Bürgergeld-Bezieher soll Umzug beweisen, der nie stattfand

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Das Jobcenter Pankow hat kürzlich einen Brief an einen Bürgergeld Bezieher verschickt, in dem es um einen angeblichen Umzug des Betroffenen geht. Dies allein wäre vielleicht noch keine Nachricht wert, doch der Inhalt und die Konsequenzen dieses Schreibens werfen erhebliche Fragen auf.

Die Behörde hat in diesem Zusammenhang die Leistungen des Betroffenen komplett eingestellt und fordert nun den Nachweis eines Umzugs, der niemals stattgefunden hat.

Eine Rechtsfolgenbelehrung fehlt in diesem Schreiben, was laut der Erwerbslosengruppe “Basta” aus Berlin ein gravierender Mangel ist. Zudem erweckt das Schreiben den Anschein, als sei kein Widerspruch und keine Eilklage möglich.

Ein freundlicherer Ton? – “Wir brauchen Ihre Mithilfe!”

Zunächst fällt auf, dass das Jobcenter Pankow anscheinend einen neuen Ton anschlägt. Statt mit harten Sanktionen droht man nun freundlich und bittet um Mithilfe.

Diese neue Überschrift “Wir brauchen Ihre Mithilfe!” klingt auf den ersten Blick viel freundlicher und kooperativer als beispielsweise der Begriff “Totalsanktion”. Übersetzt heißt das: “Ich nehme Dir Deine Existenz und lächel Dich dabei an!”

Ein Umzug, der nie stattfand

Die Behauptung des Jobcenters, der Leistungsempfänger sei umgezogen, ist aber das Hauptproblem.

Der Betroffene soll nun das Unmögliche beweisen: einen Umzug, den es nie gegeben hat. Diese Forderung nach dem Nachweis einer nicht erfolgten Handlung  ist absurd und unmöglich zu erfüllen.

Es entsteht so der Eindruck, dass das Jobcenter hier bewusst eine unlösbare Aufgabe stellt, um die Leistungseinstellung zu rechtfertigen.

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Fehlen der Rechtsfolgenbelehrung

Besonders kritisch sieht die Erwerbslosengruppe “Basta” aus Berlin das Fehlen einer Rechtsfolgenbelehrung in dem Schreiben.

Eine solche Belehrung ist gesetzlich vorgeschrieben und soll den Betroffenen über seine Rechte und die möglichen Konsequenzen einer Nichtbeachtung informieren.

Ohne diese Belehrung ist das Schreiben aus rechtlicher Sicht unvollständig und könnte als nichtig angesehen werden. Dies öffnet die Tür für rechtliche Schritte gegen das Jobcenter.

Kein Widerspruch und keine Eilklage möglich?

Der Eindruck, den das Schreiben erweckt, dass kein Widerspruch und keine Eilklage möglich seien, ist ein weiterer besorgniserregender Aspekt. Diese Darstellung könnte Betroffene davon abhalten, ihre rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen.

Tatsächlich stehen jedem Bürger in Deutschland diese Rechtsmittel zur Verfügung, um gegen Entscheidungen von Behörden vorzugehen. Die Andeutung, dass dies nicht der Fall sei, könnte als Versuch gewertet werden, den Betroffenen zu entmutigen und zu täuschen.

Systematische Hindernisse für Widersprüche und Klagen?

Die Erwerbslosengruppe “Basta” berichtet von wiederholten Erfahrungen, bei denen das Jobcenter Pankow sämtliche Register zieht, um Widersprüche und Klagen zu verhindern.

Diese systematische Behinderung des rechtlichen Widerstands gegen behördliche Entscheidungen wirft ein düsteres Licht auf die Arbeitsweise des Jobcenters Pankow.

Solche Praktiken sind rechtswidrig und sind sicherlich nicht im Sinne einer fairen und transparenten Verwaltung, sagt auch der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt.

Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock

Deutschlands Jobcenter dürfen keine Vermutungen ins ” Blaue” führen.

Blose Vermutungen, selbst eine anonyme Anzeige berechtigen die Jobcenter nicht zur Zahlungseinstellung von Bürgergeld ( so ausdrücklich SG Nordhausen, Beschluss v. 21.02.2024 – S 19 AS 179/24 ER – ). Auf dem Schreiben des Jobcenters steht: Zahlungseinstellung § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 331 SGB III

Zahlungseinstellung rechtswidrig, denn das JobCenter muss Kenntnis von den Tatsachen haben, sodass Kennenmüssen oder bloße Vermutungen nicht ausreichen.

Der Grundsicherungsträger kann lediglich unter den Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 SGB I die bewilligten Leistungen ganz oder teilweise durch Verwaltungsakt entziehen und erst anschließend die Zahlung einstellen (Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 40 (Stand: 01.03.2020), Rn. 97 m.w.N.).

Liegen die Voraussetzungen nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 331 SGB III vor, hat das JC eine Ermessensentscheidung (“kann”) darüber zu treffen, ob und in welchem Umfang er die Zahlung der Leistungen vorläufig einstellt.

Die Zahlungen können jeweils nur insoweit eingestellt werden, als der Leistungsanspruch weggefallen oder zum Ruhen gekommen ist (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. März 2021 – L 2 AS 269/21 B – ).

Kenntnis in diesem Sinne ist positive Kenntnis, sodass Kennenmüssen oder bloße Vermutungen nicht ausreichen. Hierzu müssen die Informationen über die maßgeblichen Fakten einen Sicherheitsgrad erreicht haben, welcher vernünftige, nach den Erfahrungen des Lebens objektiv gerechtfertigte Zweifel schweigen lässt.

Der konkrete Verdacht einer Überzahlung reicht damit noch nicht aus, um die Geldzahlung vorläufig einzustellen (Schaumberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 3. Aufl., § 331 SGB III (Stand: 20.02.2023), Rn. 24).

Auch wenn das Schreiben keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, sofort Widerspruch einlegen mit Fristsetzung von 3 Tagen!

Passiert nichts, sofort Eilklage zum Sozialgericht auf Gewährung der Leistungen für die Kosten der Unterkunft, denn
Unterkunftskosten gehören zum Existenzminimum ( Rechtsprechung Bundesverfassungsgericht )

Was sollte der Leistungsbezieher bei seiner Klage vorlegen?

1. Aktuellen Kontoauszug, das kein nennenwertes Einkommen oder Vermögen vorhanden – somit Anordnungsgrund gegeben für Eilklage.
2. Nachweis, dass die monatl. Miete überwiesen wird an den Vermieter.
3. Meldebescheinigung des Meldeamtes, denn bei Umzug hätte er sich erneut beim Meldeamt melden müssen.
Da sollte ausreichen, um nach zuweisen, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des JC hat § 30 SGB I.

Letzte Anmerkung:

Die Jobcenter versuchen es immer wieder, doch wir können uns wehren, denn:

Im Rahmen der Güterabwägung sind auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen, die mit einer Entziehung der Mittel zum Lebensunterhalt auf bloßen Verdacht nicht vereinbar sind.

Der vorübergehende Entzug existenzsichernder Leistungen schafft eine außerordentliche Belastung für Leistungsempfänger und Gerichte!

Er unterliegt strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit; der sonst weite Einschätzungsspielraum zur Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit von Regelungen zur Ausgestaltung des Sozialstaates ist hier beschränkt (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, BVerfGE 152, 68-151).

Wichtiger Hinweis aus der Rechtsprechung zum Einstweiliger Rechtschutz gegen die vorläufige Einstellung der Leistung durch die Agentur für Arbeit. Dazu das LSG BB, Beschluss v. 23.03.2018 – L 32 AS 1105/17 B ER PKH –

Orientierungssatz (Gericht)

1. Die vorläufige Zahlungseinstellung der Agentur für Arbeit nach § 331 Abs. 1 SGB 3 ist schlichtes Verwaltungshandeln und besitzt keine Verwaltungsaktqualität.

2. Der Leistungsberechtigte kann zur Durchsetzung seines Zahlungsanspruchs aufgrund eines Bewilligungsbescheides Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG erheben.

3. Einstweiliger Rechtschutz durch Satzungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG ist infolgedessen zulässig.(Rn.29)

4. Voraussetzung der vorläufigen Einstellung der Leistung nach § 331 Abs. 1 S. 1 SGB 3 ist, dass die Behörde Kenntnis von Tatsachen erhält, die zum Ruhen oder Wegfall des Anspruchs führen und der Bescheid, aus dem sich der Anspruch ergibt, deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben ist.

5. Die Behörde muss von den Ruhens- bzw. Wegfallstatsachen positive Kenntnis erhalten. Vermutungen reichen nicht aus. Anderenfalls ist die vorläufige Einstellung der Leistung zu Unrecht erfolgt.