WASG: Weniger Hartz IV durch linke Partei?

Lesedauer 7 Minuten

Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) will Einheit durch linke Partei

Zweidrittel der Bürgerinnen und Bürger meinen, daß es in unserem Land ungerecht zugeht. Alles kein Wunder. Die Verarmung großer Teile der Bevölkerung nimmt zu. Sieben Millionen Menschen arbeiten für Niedriglöhne. Rund drei Millionen verdienen so wenig, daß sie trotz Arbeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben. Und für die zukünftigen Alten wird mit der Rentenpolitik das Massenelend vorbereitet. Viele neue Jobs sind von minderer Qualität: »70 Prozent der neuen Vollzeitstellen werden von Zeitarbeitern besetzt, denn sie sind billiger«, berichtet die Berliner Zeitung am 28. Dezember 2006. Vom Aufschwung profitieren vor allem die Unternehmen, abhängig Beschäftigte sollen sich bescheiden, das ist die Devise der Regierung.

Die Realität ist der schärfste Kritiker des Kapitalismus. Man möchte meinen: Hervorragende Voraussetzungen für einen Aufschwung der Linken. In den Meinungsumfragen liegt die Linkspartei weiterhin auf dem Niveau des Wahlergebnisses vom Herbst 2005 – auch eine Auswirkung des noch nicht abgeschlossenen Parteibildungsprozesses von Linskpartei.PDS und WASG.

Die Demonstrationen der Gewerkschaften am 21. Oktober letzten Jahres waren mit über 200000 Teilnehmern ein Achtungserfolg. Eine breite Massenbewegung, die die Bundesregierung zur Änderung ihrer Politik zwingt, ist nach wie vor das Ziel. Erreicht ist sie noch nicht.

Für die widersprüchliche politische Gemengelage gibt es keine einfachen Erklärungen und Lösungen, Patentrezepte schon gar nicht. Die Stärke der Linken kann aus drei Punkten bestehen: Besser das Alltagsbewußtsein verstehen; Politisierung und Autonomie der Gewerkschaften voranbringen; mit der neuen Linkspartei eine glaubwürdige Alternative formieren.

Werkelalltag verdreht die Köpfe

Reihenweise setzen Unternehmer Belegschaften unter Druck; mit der Verschärfung der strukturellen Überakkumulation in den letzten zehn Jahren in zunehmendem Maße. In vielen, vor allem mittleren und kleineren Unternehmen, die im Konkurrenzkampf nicht so gut dastehen, werden rote Zahlen geschrieben. Oder Unternehmer setzen Belegschaften mit dem Verweis auf kostengünstigere Produktion im Ausland unter Druck. Immer werden Arbeitsplätze bedroht.

Aus der betrieblichen Sicht scheinen zu hohe Kosten die Ursache für eine schlechte Position im Konkurrenzkampf zu sein. Meistens geht es dann um Senkungen der Arbeitskosten. In Wirklichkeit haben die meisten Unternehmen Probleme wegen der schwachen Nachfrage. Gleichwohl erscheinen die Lohnkosten als betriebswirtschaft2 liches Problem. Der einzelne Unternehmer hat auf die gesellschaftliche Nachfrage keinen Einfluß, aber sehr wohl auf die betrieblichen Kosten.

Mit der erzwungenen betrieblichen Kostensenkung wird volkswirtschaftlich genau das Falsche getan: Die Nachfrage wird weiter geschwächt. Für den Moment können im jeweiligen Unternehmen die Probleme gelöst werden. Jedoch wird der Konkurrenzbetrieb gezwungen, ebenfalls die Kosten zu senken. Über kurz oder lang wird der Wettbewerbsvorteil wieder eingeebnet.

Wir befinden uns in einem teuflischen Kreislauf der beständigen weiteren Schwächung der Nachfrage. Ein teuflischer Kreislauf, in dem auch Gewerkschaften gefangen sind. Wenn Belegschaften mit Arbeitsplatzverlust bedroht werden, ist dem Druck, genauer der Erpressung, die betrieblichen Kosten zu senken. kaum zu entkommen. Zähneknirschend werden entsprechende Maßnahmen von Belegschaft und Gewerkschaft mitgetragen, um Arbeitsplätze zu retten. Scheinbar sogar noch ein Erfolg, wenn angedrohte Verschlechterungen in betrieblichen Auseinandersetzungen abgemildert und Beschäftigungssicherungen erreicht werden.

Eine entscheidende Tücke liegt in der Auswirkung auf die Köpfe. Wenn in einer betrieblichen Krise Arbeitsplätze durch Kostensenkung gerettet wurden, was lernt der einzelne daraus? Lohnverzicht sichert Arbeitsplätze! Keine Formel umschreibt prägnanter die neoliberale Botschaft. Sie wird im ganz normalen Werkelalltag gelernt – und zwar vor allem als Selbstverständlichkeit. Wie jeder als kleines Kind gelernt hat, mit der Schwerkraft umzugehen. Die neoliberale Botschaft wird unbewußt zu einer Grundstimmung des Alltagsverstandes.

Auf dieser Basis können die Medien überhaupt erst ihre Wirksamkeit erlangen. Wenn ein Moderator in den ARD-Tagesthemen wie selbstverständlich darüber räsoniert, daß Lohnverzicht Arbeitsplätze sichere, dann erscheint das vielen eingängig, weil ihnen die Melodie ihres Alltagslebens vorgespielt wird. Wenn ein Müntefering zum wiederholten Male herunterbetet, daß die deutsche Wettbewerbsfähigkeit durch Senkung der »Lohnnebenkosten« vorangebracht wird, dann scheint das stimmig, weil es an eigene Erfahrungen anknüpft. Niemand verzichtet gerne. Aber wenn es nun einmal scheinbare Sachzwänge gibt – dann ist derjenige modern und zukunftsgewandt, der die scheinbaren Realitäten und politischen Konsequenzen anerkennt.

Gleichwohl: Die neoliberale Hegemonie ist brüchig. Viele Menschen erleben, daß ihnen seit zehn oder noch mehr Jahren Opfer abverlangt werden. Viele erwarten schon gar keine Wende zum Besseren mehr. Viele wären schon froh, wenn es nicht beständig weiter abwärts ginge. Doch das Gegenteil ist der Fall. Viele haben mehrfach ein »betriebliches Bündnis« erlebt; jedes Mal in der Hoffnung, daß man jetzt in Ruhe arbeiten und leben könne – immer wieder eine neuerliche zerstobene Illusion.

Häufig geht es nicht um notleidende Betriebe, sondern im Zeichen von Shareholder- Value um die kurzfristige Steigerung der Rendite. Fällt diese unter zehn, 15 oder 3 mehr Prozent wird der betriebliche Krisenfall ausgerufen. So wird zwar deutlicher, daß Löhne für mehr Profite gesenkt werden sollen. Aber auch wenn das offengelegt wird, enden sogar kämpferische Auseinandersetzungen fast immer mit Einbußen für die Beschäftigten.

Auf der einen Seite die scheinbaren betrieblichen Sachzwänge; auf der anderen Seite drängt sich über die Jahre auf, daß da irgend etwas nicht stimmt. Widersprüchliche Sichtweisen, Konfusionen breiten sich aus. Verzweiflung und Resignation oder Rebellion und Radikalisierung liegen dicht beieinander. Kluge Politik muß diese widersprüchliche Gemengelage aufgreifen. Jene Seiten im Alltagsleben müssen hervorgehoben werden, die aufklärerisch, demystifizierend wirken. Es muß bekräftigt werden, daß die beständige Wiederholung betrieblicher Erpressungen zeigt, daß Lohnverzicht keine Arbeitsplätze rettet, daß also die neoliberale Botschaft falsch ist. Oder zeigen, daß »betriebliche Bündnisse« in einem Betrieb dann auch zu Lohndruck und Erpressung in anderen Betrieben führen. Dieser Effekt setzt sich fort, so daß letztlich zunächst bestehende Wettbewerbsvorteile wieder verlorengehen. In der Folge sind dann wieder Arbeitsplätze bedroht. »Kostensenkungsprogramme«, zu denen eine Belegschaft genötigt wird, sollten also in ihrer volkswirtschaftlichen Brisanz dargestellt werden. Die Basis für die Überwindung »verdrehten« Denkens liefert das Erleben selbst. Ohne die Erfahrung, »daß das alles so nicht stimmt«, ist Aufklärung sehr schwierig.

Hier öffnet sich ein weites Feld vor allem für gewerkschaftliche Arbeit und Aufklärung; häufig dadurch erschwert, daß Ehren- als auch Hauptamtliche der betrieblichen Sichtweise ausgesetzt sind. Besonders gilt dies für Betriebsräte, die oft in der Gefahr stehen, sich letztlich nur auf die Verhältnisse »in ihrem Betrieb« zu konzentrieren. Veränderungsprozesse gehen auch deshalb sehr langsam, da die Gewißheiten noch aus besseren Zeiten stammen und für die Entwicklung der letzten fünf bis zehn Jahre wenig passen.

Autonomie der Gewerkschaften

Die Rahmenbedingungen für Gewerkschaften sind massiv verschlechtert worden – zu einem erheblichen Teil durch politische Entscheidungen der beiden letzten Bundesregierungen. So wichtig auch Betriebs- und Tarifpolitik ist, die gewerkschaftliche Defensive ist ein Resultat dieser Veränderungen:

· Die Binnennachfrage wird durch politische Entscheidungen nachhaltig geschwächt. Durch massive Steuergeschenke an Reiche und Unternehmen wird eine Beschneidung staatlicher Ausgaben erzwungen. Die beständige Deregulierung in der Arbeitsmarktpolitik führt zur Aushebelung oder zumindest zu massivem Druck auf die tariflichen Lohnstrukturen. Die faktische Aufhebung jeglicher Zumutbarkeitsregelungen im Zuge von »Hartz IV« sind ein wesentlicher Grund für die massive Ausbreitung von Niedrig- und Hungerlöhnen.

· Die immer stärker anwachsenden Finanzmärkte werden dereguliert. Hedge- Fonds und Private-Equity-Unternehmen werden Tür und Tor geöffnet. Der Druck auf Belegschaften wird massiv erhöht.

· Der gesamte politisch entschiedene Sozial-abbau berührt die Lebenslage der Menschen mindestens genauso stark wie alle tariflichen Regelungen. Rente mit 67 z.B. ist eine gesetzliche Verordnung von Arbeitszeitverlängerung und bedeutet für viele Armut im Alter.

Dies sind nur einige Punkte, aber für Gewerkschaften mehr Gründe als genug, massive politische Aufklärung zu betreiben und von unten her zu mobilisieren. Wir brauchen neben der Betriebs- und Tarifarbeit als dritte Säule eine Politisierung und Aktivierung von unten. Offensichtlich fällt das den deutschen Gewerkschaften nicht leicht.

Sie haben sich seit 60 Jahren in ihrer Praxis vor Ort auf Betriebs- und Tarifpolitik konzentriert. Zu politischen Fragen wurden bestenfalls auf Gewerkschaftstagen Beschlüsse gefaßt; immer mit der Formel, daß der Gewerkschaftsvorstand dies den Mächtigen der Republik nahebringen möge – vorzugsweise Vertretern des gewerkschaftlichen Brückenkopfes im politischen Raum: der SPD. Diese Form des Lobbyismus hat zeitweise gut funktioniert. Arbeitsgespräche etwa zwischen Heinz Kluncker, dem ehemaligen Vorsitzenden der ÖTV, und Willy Brandt, damals Bundeskanzler, waren wirksame Lobbyarbeit.

Diese Arbeitsteilung führte dazu, daß die Einheitsgewerkschaft eher den Charakter einer sozialdemokratischen Richtungsgewerkschaft erhielt. In guten Zeiten war das für die Mitglieder relativ komfortabel. Über den Einfluß auf die Partei wurde für eine »arbeitnehmerfreundliche« Politik gesorgt. Im Unternehmen vertraute man »auf die eigene Kraft« und setzte betriebliche und vor allem tarifpolitische Verbesserungen durch.

Wenn solch ein Politikmodell an sein historisches Ende gelangt, ist die Umorientierung mit vielen Verwerfungen verbunden. Und sie erfordert viel Zeit. Mit dem 14. März 2003 wurde der Generalangriff auf den Sozialstaat eingeläutet. Das war der Tag der Agenda-2010-Rede des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Er formulierte eine politische Großoffensive auf so ziemlich alles, was Gewerkschaften wichtig ist. Und eine politische Alternative zu SPD und Grünen war nicht erkennbar. So bekam das alte Politikmodell immer mehr Risse.

In großen Teilen der Gewerkschaften wurde immer klarer, daß Widerstand geleistet werden muß. So entstand Raum für die eigenständige gewerkschaftliche Aufklärung und Mobilisierung. Auch die Verbindung zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaft lockerte sich. Nach manchen widersprüchlichen Entwicklungen wurden von den Gewerkschaften und der sozialen Bewegung die Großdemonstrationen am 5 3.April 2004 vorbereitet. Sie wurden ein großer Erfolg: 500000 Menschen protestierten gegen die Agenda-Politik, gegen den ehemaligen Bündnispartner SPD.

Gewerkschaften müssen ihr eigenständiges, mit den Mitgliedern entwickeltes Profil weiter entwickeln und breite politische Diskussionen und Aufklärung betreiben. Für diese Positionen mobilisierungsfähig werden, bedeutet parteipolitisch unabhängig werden gewerkschaftliche Autonomie durchsetzen und sich nicht mehr auf Stellvertreter verlassen. Nie wieder Transmissionsriemen von irgend etwas sein: weder von der SPD, der CDU, der FDP, den Grünen oder DIE LINKE. Für Zusammenarbeit in inhaltlichen Fragen besteht gleichwohl ein weiter Raum.

Dieses Konzept bringt die Einheitsgewerkschaft erst voll zur Entfaltung. Wo und ob die einzelnen Mitglieder sich auch noch parteipolitisch engagieren, ist kein Gegenstand der gewerkschaftlichen Debatte. Mitgliedschaft und Mitarbeit in der Einheitsgewerkschaft ist für alle demokratischen Positionen offen.

Linkspartei und WASG gemeinsam

Mit der Agenda 2010 wurde 2003 der Graben zwischen Gewerkschaften und SPD tiefer. Der sich abzeichnende Widerstand fand im parlamentarischen Raum keinen Resonanzboden. Aller Protest hat letztlich zum Ziel, daß unsoziale Gesetze verhindert oder geändert werden. Mit hinreichendem Druck von der Straße kann auch eine Regierung zur Umkehr gezwungen werden. Bei diesen Protesten muß immer auch der Platz der Linken sein. Zusätzlich ist im Parlament eine politische Kraft notwendig, die Ansprechpartner für breite Kreise der Bevölkerung ist, die sich von den etablierten Parteien vor allem in Fragen von Arbeit und sozialer Gerechtigkeit nicht mehr vertreten fühlen.

Niemand hätte es für möglich gehalten, daß sich 2005 im Wahlkampf ein Bündnis von Linkspartei und WASG formiert und überraschenderweise mit 8,7 Prozent in den Bundestag einzieht. Damit wurde eine Koalition von CDU/CSU und FDP verhindert, die im Durchmarsch viele »Arbeitnehmer«- und Gewerkschaftsrechte untergepflügt hätte. Klar war von vornherein, daß dieses Bündnis seine Fortsetzung in einer Parteineubildung finden müsse. Bei aller Unterschiedlichkeit und absehbaren Konflikten gilt: In Deutschland gibt es keinen Platz für Linkspartei und WASG! Wir brauchen ein einheitliches Erscheinungsbild als Linke in der Öffentlichkeit.

Entscheidend für die neue Partei ist ihre Beteiligung an den aktuellen politischen Auseinandersetzungen. Einer der wichtigsten aktuellen Konflikte ist die Rente mit 67. Über die Ablehnung hinaus werden von der Linken flexible Ausstiegsmöglichkeiten vor dem 65. Lebensjahr gefordert. Dies gilt insbesondere für Beschäftigte mit belastenden Arbeitsbedingungen, zum Beispiel für Schichtbeschäftigte. Nur mit Forderungen, die an den Sorgen der Menschen ansetzen, hat die Linke als Partei eine wirkliche Chance, Zustimmung der Bevölkerung und Mitglieder hinzuzugewinnen.

Hierzu gehört auch die Kampagne für den gesetzlichen Mindestlohn von acht Euro. So kann Working-Poor bekämpft werden. Und die DIE LINKE. will ein Zukunftsinvestitionsprogramm für bessere Erziehung und Bildung, Forschung, Kultur, für ökologischen Umbau und öffentliche Infrastruktur. Die öffentlichen Investitionen und Ausgaben sollen mindestens um jährlich 40 Milliarden Euro angehoben werden. Eine Million zusätzlicher sinnvoller und tariflich abgesicherter Arbeitsplätze können so geschaffen werden.

Wie ein solches Programm gestaltet wird, entscheidet sich weitgehend auf Landesoder kommunaler Ebene. Ob jed

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

Wird geladen ... Wird geladen ...