobcenter absolviert haben.

Die Sachbearbeiter kann nun ohne fundiertes Wissen oder Fachkompetenz, Profile erstellen, die erhebliche Auswirkungen auf die Vermittlung der betroffenen Bürgergeld-Bezieher haben können.

Wie sieht die Praxis im Jobcenter aus?

Während eines Jobcenter-Termins machen sich die Jobcenter-Mitarbeiter Notizen, um ihre Entscheidungen zu dokumentieren und zu rechtfertigen.

Problematisch wird es, wenn sie beginnen, Bewertungen über die Psyche und Persönlichkeit der Betroffenen abzugeben.

“Dies ist nicht nur eine Überschreitung ihrer Kompetenzen, sondern kann auch schwerwiegende Folgen für die Betroffenen haben”, so der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt.

“In solchen Fällen tritt häufig der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt auf: Menschen, die wenig Ahnung von einem Thema haben, neigen dazu, ihre eigenen Fähigkeiten stark zu überschätzen und ihre Fehleinschätzungen nicht zu erkennen”, sagt der Sozialrechtsexperte.

“Dies kann dazu führen, dass persönliche Vorurteile und falsche Einschätzungen als objektive Beurteilungen in die Akte des Leistungsberechtigten einfließen”, so Anhalt weiter.

Welche Qualifikation haben Jobcenter-Mitarbeiter für solche Aufgaben?

Psychologen, Psychiater und Psychotherapeuten durchlaufen jahrelange Ausbildungen, bevor sie berechtigt sind, Diagnosen zu stellen. Ihre Arbeit basiert auf wissenschaftlich fundierten Methoden und einem tiefen Verständnis der menschlichen Psyche.

Im Gegensatz dazu verfügen Jobcenter-Mitarbeiter oft über keine oder nur sehr rudimentäre Kenntnisse in der Psychologie. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, den beruflichen Werdegang der Leistungsberechtigten zu klären und geeignete Maßnahmen oder Jobangebote zu ermitteln.

Schaue dazu das Video von Dr. Utz Anhalt:

Welche Risiken entstehen durch solche Einschätzungen?

Eine aktuelle soziologische Studie zeigte, dass Jobcenter-Mitarbeiter dazu neigen, Bürgergeldempfänger zu bevorzugen, die keine Fragen stellen und sich anstandslos fügen.

In einem Umfeld, in dem Kritik unerwünscht ist, können unqualifizierte psychologische Einschätzungen schnell dazu führen, dass kritische Bürgergeldempfänger als psychisch instabil abgestempelt werden.

Ein erschreckendes Beispiel dafür ist ein Fall aus Berlin, in dem eine Betroffene Einblick in ihre Akte erhielt und feststellen musste, dass ein Jobcenter-Mitarbeiter eine äußerst negative Einschätzung ihrer Persönlichkeit vorgenommen hatte.

Diese Einschätzung basierte nicht auf einer fundierten psychologischen Analyse, sondern auf den subjektiven Eindrücken eines Sachbearbeiters, der die Frau nur wenige Minuten gesehen hatte, kritisiert der Sozialrechtsexperte.

Was sind die Konsequenzen solcher Fehleinschätzungen?

Die Folgen solcher Fehleinschätzungen können gravierend sein. Die Bemerkungen in der Akte können zukünftige Entscheidungen anderer Jobcenter-Mitarbeiter beeinflussen, die möglicherweise die falschen Annahmen ihrer Kollegen übernehmen.

“Dies kann dazu führen, dass den Betroffenen entweder keine oder nur unangemessene Jobangebote gemacht werden. Im schlimmsten Fall könnte dies bedeuten, dass sie in minderwertige Jobs vermittelt werden, weil in ihrer Akte vermerkt ist, dass sie „nicht ganz richtig im Kopf“ seien”, warnt Dr. Utz Anhalt.

Werden tatsächliche Probleme von Jobcentern erkannt?

Ironischerweise versagen die Jobcenter-Mitarbeiter häufig darin, echte psychische Probleme wie Angststörungen oder Depressionen zu erkennen, sagt Anhalt.

Anstatt diese Menschen an Fachleute zu überweisen, die ihnen die notwendige Unterstützung bieten könnten, werden sie oft sogar sanktioniert. In vielen Fällen mussten erst Sozialgerichte eingreifen, um festzustellen, dass die Sanktionen gegen psychisch belastete Menschen ungerechtfertigt waren.

Was können Betroffene tun, wenn sie sich falsch eingeschätzt fühlen?

Wenn Sie den Verdacht haben, dass das Jobcenter Sie falsch einschätzt, sollten Sie von Ihrem Recht auf Akteneinsicht Gebrauch machen, rät Anhalt.

Laut § 25 Absatz 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches (SGB X) haben Sie das Recht, Ihre Akte einzusehen.

Hierfür müssen Sie lediglich einen Grund vorlegen, beispielsweise einen Widerspruch gegen einen Bescheid des Jobcenters, sagt Anhalt.