Hartz IV: Sonderbedarf bei ALG II

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Hartz IV Sonderbedarfe zusätzlich zum regulären ALG II Regelsatz

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Urteil vom 09 Februar 2010 u. a. entschieden, dass im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II (Hartz IV) neben den durchschnittlichen Bedarfen, die mit der ALG II Regelleistung abgedeckt sind, auch unabweisbare, laufende, nicht nur einmalige besondere Bedarfe, die in atypischen Lebenslagen anfallen, zu decken sind. Bis zur Schaffung einer eigenen Rechtsgrundlage im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch hat das BVerfG angeordnet, dass sich der Anspruch direkt aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ergibt. Ein Verweis auf Leistungen nach § 73 SGB XII ist nicht mehr zulässig. Bei einem „Sonderbedarf“ handelt es sich nicht um einmalige oder kurzfristige Bedarfsspitzen, die durch ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II aufgefangen werden können (z.B. Brillen, orthopädische Schuhe, Zahnersatz).

Atypische Bedarfe, die nicht zum Lebensunterhaltsbedarf des SGB II gehören, sind über die Härteklausel zu decken , soweit die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind. Dies entspricht der Vorschrift des § 73 SGB XII. Folgende Hartz IV Sonderbedarfe können zusätzlich beantragt werden

Nicht verschreibungspflichtige Arznei-/Heilmittel
Bei bestimmten besonderen – auch chronischen – Erkrankungen werden laufend Arznei- bzw. Heilmittel zur Gesundheitspflege benötigt, die oft nicht verschreibungspflichtig sind (z. B. Hautpflegeprodukte bei Neurodermitis, Hygieneartikel bei ausgebrochener HIV-Infektion); die Kosten werden daher nicht von den Krankenkassen übernommen. Der in der Regelleistung enthaltene Anteil für die Gesundheitspflege deckt die durchschnittlichen Kosten ab. Der Sonderbedarf ist hier im eng begrenzten Ausnahmefall in Höhe des nachgewiesenen krankheitsbedingten Bedarfs an Arznei-/Heilmitteln zu gewähren. Zu der Frage, ob der Bedarf unabweisbar ist, genügt in der Regel ein Nachweis durch den behandelnden Arzt. In Zweifelsfällen ist der Ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit oder das Gesundheitsamt einzuschalten.

Putz-/Haushaltshilfe für Rollstuhlfahrer
Rollstuhlfahrer können aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit gewisse Tätigkeiten im Haushalt nicht ohne fremde Hilfe erledigen. Soweit ihnen keine anderweitige Unterstützung, z. B. durch Angehörige, zur Verfügung steht, besteht zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins ein laufender Bedarf an einer Haushalts- bzw. Putzhilfe, der als Sonderbedarf in erforderlichem Umfang zu übernehmen ist.

Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts
Entstehen einem geschiedenen oder getrennt lebenden Elternteil regelmäßig Fahrt- und/oder Übernachtungskosten aufgrund der Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seinen Kindern und können diese nicht aus evtl. vorhandenem Einkommen, der Regelleistung oder Leistungen Dritter bestritten werden, können diese in angemessenem Umfang übernommen werden. Dies gilt für die Kinder entsprechend, soweit den Kindern an Stelle ihrer Eltern Kosten entstehen. Bei der Prüfung der Angemessenheit ist zu berücksichtigen, dass bereits nach der Rechtsprechung des BSG keine unbeschränkte Sozialisierung der Scheidungsfolgekosten möglich ist.

Eine Leistungsgewährung kann deshalb bei außergewöhnlich hohen Kosten ausscheiden bzw. erheblich eingeschränkt werden. Die Grundsicherungsstellen müssen daher das Umgangsrecht nicht notwendigerweise in dem Umfang finanzieren, in dem die Eltern das Umgangsrecht vereinbart haben. Eine Übernahme der Kosten scheidet aus, wenn eine Umgangsrechtsvereinbarung der Eltern missbräuchlich dazu genutzt werden soll, dass der – nicht hilfebedürftige – sorgeberechtigte Elternteil seine Unterhaltspflicht teilweise auf die Grundsicherungsstelle verschiebt (z. B. Der allein sorgeberechtigte Vater ist nicht hilfebedürftig.

Nach einer Vereinbarung mit der hilfebedürftigen umgangsberechtigten Mutter verbringen die Kinder dennoch die meiste Zeit bei ihrer Mutter, was dazu führt, dass während der Besuchszeiten für die Kinder Leistungen nach SGB II nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen zur temporären Bedarfsgemeinschaft erbracht werden müssen und die Kinder daher überwiegend Leistungen nach SGB II erhalten – vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs nach § 33 SGB II). Nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 25 Oktober 1994, Az.: 1 BvR 1197/93) verlangt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, dass von vornherein alle das Eltern-Kind-Verhältnis bestimmenden Umstände (wie einverständliche Regelung, Alter und Zahl der Kinder) in Betracht gezogen werden, um das erforderliche Maß des Umgangs festzustellen.

Die Grundsicherungsstellen dürfen demnach nicht pauschal annehmen, dass ein einmaliger monatlicher Besuch des Kindes in der Regel ausreichend ist. Es ist zudem zu prüfen, ob die durch den Umgangsberechtigten geltend gemachten Kosten vermeidbar sind. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn das Kind alt genug ist, um den umgangsberechtigten Elternteil ohne (dessen) Begleitung besuchen zu können. Bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen können Fahrtkosten nur in Höhe der Kosten für die jeweils preisgünstigste zumutbare Fahrgelegenheit übernommen werden. Die Fahrten müssen zudem auch tatsächlich Besuchszwecken dienen. Sofern das Kind bzw. der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebende Elternteil keine Leistungen nach dem SGB II bezieht und der Umgangsberechtigte aufgrund eines Unterhaltstitels Unterhalt zahlt, kann zur Eigenfinanzierung der Fahrtkosten auch eine Aufforderung zur Abänderung des Unterhaltstitels (Erhöhung des Selbstbehalts bzw. Minderung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens) in Betracht kommen. Im Rahmen des dem Unterhaltspflichtigen zustehenden Selbstbehalts sind grundsätzlich die mit dem Umgang verbundenen Kosten des umgangsberechtigten Elternteils enthalten, soweit es sich um Fahrtkosten im Bereich überschaubarer Entfernungen handelt.

Nachhilfeunterricht
Kosten für Nachhilfeunterricht können in der Regel nicht übernommen werden. Vorrangig sind schulische Angebote wie Förderkurse zu nutzen. Sie können nur im besonderen Einzelfall gewährt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass es einen besonderen Anlass gibt, z.B. langfristige Erkrankung, Todesfall in der Familie. Zudem muss die Aussicht auf Überwindung des Nachhilfebedarfes innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten, längstens bis zum Schuljahresende bestehen.

Sonstige Fälle
Die vorstehende Aufzählung ist nicht abschließend. In Umfang und Ausmaß vergleichbare Fälle können ebenfalls unter die Härteklausel fallen. Auf die Literatur und Rechtsprechung zu § 73 und § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII kann Bezug genommen werden.

In den folgenden Fallgestaltungen besteht kein zu übernehmender Sonderbedarf i. S. des Urteils:

Die Praxisgebühr
Die Gebühr ist aus der ALG II Regelleistung zu finanzieren.

Schulmaterialien und Schulverpflegung
Diese Kosten sind in der Regelleistung enthalten. Die Schulmaterialien sind zusätzlich über die Leistung für die Schule gemäß § 24a SGB II abgedeckt. Die Grundausstattung, die zu Beginn eines Schuljahres anfällt, sollte grundsätzlich über diese Leistung bestreitbar sein; weitere Schulmaterialien sind aus der Regelleistung zu finanzieren.

Bekleidung/Schuhe in Übergrößen
Notwendigkeit und Angemessenheit können in der Regel nicht beurteilt werden. Der Hilfebedürftige kann diesen Bedarf grundsätzlich aus der Regelleistung decken. Ggf. kommt ein Darlehen in Betracht.

Krankheitsbedingter Ernährungsaufwand
Dieser Aufwand ist entsprechend der Entscheidung des BVerfG und den dort in Bezug genommenen Empfehlungen des Deutschen Vereins kein atypischer Bedarf, sondern kann im Rahmen der Vollkost zur Deckung des physischen Existenzminimums aus dem ALG II Regelsatz ausreichend gedeckt werden.

Wichtig ist noch zu beachten: Der Anspruch auf einen derartigen „Sonderbedarf“ entsteht nach der Entscheidung des BVerfG erst, „wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen – einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten – das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet“. (19.02.2010)

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