Bildzeitung hetzt gegen Hartz IV-Bezieher

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Bild hetzt gegen Hartz IV-Bezieher und verdreht erneut Tatsachen

12.04.2012

„Hartz-IV-Sauerei: Noch nie wurde so viel geschummelt und getrickst!“ lautete die gestrige Überschrift des Boulevardblattes Bild. In der Berichterstattung ging es um die Zunahme der Sanktionen gegen Hartz IV-Bezieher. Auch wir berichteten. Dem Bildzeitungsleser wird anhand der Überschrift ganz unverhohlen suggeriert, immer mehr Menschen würden Sozialleistungs-Betrug begehen und aus diesem Grund würden immer mehr „Strafen“ ausgesprochen werden. Dass das nicht stimmt, musste selbst die Bundesagentur für Arbeit (BA) einräumen: „Die reinen Missbrauchsfälle und Betrugsfälle steigen nicht an. Wir haben überwiegend Meldeversäumnisse, das hängt auch mit der guten konjunkturellen Entwicklung zusammen“, sagte ein Sprecher der BA.

Bild-Hetze gegen Hartz-Empfänger
Dass die Bild zwar in ihren Überschriften Tatsachen verdreht, um (negative) Emotionen zu wecken, ist bekannt. Verwundert musste der Leser aber feststellen, dass selbst die Bild die von der BA veröffentlichten Statistiken nicht fälschen kann. Denn auch die BILD schreibt: „Meistens wurden im vergangenen Jahr Strafen verhängt, weil die Hartz-Empfänger Meldefristen nicht eingehalten haben (582 253), also z. B. trotz Einladung nicht beim Jobcenter erschienen.“ Aber anscheinend befindet die Bild, dass ein Nichteinhalten von Meldefristen bereits in die Kategorie „Betrug“ gehört.

„In 147 435 Fällen gab es Strafen, weil die Arbeitslosen gegen Pflichten der Eingliederungsvereinbarung verstießen“, schreibt das Blatt weiter. Auch hier haben die Sanktionen nichts mit „Trickserei“ oder „Schummelei“ zu tun. Und „138 312-mal wurden Strafen verhängt, weil die Betroffenen die Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung oder Weiterbildungsmaßnahme verweigerten.“ Ein verweigerte Aufnahme einer Arbeitsstelle gehört ebenfalls nicht in die Kategorie „Betrug“. In den meisten Fällen, das wissen wir aus der Praxis, verweigern Hartz IV Bezieher die Aufnahme einer Arbeitsstelle, weil entweder der Ein-Euro-Job das Kriterium „Zusätzlichkeit“ nicht erfüllt, oder weil entgegen der Annahme des Jobcenters der/die Vermittelte krank oder schwanger ist, oder weil die angekündigte Bezahlung derart schlecht, dass der/die Betroffene trotz Arbeit nicht aus Hartz IV raus kommt. Letztes passiert gehäuft bei sogenannten Zeitarbeitsfirmen, die deutlich unter Tarif entlohnen. Den Arbeitnehmern bleibt dann nichts anderes übrig, als mit Hartz IV aufzustocken.

Stimmungsmache und keine Recherche
Das sind alles Tatsachen, die ein Journalist mit etwas Recherche schnell herausfinden kann. Und wenn er sich die Arbeit dennoch nicht machen will, kann er auch einfach zum Telefon greifen und die Pressestelle der Bundesagentur für Arbeit anrufen. Dort kann dann erfragt werden, wie viel „Schummelei und Trickserei“ denn tatsächlich übrig bleiben, wenn die Statistiken einigermaßen korrekt gelesen werden. Doch für die Wahrheit ist diese Zeitung anscheinend nicht zuständig.

Sanktionen Ausdruck von Konzeptlosigkeit
Für das Erwerbslosen Forum Deutschland sind Sanktionen seitens der Jobcenter ein „Ausdruck der Hilfs- und Konzeptlosigkeit“. Die gestern veröffentlichten Zahlen sagen nichts darüber aus, in wie vielen Fällen die verhängten Leistungskürzungen tatsächlich rechtlich gesehen korrekt waren. So erklärte Martin Behrsing, Sprecher der Initiative: „Die drastisch angestiegene Zahl der Sanktionen sind für uns Ausdruck der Hilfs- und Konzeptlosigkeit der Jobcenter“. Die Zahl sagt auch nichts darüber aus, ob die Sanktionen rechtlich haltbar waren. Das Erwerbslosen Forum hegt daran „große Zweifel“, da inzwischen bekannt sei, dass eine Vielzahl von ausgesprochen Sanktionen zurückgenommen werden mussten, wenn Betroffene Hilfe von Rechtsanwälten, Hartz IV Foren oder unabhängigen Beratungsstellen in Anspruch nahmen.

Sanktionen sind ein Druckmittel, um Hartz-Empfänger zu Billigjobs zu nötigen
Schließlich sind Leistungskürzungen auch Druckmittel, um Hartz-Empfänger in Niedriglohnsektor zu entsenden. „Dies verdeutlicht die Zahl der Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften. Es mag zwar erfreulich sein, dass der Auszahlungsbetrag an Bedarfsgemeinschaften von 839,69 Euro auf 807.29 Euro gesunken ist. Die Zahl zeigt aber, dass die ‚Menschen – trotz Jobs- weiter auf Hartz IV angewiesen sind“, so Behrsing. Es zeigt, dass die Menschen durch die Arbeit der Jobcenter kaum neue Perspektiven erhalten, sondern weiterhin zum Leben in Armut verurteilt sind.

Sanktionen für Unternehmen gefordert
Für Behrsing stellt sich daher die Frage, „wer hier eigentlich sanktioniert gehört“. Für den Sprecher der Erwerbslosen-Gruppe seien dies die Unternehmen, die sich die Ausbeutung der Arbeitskräfte indirekt von den Steuerzahlern subventionieren lassen“. Als Beispiel ist hier auch der Internetriese „Amazon“ zu nennen. Hartz IV Bezieher wurden dazu genötigt, zwei Wochen „im Rahmen eines Praktikums“ unentgeltlich zu arbeiten. Erst danach wurden die Betroffenen zu einem geringen Lohn während der Vorweihnachtszeit im Vertrieb eingesetzt um dann wieder mehrheitlich auf Hartz IV angewiesen zu sein. (sb)

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