Beachtung einer Hartz IV Studie

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„Die Höhe der sozialen Mindestsicherung„ der TU Chemnitz
Die Autoren Friedrich Thießen und Christian Fischer befassen sich in der Studie "Die Höhe der sozialen Mindestsicherung"der TU Chemnitz von Prof. Dr. Friedrich Thießen, Diplom.-Kfm. Christian Fischer mit der Höhe des Regelsatzes von Hartz-IV unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Sie unterschieden zwei grundsätzliche Herangehensweisen, einen „Maximumfall„ sowie einen „Minimumfall„. Dabei kommen sie zu dem Ergebnis, der aktuelle Regelsatz von 351 Euro den von ihnen errechneten Maximumfall von 278 Euro deutlich überschreite, den Minimumfall, 132 Euro, sogar um ein Vielfaches.

Folgend haben sich die Autoren der vorliegenden Beachtung der Studie anstelle eines Gutachtens befleißigt, durch eine umfassende Auszugsauswahl und deren Bearbeitung, eine fundierte Kritik anhand einer solchen realitätsfernen Grundlage vorzulegen.

1. Falsche Grundannahmen der Studie
Schon bei der Definition dieser beiden selbstgewählten Kategorien muss festgestellt werden, dass von falschen Determinanten ausgegangen wird. So wird der Maximumfall wie folgt beschrieben: „Die Bestimmung der Obergrenze ergibt sich zwangsläufig aus den Verbrauchsmengen nicht sozialhilfeabhängiger Bürger, d.h. den Mengenverbräuchen der allgemeinen Bevölkerung. Es ist nicht vorstellbar, dass die soziale Mindestsicherung über dem verfügbaren Einkommen eines größeren Teils der Bevölkerung liegen kann."

Hierbei bleibt völlig unberücksichtigt, dass eine nicht unerhebliche Anzahl von abhängig Beschäftigten inzwischen in einem Lohnniveau arbeiten muss, welches sich nur geringfügig vom Regelsatz unterscheidet. Hinzu kommt die seit einigen Jahren explosionsartig ansteigende Zahl der sogenannten Aufstocker, welche zusätzlich zu ihrem (niedrigen) Lohn auf soziale Leistungen angewiesen sind. Gleichzeitig findet eine nicht zielführende Verwischung der Begriffe von Menge und Einkommen statt.
Im Folgenden werden exemplarisch einige Aspekte der zugrunde liegenden Studie herausgegriffen, um sie einer näheren Betrachtung zu unterziehen.

(1) Definition der Referenzperson
Der Regelsatz von Hartz-IV gilt für alle Betroffenen, unabhängig von ihren individuellen Ausprägungen als pauschalierter Höchstsatz. Nur in wenigen, streng reglementierten, und i.d.R. medizinisch nachzuweisenden Ausnahmefällen können die Betroffenen einen zusätzlichen Bedarf einfordern. Jede Abweichung von der idealisierten Referenzperson, welche sich noch innerhalb der weit gefassten Spannbreite befindet, verursacht einen Mehrbedarf, welchem jedoch aufgrund der ausschließlichen Fixierung auf die Referenzperson keine Beachtung geschenkt wird. Darüber hinaus wird mit der ausschließlichen Fixierung auf eine männliche Referenzperson völlig vernachlässigt, dass Frauen anders geartete Notwendigkeiten zu ihrer physischen wie auch kulturellen Bedürfnisbefriedigung besitzen.

(2) Rationalverhalten
Eine weitere Annahme bezieht sich auf das wirtschaftliche Rationalverhalten der Betroffenen. Dabei werden von Beginn an Ursachen für irrationales Verhalten unterstellt [„…in den ersten Tagen nach dem Erhalt von Geld unvernünftig wirtschaften…„], [„… gehen unvernünftig mit Lebensmitteln um…„], welche den realen Umständen keinerlei Rechnung tragen. Stattdessen wird den Betroffenen pauschaliert Unselbstständigkeit untergeschoben [„…dass Menschen, die nicht zum unterstellten Rationalverhalten fähig sind, geholfen werden muss…„].

(3) Einkaufsverhalten
Als Grundlage der Preiserhebungen werden folgende Einzelhandelsketten genutzt: Aldi, Edeka, Kaufland, Thomas Philipps, Zeemann, Pfennigpfeiffer, H&M, Kaufhof, Reno, Deichmann, Roller, Möbel-Walther, Richter, Hornbach und The Phone House Shop. Hierbei kann zwar festgestellt werden, dass diese Unternehmen bundesweit filialisiert sind und häufig auch ein filialintern nahezu bundeseinheitliches Preisniveau besitzen. Es ist jedoch zu konstatieren, dass Personen, welche auf dem Land leben, auf diese Einkaufsstätten nur beschränkt Zugriff haben bzw. in kleineren Ortschaften generell keine Möglichkeit zu deren Nutzung besteht.
Es sei auch darauf hingewiesen, dass in dieser, sowie in fast jeder anderen Studie gleichen Themas, ein Preisanstieg durch Inflation in keinster Weise beachtet wird. Preiserhebungen werden in dieser Studie, genauso wie bei der Berechnung des aktuellen Regelsatzes, aus vergangenen Zeiträumen ohne Änderungen gedankenlos übernommen.

Weiterhin werden Preise, vor allem im Bereich der Nahrungsmittel, genutzt, welche in fast allen Fällen generell nicht erreichbar sind. Selbst wenn größere Packungseinheiten in Anspruch genommen würden, stellt dies dann die Betroffenen sodann vor die Alternativen: Nutzung der größeren Packungseinheit, günstigerer Stückpreis, Verderb der nicht nutzbaren Restmenge (vgl. oben: Rationalverhalten) oder Kauf der kleineren Packungseinheit zum höheren Preis.

(4) Bestandteile und Mengen der betrachteten Warenkörbe

I. Menge Mineralwasser sowie Milch:
Die tägliche Menge der zugestandenen Flüssigkeit wird mit insgesamt 1,75 Liter angeführt. Ernährungsphysiologen geben jedoch diese Menge in den verschiedensten Publikationen immer wieder mit rund 3 Liter pro Person pro Tag an.

II. Tabak und alkoholische Getränke sowie Bier:
Die durch die Verfasser der Studie angedachte „Volksgesundung„ für Hartz-IV-Empfänger durch die gänzliche Streichung von Ausgaben für Tabak und Alkohol im Minimumfall ist unverständlich. Es ist äußerst fraglich, warum Nicht-Hartz-IV-Empfänger davon ausgeschlossen werden. Soll ihnen ein erwartet hohes Maß an Genesung vorenthalten werden?

III. Menge Socken:
Ein paar Socken der niedrigsten Qualität haben der Studie zufolge mindestens 1,7 Monate zu halten, eine tägliche Nutzung vorausgesetzt.

IV. Verhütungsmittel:
Werte für Empfängnisverhütung sehen die Verfasser der Studie nicht vor. Dies entspricht weder der gegenwärtigen gesellschaftlichen Praxis noch berücksichtigt diese Unterlassung die zumeist aus ungewollten Schwangerschaften resultierenden Nachsorgebedürfnisse, die zum Teil Jahre andauern und enorm kostenintensiv sind.

V. Deodorant:
Spätestens seit Kurt Becks brüskierender Offerte weiß jeder Arbeitslose, dass er sich nur zu waschen und zu rasieren braucht, um sofort eine Arbeit zu erhalten. Ein Deodorant ist dafür offensichtlich nicht notwendig.

VI. Menge Friseur:
Die Studie sieht die Nutzung von Friseurdienstleistungen aller 8 Wochen vor. In diesem Zusammenhang ist der Verweis auf die vorherige Feststellung interessant. Der Minimalfall zieht den Besuch eines Friseurs erst gar nicht in Betracht.

VII. Menge Waschmittel:
Regelsatzempfängern wird die Möglichkeit eingeräumt, viermal monatlich ihre Waschmaschine in Gang zu setzen. Auch hier ist es angebracht, eine Verbindung zu obiger Aussage herzustellen.

VIII. Menge Bettwäsche:
Der Studie zufolge darf sich jeder Regelsatzempfänger aller 3 Jahre einmal neue Bettwäsche erlauben, eine tägliche Nutzung vorausgesetzt.

IX. Menge Kopfkissen und Decke:
Noch imposanter ist die Häufigkeit neuer Kopfkissen und Decken. Hier erreichen die Verfasser schon eine Nutzungsdauer von 5 Jahren. Selbstverständlich immer unter der Voraussetzung der täglichen Nutzung. Ein Wechselpaar ist dabei nicht vorgesehen.

X. Computer sowie Computerzubehör:
Einen Computer, Monitor und Drucker benötigen Regelsatzempfänger gemäß der Einschätzung der Studie nicht. Inwieweit sie dann notwendige Bewerbungsunterlagen erstellen wie auch wenigstens schriftlichen Kontakt zu Familienmitgliedern und Freunden halten sollen, bleibt wohl ewig das Geheimnis der Verfasser dieser Studie. Die noch später aufgeführte Möglichkeit, Internet (also i.e.S. Computer überhaupt) für täglich 6 min in einem Internetcafé zu nutzen, birgt diese Möglichkeit nicht einmal annäherungsweise.

XI. Menge Waschmaschine:
Hierbei muss ein Zusammenhang zwischen dem Preis des zugestandenen Gerätes und der durchschnittlich zu erwarteten Nutzungsdauer hergestellt werden. Eine Waschmaschine mit normalem Fassungsvermögen von 5 kg für den Preis von 139 Euro ist leider nicht bekannt. Der Preis von 205,67 Euro erscheint zumindest realisierbar. Dabei ist jedoch zu beachten, dass bei Geräten dieser Preisklasse die zugrunde gelegte Nutzungsdauer von 5 Jahren keiner praktischen Prüfung standhält. Waschmaschinen dieser Kategorie haben eine durchschnittliche Lebensdauer von 2-3 Jahren und sind zudem in ihrer ökologischen Verwendung höchst verdächtig.

XII. Menge Tassen:
Eine Tasse für den Haushaltgebrauch hat der Studie zufolge mindestens 15 Monate (Maximumfall der Regelsatzberechnung) bzw. sogar 60 Monate (Minimumfall der Studie) zu halten. Natürlich auch hier wieder die tägliche Nutzung vorausgesetzt.

XIII. Telefondienstleistungen: Für Telefondienstleistungen im Festnetz sehen die Verfasser in beiden Fällen (Maximum- und Minimumfall) überhaupt keinen Bedarf. Dies verhindert sowohl eigene Aktivitäten im Rahmen der Arbeitssuche als auch eine Pflege der sozialen Kontakte zu Familienmitgliedern und Freunden.

XIV. Menge Internet:
Ein eigener Internetzugang ist laut der Studie weder für den Maximum- noch für den Minimumfall vorgesehen. Darüber hinaus steht auch nur für den Maximumfall eine monatliche Internetnutzung von 3 Stunden in einem öffentlichen Internetcafé zur Verfügung.

XV. Menge Post- und Kurierdienstleistungen:
Mit monatlich gerade einmal 2,38 Euro bleibt es den Betroffenen auch auf diesem Wege verwehrt, Kontakt zu anderen Menschen außerhalb ihres direkten Einzugsbereiches zu pflegen. Wenn nun noch berücksichtigt wird, dass die Agentur für Arbeit seit Jahren die Kosten für Bewerbungen für Arbeitslose nur noch mit einer unzureichenden Pauschale von 5 Euro bemisst, ergibt sich daraus zwingend eine Einschränkung der Bewerbungsmöglichkeiten der Arbeitssuchenden. In Abhängigkeit von der Qualität der Bewerbung stehen dem im Einzelfall Kosten von über 10 Euro (für Bewerbungsmappe, Kopien, Ausdrucke, Papier, Lichtbild, Versandmappe, Porto) gegenüber. Feiertagspostkarten an Verwandte sowie die postalische Beantwortung von behördlichen Nachfragen entfallen.
XVI. Menge Verkehrsdienstleistungen:
Sieht die Studie für den Maximalfall noch Werte in einer noch zu diskutierenden Höhe für sonstige Verkehrsdienstleistungen (vermutlich regional und überregional) sowie Kosten für ein Fahrrad vor, wird dies den Betroffenen im Minimumfall vollständig versagt.

XVII. Mitgliedschaft in Vereinen:
Eine Mitgliedschaft in Sport- oder anderen Vereinen ist gemäß der Studie ebenfalls weder im Maximal-, noch im Minimalfall vorgesehen.

XVIII. Reparaturen:
Alle Gebrauchsgüter bedürfen mehr oder minder häufig einer Reparatur. Zwischen dem Preis eines Produktes und seiner Reparaturhäufigkeit besteht eine direkte Kausalität. In der Studie werden jedoch keinerlei Kosten für Reparaturen berücksichtigt.

XIX. Versicherungen:
Zur Absicherung vor unkalkulierbaren Risiken sind zumindest für die wichtigsten Lebensbereiche Versicherungen unabdingbar. Besonders, da im Schadensfall die Betroffenen ohne eine Versicherung keine Möglichkeit hätten, dessen Regulierung aus eigenen Mitteln zu gewährleisten. Die Verfasser sehen bei ihrer Betrachtung diese Risikoabsicherung generell nicht vor.

XX. Möbel:
Im Minimumfall muss sich der Hartz-IV-Empfänger mit einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl und einem Kleiderschrank begnügen. Selbst in den meisten deutschen Gefängnissen wird den Inhaftierten noch zusätzlich ein Bücherregal und eine Topfpflanze zugestanden.

(5) Preise der Bestandteile der einzelnen Warenkörbe

I. Preis für Brot:
Sowohl der minimale als auch der durchschnittliche Preis für Brot sind realitätsfern. Ein 1000g-Brot ist nirgends für 0,50 oder 0,70 Euro erhältlich.

II. Preis für Reis:
Der Preis für 0,60 Euro (Minimalfall) bzw. 0,70 Euro (Maximalfall) pro 1 kg Reis entspricht in beiden Fällen keiner wirtschaftlichen Realität.

III. Preise für weitere Nahrungsmittel:
Fast jeder aufgeführte Preis kann herausgegriffen werden, um diese eklatante Kluft von Wunschdenken und Realität nachzuweisen. Dabei mögen die Preise für Äpfel (0,76 Euro/kg), Milch (0,49 Euro/l), Käse (0,40 Euro/100g) oder Wurst (0,38 Euro/100g) nur exemplarisch stehen.

IV. Preis für Hose/Rock:
Inwieweit ein solches Kleidungsstück zu einem Gesamtpreis von 7,98 Euro den Ansprüchen eines Vorstellungsgespräches, welches ein Arbeitssuchender zur Erlangung einer Arbeit anstrebt, entsprechen soll, bedarf einer gesonderten Erläuterung durch die Verfasser der Studie. Denn der eigentlich dafür zu bevorzugende Anzug wird durch die Studie im Minimalfall gänzlich abgelehnt.

V. Preis für Ober-, Freizeithemd:
Ein Oberhemd für den Preis von 4,99 Euro, welches gleichzeitig noch die Funktion eines Freizeithemdes erfüllt, dürfte ebenfalls kaum den Ansprüchen eines Bewerbungsgespräches entsprechen. Die darauffolgende Absage wäre vorprogrammiert.

VI. Preis für Socken:
Auch das Paar Socken für den Preis von 0,33 Euro entspricht in keiner Weise der wirtschaftlichen Realität.

VII. Preis für Haarwaschmittel:
Mit dem Preis für Haarwaschmittel (0,52 Euro/400ml) stoßen die Autoren ebenfalls in neue, unbekannte Dimensionen vor.

VIII. Preis für Friseurdienstleistungen:
Einen Friseur, welcher für den Haarschnitt 6,00 Euro berechnet und den man nur aller 8 Wochen zu besuchen braucht, muss man vermutlich auch in Chemnitz vergeblich suchen. Die hierin unterschwellig eingerechnete Niedriglohnentwicklung in diesem Gewerbe ist zudem eine recht offenherzige Variante schlecht gemachter Lohnpolitik.

IX. Preis für Polstergarnitur:
Der Minimalfall sieht eine Polstergarnitur für völlig unrealistische 99 Euro vor, welche dann aber wiederum gemäß Studie gar nicht vom Regelsatz abzudecken seien.

X. Preis für Waschmaschine:
Wie schon zuvor ausgeführt, gibt es auf dem Markt keine Waschmaschine mit normalen Fassungsvermögen von 5 kg, welche für 139 Euro erhältlich wäre. Die für den Maximalfall vorgesehene Maschine für 205,67 Euro ist zwar unter bestimmten Umständen am Markt erhältlich, steht jedoch diesem Preis für die überdurchschnittlich lange Nutzungsdauer von Geräten dieser Preiskategorie entgegen.

XI. Preis für Fern

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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