Bürgergeld: Blinde Frau sollte einen Führerschein machen – ansonsten drohen Sanktionen

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Manche Jobcenter ignorieren das Gesetz: Trotz des Versprechens im Bürgergeld, “einander auf Augenhöhe zu begegnen”, werden schwerbehinderte Menschen oft mies behandelt, wie dieser Fall zeigte.

Blind seit der Kinderheit

Tatjana K. ist seit frühester Kindheit blind. Trotz ihrer Behinderung hat sie Tourismusmanagement studiert und mit dem Bachelor abgeschlossen. Ihr Traum war es, in einer Großstadt bei einer Messegesellschaft zu arbeiten.

Kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt

Da aber eine blinde Frau auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen hat und alle Bewerbungsversuche scheiterten, musste Tatjana beim Jobcenter Bürgergeld beantragen.

Nach dem Antrag und der “Betreuung” durch das Jobcenter begannen die Probleme.

In den Jobcentern werden blinde Menschen oder auch Menschen mit anderen Behinderungen von einem Reha- oder Inklusionsbeauftragten betreut.

Nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit sind diese Fachkräfte speziell für die Betreuung von Menschen mit Behinderungen geschult.

Jede Agentur für Arbeit kann jedoch selbst entscheiden, ob sie einen Reha- oder Inklusionsbeauftragten einsetzt.

Blinde sollte Führerschein machen

Auch wenn solche “besonders geschulten Fachkräfte” in den Jobcentern tätig sind, bieten sie offenbar keine Gewähr dafür, dass es nicht zu einer benachteiligenden oder diskriminierenden Betreuung von behinderten Bürgergeldbeziehern kommt.

Im Jahr 2015 sollte sich Tatjana auf Empfehlung des Reha-Beraters auf eine vermittelte Stelle bewerben. In der Stellenausschreibung hieß es jedoch, dass für die Tätigkeit ein Führerschein erforderlich sei.

Tatjana wies darauf hin, dass sie keinen Führerschein und schon gar kein Auto habe. “Das ist alles kein Problem”, sagte der Betreuer im Jobcenter. Das würde das Amt schon finanzieren. Erst als Tatjana ihm noch einmal sagte, dass sie blind sei, meinte der Sachbearbeiter: “Ach, da war doch was…”.

Das Behindertengleichstellungsgesetz schreibt in § 10 Abs. 2 vor, dass behördliche Schreiben an sehbehinderte Menschen in einer Form zugestellt werden müssen, die auch für sie lesbar ist. Daran müssen sich auch die Jobcenter halten. Das tun sie aber nicht.

Jobcenter schickt Briefe und droht mit Sanktionen

Tim ist wie Tatjana blind. Das Jobcenter weigert sich partout, ihm seine Post barrierefrei zuzustellen und droht ihm immer wieder mit Sanktionen, wenn er Termine nicht wahrnimmt, von denen er teilweise gar nichts weiß, weil er seine Post nicht lesen kann.

Das Jobcenter wurde auf diesen Umstand aufmerksam gemacht. Außerdem müsste der zuständige Sachbearbeiter in der Behörde eigentlich von der Sehbehinderung seines “Kunden” wissen. In einem Anschreiben der Behörde heißt es nur: “Leider ist es dem Jobcenter noch nicht möglich, Unterlagen in Blindenschrift zu versenden”.

Strukturelle Diskriminierung in den Jobcentern

Thomas Plück von der Interessenvertretung behinderter Menschen “Selbstbestimmt leben” kennt das Problem. Er selbst habe immer wieder Briefe erhalten, obwohl er telefonisch oder per Mail um Kontaktaufnahme gebeten habe. Die Behörde habe seine Anliegen und Bitten jedoch ignoriert.

Seiner Meinung nach gibt es nach wie vor eine strukturelle Diskriminierung in den Behörden. Das Problem seien nicht nur die Sachbearbeiter.

Auch die Internetseiten der Jobcenter und der Bundesagentur für Arbeit seien bis heute nicht barrierefrei.

Das erschwert sehbehinderten Menschen die Antragstellung erheblich. Ohne Hilfe von Sehenden können viele Betroffene keine Anträge stellen.

Er selbst habe zwar spezielle Vorlesegeräte, weshalb der E-Mail-Kontakt auch eine gute Kommunikationsmöglichkeit darstelle, aber PDFs und Bilder könnten die Geräte nicht lesen und vorlesen. Auch Tabellen seien ein Problem. Sogenannte Screenreader können nur eine Spalte lesen und verarbeiten.

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