WASG: Berlin oder das Palaver der Avantgarde

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Akte WASG: Am 3.November gründet sich im "Sprengel-Eck" der Regionalrat des Netzwerkes Linke Opposition (NLO) in Berlin
von Daniel Neun

Berlin, Mitte: Um die recht spannenden, nicht wirklich skandalösen, aber schon merkwürdigen Vorgänge in und um Berlin näher zu beleuchten, muß man kurz ausholen..

Das Netzwerk Linke Opposition
Akte WASG

Nach der Gründung des bundesweiten Netzwerkes Linke Opposition (1) vor einiger Zeit, ging es nach den Beschlüssen des letzten Treffens in Felsberg bei Kassel an die Gründung der Regionalräte. Den Anfang machte bereits die NLO Bremen. In Bremen sind im Frühjahr Bürgerschaftswahlen, die Bundes-WASG versucht derzeit mit allen Mitteln, die eigene Wahlbeteiligung zu sabotieren um sich zugunsten der "Linkspartei" aufzulösen. Man erinnere sich also diesbezüglich an 1980: in Bremen war den Grünen der erste Einzug in ein Landesparlament geglückt.

Morgen, am 1.11. folgt die NLO Hamburg, die NLO Berlin konstituiert sich am 03.11 im Mitte-Café "Sprengel" und die NLO Nordrhein-Westfalen gründet sich am 5.November.

Beim Netzwerk Linke Opposition ging es bis vor kurzem eigentlich nur um Rückzugsgefechte innerhalb der durch Intrigen und Besetzung des obersten Schiedsgerichts mit Helfershelfern der LPDS-Bundestagsfraktion gekaperten WASG. Das änderte sich am 3.Oktober.

Beim Bundestreffen der NLO in Felsberg zog die Versammlung dann einen Schützengraben, der unter allen Umständen gehalten werden soll, ohne Diskussion mit Verwässerern, Kompromißlern und Erklärern des Kapitalismus mitsamt dem Geplärre von der "Haushaltslage, ja die Haushaltslage, Mensch, die Haushalt-Haushalt-Haushaltslage …"

Die bereits einen Monat von 25 AktivistInnen in NRW entworfenen "Roten Linien" wurden dem Minimum an sozialer und demokratischer Politik erklärt, was es unter allen Umständen zu verteidigen galt, Geschwätz hin oder her. Sie wurden zum Fundament einer neuen Partei ausgerufen, mit oder ohne "Linkspartei". Und darum geht es. Reden wir nicht um den heißen Brei – die "Linkspartei" steht rechts von Heiner Geißler. Sie hat nicht ein einziges Mal während ihrer Existenz als SED, PDS und LPDS Wort gehalten, sie war nie sozial, sie war nie demokratisch und sie war schon überhaupt nicht sozialistisch.

Manche meinen, Linke müßten das Alles gar nicht sein – schließlich sei man ja schon was, nämlich "links". Tun müsse man auch nix, schließlich tue man "links". So gibt es also immer noch Leute, die von einer "gemeiiiiinsamen Linken" reden und damit den Beitritt in eine autoritäre, antisoziale Neocon-Partei meinen, und sonst gar nichts.

Die Diskussionen in der WASG Berlin
Akte WASG

Die unterschiedlichen Positionen innerhalb des letzten parlamentarischen Hoffnungsträgers der Republik sind nach dem 2.9%-Ergebnis bei der Berliner Bürgerschaftswahl deutlich geworden. Viele konnten sich nicht an das Gefühl gewöhnen, von den Grauen Panthern überholt worden zu sein und warfen die Frage auf, warum den Wählern nicht klar gesagt wurde, daß man auf gar keinen Fall der Senatspartei LPDS beitreten werde.

Die Kritiken waren naturgemäß unterschiedlich, die Diskussionen verliefen, die bundesweit einmaligen Umstände berücksichtigend, eigentlich konstruktiv. Einig war und ist man sich darüber, daß der hauchdünne Sieg bei der Urabstimmung über die Wahlteilnahme, mit 8 Stimmen über der notwendigen absoluten Mehrheit, ein hart erkämpfter Glücksfall der Geschichte war. Ohne diesen internen Sieg über die Zersetzer, Saboteure und mit-abstimmenden LPDS-Mitgliedern hätte es weder einen eigenständigen Wahlantritt und wahrscheinlich auch keine Kraft mehr für eine bundesweite linke Opposition gegen den Anschluß der WASG an die LPDS überhaupt gegeben.

Nun aber, im Vorfeld des wahrscheinlich vorletzten Bundesparteitages der WASG, fragt man sich hier natürlich – wie weiter? Was passiert, wenn die WASG sich auf Befehl von Gysi, Ramelow und Lafontaine selbst vernichtet? Wie verhält sich dann die WASG Berlin?

Ein gewisser Teil, so kristallisiert sich heraus, will weder nachdenken noch sich vorbereiten auf das, was laut den Bundesvorständen zweier Parteien bereits feststeht. Man habe mit Überlegungen, Vorarbeit, strukturellem Aufbau und Programmarbeit für eine neue Partei gefälligst solange zu warten, bis die WASG zerschlagen wurde. Denn dann könne man erst drüber nachdenken, was in den letzten Jahren so passiert sei und etwas Neues auf die Beine stellen. Aber nur als Regional-Partei. Denn der Traum von der "gemeiiiiiinsamen Linken" bestehe ja bundesweit fort. Nur in Berlin sei das irgendwie niemandem mehr zu erklären, daß man dem Wowereit-Senat beitreten wolle, wo man doch gegen ihn angetreten sei.

Hier sei hinzugefügt, daß erst nach deutlichen Worten aus der Basis das Anschluß-Gequatsche dieser Fraktion endgültig aufhörte. Es endete definitiv nicht von allein. Nichtsdestotrotz weigert sich ein Gutteil der WASG Berlin Farbe zu bekennen und dem Beitritt der Senatspartei LPDS endgültig eine Absage zu erteilen. Klare Aufforderungen an den Landesvorstand und das "Presseteam" werden nicht klar beantwortet. Dabei gilt es zu berücksichtigen, daß es bei "Krieg", "tot", "schwanger", "schwarzer oder weißer Rauch" oder eben "Anschluß" nun mal kein "bißchen" gibt.

Ein nicht unerheblicher Teil des Landesvorstands, sowie einige Bezirksvorstände und frisch gewählte BVV-Verordnete (der Bezirksparlamente) repräsentieren diesen "Bißchen"-Flügel der WASG Berlin.

Die Wiederwahl …Akte WASG
… der LPDS-Bezirksbürgermeisterin von Lichtenberg durch die WASG

Bundesweit ist kaum bekannt, daß die Mehrheit der BVV-Verordneten der WASG Lichtenberg die LPDS-Bürgermeisterin Christina Emmrich wieder in ihr Amt wählten, und zwar ohne konkrete Gegenleistungen. Ohne Gegenleistungen für die Bürgerinnen und Bürger oder die WASG, wohlgemerkt. Aber für die flugs auf die eigene Seite gezogenen Grünen, für die gab´s dann von der LPDS 10.000.000 Euro für ein Solarprogramm.

Eine abweichende Meinung zu dieser beispielhaften Posse leisteten sich die BVV-Verordneten Peter Hammels und Michael Niedworok. Beide enthielten sich nach eindeutiger, berlinweiter Schilderung ihrer abweichenden Position der Stimme. Reaktion des Bezirksvorstandsmitgliedes der WASG Berlin-Lichtenberg Sebastian Gerhardt: er forderte allen Ernstes den Rücktritt der Beiden aus dem Kommunalparlament.

Und sei dies nicht schon absurd genug, mehrere Landesvorständler unterstützen auch noch diese Forderung. Und dann kam auch noch vom Lichtenberger Bezirksvorstandsmitglied Sebastian Gerhard, der als Anführer der nur 6-köpfigen "Wasserfraktion" durch eine Intrige mit Hilfe der SAV auf Platz 2 der Abgeordnetenliste durchgestimmt wurde, die Beschuldigung, das Mitglied des Sozialistischen Arbeitervereins, Michael Niedworok, betreibe undemokratische Politik.

Aber damit immer noch nicht genug: im gleichen Atemzug rannte der Ex-Bündnisparter von allen, der auch schon mit dem LPDS-austauschbarem "Rixdorfer Kreis" geflirtet hatte, zu den Ex-Wahlhelfern der SAV und verlangte von ihnen Schützenhilfe – und bekam sie auch … Ein Mitglied der "Sozialistischen Alternative Voran" (SAV) dazu in einer eMail auf der sogenannten "d-liste", dem Mailverteiler der WASG Berlin: "Egal wie man/frau diese (nachverhandelte) Vereinbarung bewertet, wenn die deutliche (!) Mehrheit der BG (bzw. ihrer Aktiven) sie will, habt ihr das verdammt nochmal umzusetzen. Wenn ihr das nicht könnt / wollt, müsst ihr zurücktreten !"

Der emailschreibende SAV-Genosse gab dem Renegaten Niedworok auch gleich noch eine psychologische Selbsthilfe mit auf den Weg, die man bundesweit als exemplarisches Beispiel der WASG-internen Leitkultur in die Spinde hängen könnte: "Eine einmal getroffene Entscheidung zu revidieren, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke."

Nur zur Erinnerung: aus "Zeitgründen" war für diese, so quasi urplötzliche Wahl der Bezirksbürgermeisterin, trotz Aufforderung der beiden Nicht-Willigen keine Sondersitzung der Bezirksgruppe (BG) einberaumt worden, nur via email und Telefon sicherten 6 Personen der WASG Lichtenberg Gerhard Unterstützung für seinen Kurs zu.

Der BVV-Verordnete Michael Niedworok dazu in einer Stellungnahme: "Was wir jetzt haben, sind im wesentlichen einige Versprechungen, die Informationspolitik der Jobcenter zu verbessern – was ja für einen von einer PDS-Bürgermeisterin geführten Bezirk eigentlich eine Selbstverständlichkeit wäre", so Niedworok. "Aber selbst hier gab es erhebliche Zweifel an der Umsetzbarkeit. Und darüber hinaus das Versprechen, keine Kitas mehr an freie Träger abzuwerfen (ein Prozeß der mit Eifer bereits beendet wurde)..Muß man da für eine PDS-Bezirksbürgermeisterin stimmen, wenn kein eindeutiger Beschluß der Bezirksgruppe vorliegt?"

Nochmal in Zeitlupe…
Weil nach einem Wahlkampf, der mit dem Slogan "100% sozial" geführt wurde und erst vor Gericht gegen den illegal operierenden Bundesvorstand durchgesetzt werden mußte, ins Kommunalparlament gewählte WASG-Verordnete eine LPDS-Bürgermeisterin nicht ohne konkrete Gegenleistung nach hektisch geführten "schnell-Schnell"-Geheimverhandlungen des Bezirksvorstandes zur Bezirksbürgermeisterin wiederwählen wollten, fordern Bezirks- und Landesvorständler der WASG Berlin nun ihren Rücktritt?

Ein Orden wäre da angebrachter, so sehen es jedenfalls viele an der Basis der WASG Berlin, ganz im Gegensatz zum derzeitigen Landesvorstand sowie manchem im Hintergrund-Team. Die, so scheint´s, wollen unbedingt beweisen, daß die WASG Berlin eben doch nur die WASG ist.

Das Gründungstreffen der NLO Berlin am 3.November
Am Freitag werden harte Auseinandersetzungen erwartet. Ein hochrangiges, nicht unbekanntes und auch nicht unbeliebtes Mitglied der SAV bat darum, daß ausgerechnet bitteschön diejenigen zahlreich zum Gründungstreffen der NLO Berlin kommen sollten, die den Felsberger "Roten Linien" und einer eventuell notwendigen linken Partei ohne die PDS kritisch gegenüberständen. Außerdem bat sie (ahem …) darum, auf dem 2 1/2-stündigem Treffen doch erstmal ausführlich über den kommenden Landesparteitag der WASG Berlin zu reden. Mit einem Wort: wie der in Felsberg vor Wut platzende Heino Berg, versucht die SAV hier die Gründung einer NLO in Berlin auszubremsen oder zu verhindern, Warum?

Hintergrund ist die auch von der SAV geteilte Annahme, daß die sogenannte "Linkspartei" als fleischgewordenes Brie-Konzept in den nächsten Jahren strukturell erodieren wird. Die Taktik der SAV-Spitze ist diesbezüglich wie folgt: Einsickern in die Infrastruktur der Bundestagspartei, um dann bis zur nächsten Bundestagswahl ein eventuelles Erbe mit anderen Kräften, wie z.B. kämpferischen Gewerkschaftlern, antreten zu können.

Auf Berlin-Ebene hat man allerdings eingesehen, daß es keine Chance gibt auch den eigenen Leuten, die der WASG Berlin solidarisch und mit viel Arbeitsaufwand im Wahlkampf zur Seite standen, den Beitritt zum Wowereit-Gehilfen der LPDS zu verkaufen. Eine Regionalpartei, ohne Anbindung an eine bundesweite Organisation, soll als "Übergangslösung" dienen, bis zu eben diesem Zeitpunkt einer gelungenen Überwindung der alten Funktionärsschicht innerhalb der gewandelten "Linkspartei". Viele halten jedoch diese Taktik, auch und gerade durch die augenblickliche, gescheiterte Kriegsführung des schwankenden Imperialismus, für ganz großen Käse und Zeitverschwendung.

Die Bevölkerung der Republik habe die Wirtschaftsordnung Kapitalismus satt und sei zu allermindestens 5% aufgeschlossen für sozialistische Wirtschaftsideen. Wer von "Arbeitermilizen" rede, dürfe nicht bei einer bundesweiten linken Partei schon die Hosen voll haben. Diese beiden Positionen könnten möglicherweise durch einen Kompromiß Synergieeffekte erzielen:

Die WASB Berlin
Schon im Wahlkampf war, für den Fall einer Niederlage vor den Gerichten, ein Plan B entwickelt und umgesetzt worden. Die Partei "WASB" wurde gegründet, als mögliches Auffangbecken einer verbotenen WASG Berlin. Die WASB existiert immer noch. Sie ist die geplante und von der SAV gewollte Regionalpartei, die sogenannte "Übergangslösung" bis zur wirklichen "Neuen Linken" mit einer gewandelten LPDS.

Nun ist der Gedanke der Netzwerkes Linke Opposition (NLO) aber folgender: aufgrund der miesen Erfahrungen in etablierten Parteien, wie auch linken Kadergruppen, soll es in einer, auch von der NLO geforderten "Neuen Linken", keine allmächtige Zentrale mehr geben. D.h., der übliche, pyramidale Schwatzfilter zwischen Allesbezahlern an der Basis und Tribünen-Kommödianten an der Spitze (Parteimitglied, Parteitag, Parteirat, Vorstand, Präsidium, Vorsitz) fällt weg.

Auch mit dem Parteiengesetz läßt sich eine förderale, radikaldemokratische Struktur von Unten nach Oben bestens vereinbaren. Konkret: sämtliche Landesverbände einer "Neuen Linken" oder eines "Sozialen Bündnis" konstituieren sich erstmal selbst als Regionalpartei und im eigenen Bundesland verankerten und verwurzelten Kraft. Dabei werden die Bayern immer die Bayern sein. Das ändert sich in tausend Jahren nicht. Allerdings werden die Menschen in den Metropolen, den "Stadtstaaten" Berlin, Hamburg und Bremen immer eher geneigt sein, gesellschaftliche Dynamik im Zuge von Akkumulativkräften emanzipatorischer und fortschrittlicher Kräfte zu entwickeln.

Ohne Links-Deutsch: Baden-Würtemberg hätte dann den Landesverband "sozial-gemütlicher Weinbauern-und Sonnenkollektoren Fanclub" und Berlin einen "Turbo-Linksflitzer e.V" mit jeweils eigener Satzung, aber beide wären im bundesweiten Dachverband mit eigenen Grundregeln für soziale, demokratische und kulturelle Standarts.

Ein kultureller Standart z.B. könnte sein, daß man jeden, der ein Amt durch die Partei erhält, per Unterlassungserklärung dazu zwingen kann, es sofort abzugeben, wenn sein Gehalt 3000 € Netto übersteigt. Und damit wir uns nicht mißverstehen: wer sagt, wir bräuchten keine Armenquote, die seien eh alle doof, ungebildet und nicht aufstiegswillig, der möge sich bitte beim Autor melden, und dann wird die Sache geklärt..

Nun – nehmen wir also mal an, die Mitglieder der WASG Berlin fänden im Falle einer Zerschlagung der Bundespartei eine neue Heimat in der WASB. Dann könnte man sich dort in Ruhe weiter streiten, ob man denn dem noch zu gründendem bundesweiten Dachverband beitreten will oder nicht. Die NLO ist die Vorbereitung auf genau diesen Dachverband. Und die NLO-Regionalräte sollen dabei die Bildung von Regionalparteien unterstü

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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